Das Haus Nr.19
und seine Geschichte
Der Grund und Boden zum Aufbau des Wohnhauses wurde am 15. Mai 1822 an
den Canitzer Johann Christian Geißler vergeben. Er verkaufte 7 Jahre
später, am 20. April 1829, das Haus mit dem dazugehörigen Garten für 200
Taler an seinen „ ... vorlängst großjährigen, der väterlichen Gewalt
entlaßenen Sohn“ Johann Gottlieb Geißler, einen Maurergesellen aus
Kleinforst. Er erscheint noch 1839 in der Liste zur Wahl der
Gemeindevertreter. Als er 1845 starb, erwarb am 1. Mai 1845 seine Witwe
Johanna Sophia Geißler den Erbanteil ihrer beiden Kinder Carl Heinrich
und Johann Gottfried. Nach den Wahllisten von 1854 bis 1869 war der Maurer Carl
Friedrich Metzger der nächste Hausbesitzer, der auch noch in den Akten
von 1878, 1882 und 1889 als Eigentümer genannt wird. Er erweiterte das
Haus 1878 durch einen Anbau, der zur Straßenseite zu mit 3 Giebeln
abschloss. Dem Maurermeister Adolph Heidrich gelang es dabei, dem Haus
ein besonderes Aussehen zu geben. Vor allem der mittlere Giebel wurde
durch den Einbau eines Rundbogenfensters und durch verzierte
Aufmauerungen besonders gestaltet. Als Krönung setzte man dem Giebel
noch eine Wetterfahne drauf. So etwas gab es bis dahin in Kleinforst noch nicht! Nach der Bauzeichnung sollten auch noch die Fenster der
beiden seitlichen Giebel oben mit einem Stichbogen abschließen. In der Bauausführung wurden
diese dann aber, sicher aus Kostengründen, weggelassen. Mit diesem Aussehen war das Haus ein richtiger „Hingucker“
geworden und es dauerte nicht lange, da hatte das Gebäude auch schon seinen Spitznamen weg. Für
die einen war es die „Burg“, für die anderen war es das „Rathaus“. Und tatsächlich war eine gewisse
Ähnlichkeit nicht zu übersehen. Der nächste Hausbesitzer war Friedrich Otto Wild, der in
einem Bauantrag am 5. April 1890 der Amtshauptmannschaft mitteilte, dass
er das Grundstück von seinem Schwiegervater übernommen hat. Er baute in
diesem Jahr das Hinterhaus als Wohnhaus völlig neu auf. Vorher standen
an dieser Stelle 2 alte Nebengebäude, die abgetragen wurden. Im März 1894 erscheint dann ein neuer Eigentümer, der Steinsetzer
Wilhelm Korbisch. Er steht auch noch 1931 im Adressbuch, danach 1937
seine Erben. Letztere waren noch bis mindestens 1951 die Hauseigentümer.
1942 musste am alten Teil des Vorderhauses ein Giebel und
ein Stück Hauswand erneuert werden, um das Gebäude bewohnbar zu
erhalten. In den 50er Jahren wurde das Haus wegen Baufälligkeit gesperrt
und 1961 schließlich abgebrochen. Eigenartigerweise können sich nur noch wenige Kleinforster
an das Wohnhaus mit der Nummer 19 erinnern. Dabei war es doch mit seinen
3 Giebeln ganz besonders auffällig und für Kleinforst durchaus etwas
Besonderes.
