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So erschien er

und das erste Gefühl war Dank gegen Gott und das zweite – Dank für die uns geleistete Hilfe, zu welcher die Nähe und die Ferne, Hohe und Niedere, Reiche und Arme, zu welcher Rittergutsbesitzer, Städte und Dörfer sich mit gleichem Eifer, mit gleicher Liebe, mit gleicher Aufopferung, treu und fest verbunden hatten und von der wir noch jetzt so unzählige Beweise täglich empfangen. Von allen Seiten und selbst meilenweit (z.B. Döbeln und Lommatzsch) kamen uns Löschmannschaften oder Spritzen zu Hilfe (sh. Anhang) und Leipzig sogar hatte deren zwei mit dem bereits erwähnten und abends gegen 9 Uhr hier angekommenen Extrazuge uns gesendet, doppelt willkommen, da mit der anbrechenden Nacht mehrere der anwesenden Spritzen, zu ihrem eigenen Schutze gegen mögliche Gefahr nach Hause zurückkehren mussten. Sie alle wirkten mit rastloser Tätigkeit und wenn in der vergangenen Schilderung nur einige genannt waren: so wolle man darin nicht eine Hintansetzung der übrigen erblicken. Es war unmöglich, die Tätigkeit aller zu beobachten, unmöglich, die Hilfeleistung Einzelner allenthalben wahrzunehmen, – und doch Bedürfnis des Herzens, wenigstens das dankbar zu erwähnen, was man in diesen Stunden der Verwirrung zufällig gesehen und im Gedächtnis bewahrt hatte. Wir fürchten daher nicht, dass uns deshalb jemand tadle! Kam doch wohl keiner, um Dank und Lob zu verdienen und hat doch eine nur deshalb geleistete Hilfe moralisch gar keinen Wert!
Furchtbar waren aber auch die Greuel der Verwüstung, die am Morgen unseren Blicken sich darbot. Vor allem unsere Kirche, unsere herrliche Kirche in Trümmern, aber selbst in ihren Trümmern noch majestätisch und ehrfurchterbietend! Ausgebrannt war die Stätte, –  von unserer herrlichen Orgel, die erst vor zwei Jahren mit einem Aufwand von mehr als 1.000 Thalern repariert worden war keine Spur! Keine Kanzel, kein Altar, selbst die von steinernen Säulen getragene Emporkirche war nicht mehr! Statt der Kirchenstühle Trümmer und Schutt! – Nur die acht Hauptpfeiler trugen noch – wenn auch stark vom Brande beschädigt – das kühne Gewölbe, durch das hier und da, wie durch die nackten hohen Fenster, der Himmel traurig herabblickte. Oben kein Dach, und der Turm bis zum Achteck zerstört, hohl und schaurig und ohne Glocken, die zerschmettert und teilweise zerschmolzen auf dem Kirchengewölbe lagen, das durchzubrechen sie nicht vermocht hatten. Daneben das Rathaus, nur in den Parterregewölben gut erhalten; oben, mit Ausnahme der schon erwähnten Sessionsstube, nur öde Mauern und ein Teil des westlichen spitzigen Giebels! – Und nun rings die Hälfte der inneren Stadt in glühenden, rauchenden Trümmern, die vorzüglich von der Obermühle und dem Gottesacker, sowie von dem, rechts neben der Dresdner Straße (den 3 Kreuzen gegenüber) gelegenen Berge aus den grausenerregenden Anblick boten. Hier und da ragten auch mitten aus niederen Trümmern turmhohe Essen und stehengebliebene Giebel mächtig hervor, jeden Augenblick durch Einsturz neue Gefahr drohend! In den Gärten, worin noch vor kurzem fruchtbeladene Obstbäume den Blick erfreuten, nichts als schwarze Stämme, hier und da einige verkohlte Äste zum Himmel emporsteckend, zuweilen wohl auch noch an einigen Zweigen gebratene Äpfel tragend. Sonst alles versengt und zerstört und der Wein mit seiner Traubenfülle verbrannt. Dagegen war mitten in dieser Öde auch die Natur neu erwacht. Denn in einigen Gärten war infolge der Glut und vielleicht auch infolge der vorhergegangenen Sommerhitze junger Spargel in die Höhe geschossen, sodass man im September Spargelsuppe genießen konnte.
So lagen der Neumarkt mit Ausnahme der Nordseite, der größte Teil der Altoschatzer- und Hospitalgasse, die kleine Webergasse, der größte Teil der oberen und unteren Rosmaringasse, ein großer Teil des Brühls und der breiten Webergasse, sowie die Hälfte der Badergasse, des Kirchgässchens und der Nonnengasse nebst einigen Häusern am Altmarkt, in allem 133 Hauptgrundstücke (worunter die größten und schönsten Häuser) und 157 Nebengebäude sowie 8 Scheunen, zusammen also 316 Gebäude in Schutt und Asche und frei schwebte jetzt der Blick vom Markt aus auf benachbarte Felder und Wiesen! Außerdem waren 41 Gebäude zur Verhütung der Weiterverbreitung des Feuers niedergerissen oder durch die Löschanstalten beschädigt, – in allen diesen Gebäuden aber über 300 Familien mit ungefähr 1.500 Personen ihres Obdachs, noch viel mehrere aber eines großen Teils ihrer Habe beraubt worden.
Diesen zu helfen war jetzt die heiligste Pflicht und es wurde daher schon am Morgen im Gasthofe zum Löwen, woselbst