Ursprünglich war das Haus ein einfaches Gebäude, das im
Abstand von ungefähr 2,5 Metern parallel zur Straße stand. Es hatte
damit einen Vorgarten, der mit dem bereits erwähnten Anbau 1878 überbaut wurde. Der ursprüngliche
Bau bestand aus einem massiv gemauerten Untergeschoss und einem
aufgesetzten Obergeschoss in Fachwerkbauweise. Das Dach war als
Satteldach ausgebildet und war früher einmal mit Stroh eingedeckt. Die
Grundfläche des Hauses hatte nur eine Abmessung von etwa 11 x 5,5
Metern. Im Untergeschoss befanden sich 2 Stuben, die Küche und der Flur
mit dem Treppenaufgang. In Obergeschoss befanden sich 2 Kammern und ein
Abstellraum. Der Eingang zum Haus lag in der Mitte des Gebäudes auf der
Rückseite. In dieser Bauweise war es ein Haus, wie die anderen Häuser in
Kleinforst auch. Vor dem Wohnhaus verlief
zur damaligen Zeit der Dorfweg, die heutige Forststraße. Straßennamen
kannte man damals noch nicht, erst 1950, mit der Angliederung
Kleinforsts an die Stadt Oschatz, bekamen die Straßen Namen und neue
Hausnummern. Bis dahin galten für ganz Kleinforst die Nummern des
Brandversicherungsverzeichnisses, die sogenannten Brandkatasternummern.
Es war ein Zufall, dass unser Haus, das die Kataster-Nr.19 hatte, auch
in der Forststraße wieder die gleiche Nummer erhielt.
Bei der Durchsicht der
Bauakte fanden sich interessante Unterlagen. Sie dokumentieren die
Geschichte des Hauses von etwa 1878 an bis zum Abbruch im Jahre 1961.
Sie geben aber auch einen Einblick in das Schicksal der Hausbewohner und
das macht das Haus für uns lebendig. Deshalb sollen nachfolgend noch
einige Ereignisse wiedergegeben werden, die sich in diesem Zeitraum im
Haus Nr.19 abspielten. Zum Teil sind sie für uns heute erschreckend und
unvorstellbar. Wie bereits oben
erwähnt, erweiterte Carl Friedrich Metzger 1878 das Haus durch einen
Anbau, um noch zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Kaum war dieser
fertig, stellte der für Kleinforst zuständige Schornsteinfegermeister
Friedrich Mühlau 1879 fest, dass es im Haus brandschutztechnische Mängel
gibt, die jederzeit zu einer Katastrophe führen könnten. Er richtete
deshalb folgende Anzeige an die Königliche Amtshauptmannschaft zu
Oschatz:
„Der ergebenst Unterzeichnete fand am 8.September d. J. beim
Kehren des Schornsteins im Hause des Handarbeiters Friedrich Metzger
Kleinforst No.19, daß auf dem Vorsaal der Rauch aus dem Fußboden
hervorquoll, ich entfernte einige Bretter und untersuchte dasselbige. 1. Das Rohr
aus der Unterstube des Miethsnehmer Franz Biedermann geht an der
Stuckdecke der Küchen 3 - 4 Ellen entlang ohne einen Zoll Abstand von
der Decke zu haben, ebenfalls befand sich unter dem Rohr eine
Brettunterlage. 2. Die
Stuckdecke der Küche, sowie der Fußboden des Vorsaals, sind ganz
versengt und verräuchert, es befand sich eine große Hitze unter dem
Fußboden. Das Rohr aus der Unterstube ist an einigen Stellen gesprungen,
wodurch der Rauch, zum Theil auch Funken, zum Rohre herausschlagen. In der Unterstube ließ ich von Stund an aufhören zu feuern
und befahl nicht eher in der Stube zu feuern, bis alles geändert ist.“
Im Auftrage der Amtshauptmannschaft untersuchte auch der