S. Exc. Herr Staatsminister von Nostitz und Jänkendorf,
Herr Kreisdirektor von Falkenstein aus Leipzig,
Herr Hofrat Streubel aus Dresden,
Herr Amtshauptmann von Welck aus Grimma,
welche insgesamt teilnehmend in unsere Mitte geeilt waren, sich eingefunden hatten, unter Zuziehung der Herren
Superintendent M. Liebe,
Landgerichtsdirektor Wilde,
Bürgermeister Hoffmann,
Landgerichtsassessor Auster,
Stadtverordnetenvorsteher Müller,
Adv. und Stadtverordnetenprotokollant Dürisch,
Rittergutsbesitzer Gadegast,
sowie des Verfassers

ein Hilfsverein errichtet, dem dann noch mehrere angesehene Bürger, teils freiwillig, teils dazu aufgefordert, sich anschlossen, und welcher die Besorgung der bei der Unterstützung der Abgebrannten nötigen Geschäfte und die Annahme und Verwaltung der eingehenden milden Gaben für dieselben übernahm.
Zum Vorsteher des Vereins wurde durch Akklamation Herr Assessor Auster gewählt und mit Vereinnahmung der eingehenden Unterstützungen Herr Adv. Dürisch beauftragt, der ganze Verein aber in 4 Sektionen geteilt von denen
die erste, bestehend aus den Herren: Müller, Wagner sen., Kaufm. Winkler, Fr. Schuster, Wilh. Schuster und Aurel Richter, mit Ermittlung von Wohnungen und Unterbringung der Obdachlosen. (Durch Bemühung der genannten Herren wurde schon für die folgende Nacht allen Obdachlosen ein, wenigstens notdürftiges, Unterkommen ermittelt.
die zweite, bestehend aus den Herren: Fr. Nitzsche (an der Döllnitz), Holzförster Seyfert, Adv. Dürisch, Sup. M. Liebe, Senator Adler, Diaconus M. Zschucke, Ferd. Richter, Öser sen., Wagner jun., Lazer, D. Haase, Pflugk und Haupt, mit Übernahme und Verteilung der eingehenden Lebensmittel und sonstigen Unterstützungen,
der dritte, bestehend aus den Herren: Wilde, Hoffmann, Senator Ost, Jedicke, Winkler, Adv. Valz und dem Verfasser, mit Aufnahme der von den Abgebrannten anzumeldenden Verluste und Prüfung derselben, und
der vierte endlich, bestehend aus den Herren Gadegast, Schmidt, Albrecht, Gruhle, Scheumann, Nitzsche jun., Möbius (an der Döllnitz) und Mende (später Haubold) mit Annahme Verwendung und Beaufsichtigung der zu erwartenden Fuhren und Mannschaften sich beschäftigen sollte.
Und wohl bedurfte es des schnellen Zusammentreten dieses Vereins, denn von allen Seiten schon kamen uns Hilfeleistungen aller Art, Fuhren, Mannschaften, Lebensmittel, Geldunterstützungen zu, worüber der Rechenschaftsbericht des Vereins seinerzeit das Nähere enthalten wird. Wir erwähnen daher nur hier, dass der Stadtrat zu Wurzen bereits gestern Nachmittag durch mehrere seiner Bürger einen