Brandversicherungsinspektor Nagel die Verhältnisse im Hause Nr.19 und
gab am 22.Oktober 1879 dazu folgenden Bericht ab: „Das in Frage befangene Rauchrohr ist allerdings in seiner
jetzigen Anlage als feuergefährlich zu bezeichnen, da dasselbe aus der
Wohnstube des Miethbewohners unmittelbar unter der schadhaften
Küchendecke hinführend, und auf Brettunterlage ruhend, nach dem
Schornstein geleitet worden ist. Von der Küchendecke ist theilweise der
Putz heruntergefallen und sind die Schalbretter, sowie die Decke ganz
von Ruß geschwärzt. Wegen Abstellung dieser Mängel befragt, erklärte die
anwesende Ehefrau des Besitzers des fraglichen Grundstückes, daß
derselbe beabsichtige, eine 2te Esse aufzuführen, hierdurch den besagten
Uebelstand abzuhelfen gedenke. Dem Metzger dürfte daher aufzugeben sein, diesen Essenbau
sobald wie möglich auszuführen, hierbei auch den Deckenputz der Küche zu
erneuern. Unbeachtet dieser beabsichtigten Herstellungen aber ist die
sofortige Entfernung der feuergefährlichen Rauchrohranlage zu
verlangen.“
In der Baumappe befindet sich unter dem 27.11.1879 eine
Bauzeichnung zum Einzug eines neuen Schornsteins und die Genehmigung zur
Bauausführung. Somit dürfte diese Angelegenheit erledigt worden sein. Nun befand sich auf dem Grundstück Nr.19 nicht nur das
Wohngebäude an der Straße, sondern auch noch ein Hinterhaus, das auch zu
Wohnzwecken genutzt wurde und ein Seitenwohngebäude mit Stallungen. Zum Bauzustand des Hinterhauses gibt es vom
Gemeindevorstand einen Bericht, der damals an die Amtshauptmannschaft zu
Oschatz ging: „Das in Kleinforst dem Hausbesitzer Friedrich Metzger gehörige
Hinterhaus ist in einem solchen Zustand, daß es einzustürzen droht, die
angrenzenden Nachbarn haben Beschwerde beim Unterzeichneten eingereicht,
in dem von beiden Giebeln Ziegelstücken auf deren Gebäude fallen und
Schaden anrichten. Unterzeichneter hat sich selbst überzeugt und
gefunden, daß das größte Malheur passieren kann, in dem dasselbe bewohnt
ist.“ Dazu gibt es noch eine Beurteilung des beauftragten
Bausachverständigen Herrn Thieme an die Amtshauptmannschaft, der die
Situation noch dramatischer darstellte: „Zufolge des vorstehenden Beschlusses habe ich den Metzgerschen
Gebäudecomplex Cat.Nr.19 zu Kleinforst in Augenschein genommen und
hierbei die vorstehende Gemeindevorstandsanzeige allenthalben bestätigt
gefunden. Übrigens befindet sich nicht allein das in Frage befangene
Hinterwohngebäude, sondern auch das Seitenwohngebäude in höchst
baufälligem Zustand, so daß auf eine längere Haltbarkeit und Festigkeit
dieser Bauten nicht mehr zu rechnen ist. Es ist nicht nur die
öffentliche Sicherheit gefährdet, sondern es wird auch das Leben und die
Gesundheit der Bewohner dieser Gebäude durch den baufälligen Zustand
nicht wenig mit Gefahren bedroht, so ist es dringend geboten, daß: 1.) die sofortige Räumung der Wohnungen und 2.) die
schleunigste Abtragung der beiden vorgenannten Gebäude bis auf die Parterremauern angeordnet wird.“ Durch diesen Bericht sah sich die Amtshauptmannschaft
veranlasst, sofort zu handeln und ließ per Eilboten die Anordnung zum