mit dem Abendgüterzug zu bewerkstelligende Sendung von 350 Stück Broten und 12 Tonnen Bier ankündigen ließ, und dass, noch ehe diese eintreffen konnte, außer mehreren benachbarten Gemeinden auch die Stadt Mügeln 200 Stück Brote sendete, wodurch noch den selben Abend wenigstens die dringendsten Bedürfnisse befriedigt werden konnten, während nun heute von allen Seiten so reichliche Lebensmittel, (unter anderen aus Leipzig 2.100 Pfd. Brot und 20 Tonnen Bier) eintrafen, dass regelmäßig zweimal des Tags (früh um 8 und nachmittags um 4 Uhr) Austeilungen an sämtliche Abgebrannte, denen zu diesem Behufe blecherne Marken eingehändigt wurden, stattfinden konnte.
Während aber mit herzerquickendem Wetteifer alles sich beeilte uns zu helfen und beizustehen, und diese warme Teilnahme Trost und Linderung in unsere bekümmerten Herzen sendete und manche Träne dankbarer Rührung in unsere Augen lockte: sollte doch noch auch ein Unfall den heutigen Tag bezeichnen. Der Zimmermeister Carl Heinrich Schmidt und der pensionierte Königl. Sächs. Oberwundarzt Carl Gottlob Teichmann hatten sich nämlich, der an sie gegangenen Warnungen ungeachtet in das schon bei einer früheren Gelegenheit erwähnte Baumeyersche Grundstück gewagt, um dort noch einiges retten zu helfen: als plötzlich eine Mauer einstürzte, und sie unter ihrem Schutte begrub. Der sofort angewendeten Rettungsanstalten ungeachtet, wurden sie doch tot unter demselben hervorgezogen und am Sonnabendmorgen früh in Stille beerdigt.– Friede ihrer Asche!

>Auch die kommende Nacht (vom 8. - 9. September) war noch nicht ganz ohne Gefahr, denn noch fortwährend tobten, namentlich in den erwähnten Herrmannschen und Grünertschen Häusern, die Flammen, und es bedurfte unausgesetzt, ja selbst während der folgenden Tage noch der sorgfältigsten Wachsamkeit und mannigfacher Anstrengung, bei welcher uns ebenfalls noch fremde Hilfe liebreich unterstützte. Um aber die vom Einsturz der ruinösen Giebel und hohen Essen drohende Gefahr zu beseitigen, traf, infolge hoher Anordnung des Königl. Ministerium des Innern, am 10. September ein Sapeurdetachement, bestehend aus den Korporalen Lorenz und Zeibig, den Obersapeurs Schubert I und Schubert II und den Sapeurs Wilke, Peters, Iiltzsche, Makatsch, Raum, Pleißner, Seidel und Männchen hier ein, welche denn auch unter Leitung des Herrn Ingenieurleutnant Weinlig bald alle gefährlichen Mauern und Essen mit eine Unerschrockenheit und Kühnheit beseitigten, die ihnen den Dank der Stadt wie aller Beteiligten sichert.

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