Räumen der Gebäude und zum Abriss bis auf die Parterremauern dem
Hausbesitzer Metzger am 23.Oktober 1889 zustellen. Dabei wurde diesem
bei Nichteinhaltung der Anordnung eine Ordnungsstrafe von 100 Mark
angedroht. In dem Schreiben heißt es u.a.: „Sollten Sie nicht spätestens morgen, den 24. dieses Monats, mit
dem Niederreißen der baufälligen Gebäude beginnen, so würde die
unterzeichnete Kgl. Baupol. Behörde nicht allein unnachsichtlich die
verwirkte Ordnungsstrafe von 100 M einziehen, sondern auch sofort
Anordnung treffen, daß die Gebäude auf Ihre Kosten zur Abtragung
gelangen. Die dortige Ortspolizeibehörde ist angewiesen, sofort
Anzeige zu erstatten, falls Sie sich in Ausführung vorstehender
Anordnung säumig zeigen sollten.“ Am 28.Oktober 1889 erschien in der Kanzleistelle der
Amtshauptmannschaft der Gemeindevorstand Kottwitz aus Altoschatz und
zeigte an, „ ... daß der Hausbesitzer Metzger in Kleinforst zwar eine
Giebelmauer seines baufälligen Hinterwohngebäudes abgetragen habe, daß
aber sonst dieses Gebäude als auch das Seitenwohngebäude gegenwärtig
immer noch bewohnt seien, und können, namentlich bei stärkeren Winde,
fragliche Gebäude jeden Augenblick einstürzen. Im guten sei weder mit dem Metzger noch mit dem
Cigarrenmacher Emil Oswald Gruhle und dem Maurer Robert Mühle etwas
anzufangen und bittet er um behördliches Einschreiten sowohl gegen
Metzger, als auch gegen die beiden Miethsbewohner.“ Daraufhin wurde eine Verfügung der Amtshauptmannschaft
erlassen, in der es heißt: „Die Miethsbewohner sind zum sofortigen Verlassen der Wohnung
aufzufordern bei Androhung von 3-tägiger Haftstrafe, und Metzger ist in
Kenntnis zu setzen, daß morgen die baufälligen Gebäude auf seine Kosten
abgetragen werden sollen.“ In einem Beschluss der Königl. Amtshauptmannschaft zu
Oschatz vom 28.10.1889 wurde der Gemeindevorstand Kottwitz angewiesen,
dass die in den baufälligen Gebäuden wohnenden Gruhleschen und
Mühleschen Familien Unterkommen eventuell im Armenhaus finden sollten. Am 29.10.1889 begibt sich der Hausbesitzer Karl Friedrich
Metzger in die Amtshauptmannschaft und zeigt an: ... daß die in dem
baufälligen Gebäude wohnenden Miethsbewohner als: der Cigarrenmacher Emil Oswald Gruhle und der Steinmetzgehilfe Robert Mühle nebst ihren Familien nicht zum Verlassen der fraglichen
Wohnungen zu bewegen seien. Er habe bereits einen Giebel abtragen
lassen, sei jedoch behindert, der Verfügung der Kgl. Amtshauptmannschaft
Oschatz auf vollständiges Abtragen fraglicher Gebäude zu entsprechen,
eben deshalb, weil die vorgenannten Miethsbewohner nicht ausziehen
wollen. Er bitte unter diesen Umständen von Einziehung der
Ordnungsstrafe von 100 M absehen zu wollen.“ Daraufhin begab sich einen Tag später der Gemeindevorstand
Kottwitz in das Metzgersche Grundstück, um die Mieter zum sofortigen
Verlassen der Wohnungen zu bewegen. Unterstützung erhielt er durch den
zufällig anwesenden Herrn Distriktgendarmen Junghanns. Der weitere
Vorgang wurde im Protokoll wie folgt festgehalten: „Der Hausbesitzer Metzger wurde anwesend getroffen. Hierauf begab
man sich in die im Hintergebäude liegende Wohnung des Cigarrenmachers
Gruhle. Derselbe war heimisch und vom Zwecke der Expedition in Kenntnis
gesetzt. Es erklärte derselbe, daß er morgen früh die Wohnung verlassen
werde. Der Miethbewohner im Seitengebäude, der Steinmetzgehilfe Mühle,
war vom Orte abwesend. Da dem Gruhlschen Verlangen nicht entsprochen wurde,
erklärte derselbe darauf, daß er selbst nicht die Hand rühren werde, um
beim Räumen seiner Wohnung thätig zu sein. Man beorderte hierauf 2 Arbeiter und als man Mittags 1 Uhr
mit denselben in der Gruhlschen Wohnung anlangte, war der Gruhle fort
und hatte nur seinen 13 Jahre alten Jungen zurückgelassen. Die beiden Arbeiter begannen nun mit der Räumung sowohl
der Mühleschen als auch der Gruhleschen Wohnung und setzten die Mobilien
im Hofe ab. Während dieser Arbeiten, die bis ½ 4 Uhr dauerten, erschien
der Steinmetzgehilfe Robert Mühle. Die Schlüssel zu der Gruhleschen Wohnung und die
Thürklinke zur Mühleschen Wohnung wurde dem Herrn Gemeinde Vorstand
Kottwitz mit der Anweisung übergeben, solche morgen früh bei Ankunft der
bestellten Maurer behufs oeffnen der Wohnungen dem Metzger
auszuhändigen, da sonst die Vermuthung sehr nahe liegt, daß Metzger die
Schlüssel den betreffenden Miethbewohner zum abermaligen Benutzen ihrer
Wohnungen aushändigen werde. Gruhlen, sowohl als auch Mühlen ist eröffnet worden, daß
falls sie andere Wohnungen nicht finden würden, im Armenhause zu
Altoschatz einstweilig Aufnahme erhalten würden. Sowohl Gruhle als auch
Mühle weigerten sich, in dasselbe zu gehen, namentlich ersterer forderte
eine separate Stube, die im Parterre des Hinterwohngebäudes von der
Tochter des Besitzers Metzger bewohnt war. Anfang der Expedition ½ 11Uhr vormittags, Schluß derselben
Nachmittags ½ 5 Uhr. Der Herr Gendarm Junghanns wohnte dieser Verhandlung von
Anfang bis zum Ende bei.“ Das Protokoll wurde von allen Beteiligten unterschrieben,
nur Mühle verweigerte die Unterschrift. Dass wir die Vorgänge vom
29.Oktober 1889 so genau nachvollziehen können, verdanken wir der
außergewöhnlich genauen Schilderung des Protokollanten Koch. Das ganze Drama hätte für den Hausbesitzer Metzger fast
noch ein weiteres Nachspiel gehabt, denn am Schluss des Protokolls wurde
noch vermerkt, „ ... daß es
in gesundheitlicher Beziehung sehr wünschenswert wäre, wenn die
Düngergrube und der kurz vor dem Einsturz stehende Abtritt für die 6
Familien an einem geeigneteren Platz angelegt werden könnte, da beide
einen wahrhaft bestialischen Gestank verbreiten.“ Viel scheint sich aber in dieser Hinsicht nicht verändert
zu haben, denn erst 20 Jahre später erfolgt dazu eine direkte
Beauflagung. Doch dazu später.
Die verzweifelte Lage des Hausbesitzers Karl Friedrich
Metzger zur damaligen Zeit geht aus einem Gesuch an die Königl.
Amtshauptmannschaft zu Oschatz hervor: „Am 5. November 1889 erscheint der Maurer und Hausbesitzer Karl
Friedrich Metzger aus Kleinforst und bittet in Anbetracht seiner
bedrängten und kümmerlichen Lage, seines 74 jährigen Alters und seines
Leidens um Herabsetzung der von ihm zu zahlenden Kosten auf die Hälfte.“ Tatsächlich hatte Metzger bei der Amtshauptmannschaft mit
seinem Gesuch Erfolg, ihm wurde die Ordnungsstrafe in Höhe von 100 M
gänzlich erlassen.
Wir machen jetzt einen Sprung in das Jahr 1907, in dem es
auch einen neuen Eigentümer gibt. Der Steinsetzer Willhelm Korpisch
hatte das Haus etwa 1894 übernommen und musste jetzt eine Inspektion des
Grundstückes durch den Herrn Königlichen Bezirksarzt zu Oschatz über
sich ergehen lassen. Dabei gab es Anlass zu folgender Beanstandung: „In Ihrem Grundstück, zu welchem zwei Wohnhäuser gehören, wohnen
nach Angabe Ihrer Ehefrau 5 Familien mit 29 Köpfen. Eine weitere Wohnung
steht zur Zeit leer. Es ist aber nur ein Abort im Hofe vorhanden. Da nun vom gesundheitlichen Standpunkte aus die gemeinsame
Benutzung eines Abortes durch mehrere Familien zu beanstanden ist,
ordnet die unterzeichnete Behörde folgendes an: 1. sind fünf weitere Aborte anzulegen 2. ist die Grube entsprechend zu vergrößern Die hierzu erforderlichen Zeichnungen sind bis spätestens
zum 20. Januar 1908 in doppelter Ausfertigung zur Prüfung und
Genehmigungserteilung hierher einzureichen.“ Dagegen ging Wilhelm Korpisch in Einspruch und bat darum,
nur 3 Aborte bauen zu müssen, da in anderen Fällen in Kleinforst der Bau
von einem Abort für 2 Familien auch für ausreichend befunden wurde. Das wurde ihm auch bis auf weiteres genehmigt, obwohl das
Baugesetz vom 1. Juli 1900 eindeutig festlegte, dass aus
gesundheitlichen Gründen jede Wohnung einen Abort besitzen sollte. So wurden dann 1908 zwischen Vorder- und Hinterhaus 3
winzige Aborte in Reihenbauweise auf die Jauchengrube aufgesetzt und
jeweils mit einer einfachen Brettertür versehen. Damit war auch hier der
allgemein übliche Standard von Kleinforst erreicht.
Die Wohnverhältnisse im Grundstück muss man sich 1907 wie
folgt vorstellen: Im Vorderhaus befanden sich 2 Wohnungen mit insgesamt 106
m2 Wohnraumfläche. Das Hinterhaus hatte 4 Wohnungen mit insgesamt ca. 114 m2
Wohnraumfläche, wobei dort die Küchen besonders klein waren, sie hatten
jeweils nur eine Grundfläche von 2 m2. Von den 6 Wohnungen war damals
eine nicht belegt, in den übrigen 5 wohnten insgesamt 29 Personen.
Dieser Zustand scheint sich später nicht viel verändert zu haben, denn
lt. Adressbuch wohnten 1937 folgende Personen mit ihren
Familienangehörigen im Haus Nr.19:
Füssel, Otto Hornauer, Martha Helene Hornauer, Paul Knappe, Hildegard Knappe, August Laue, Franz Mehner, Gerhard Oemigen, Auguste Ruddigkeit, Fritz
Ruddigkeit, Friedrich |
Steinarbeiter Hausmädchen Maurer Hausmädchen Arbeiter Melker Maschinenbauer Arbeiterin Arbeiter Händler |
Jahrelang hat auch der
Friseur Kurt Höppner im Hinterhaus des Grundstückes gewohnt und dort
1922 seine Frisierstube eröffnet.
Nach dem Tode von Herrn
Wilhelm Korpisch traten gegen 1937 Korpisch´s Erben auf, die aber selbst nicht
mehr im Grundstück wohnten. In einem Schreiben vom
15.Mai 1942 an den Altoschatzer Bürgermeister Kottwitz wendet sich Frau
Emma Höppner, geb. Korpisch, an die Gemeinde und bittet um Unterstützung
zu folgendem Problem: „In unserem Grundstück Kleinforst Nr.19 droht ein Giebel
einzustürzen, sodaß ich gezwungen bin, die Leerstellung von 2 Wohnungen
hiermit sofort zu beantragen. Sie wollen bitte unverzüglich beim Bauamt
des Landrates Schritte in dieser Angelegenheit unternehmen.“
Damit sind wir wieder
bei der Geschichte des Vorderhauses. Das Gebäude hatte ja 1878 einen
neuen Anbau erhalten und 1879 wurde ein neuer zweiter Schornstein
eingezogen. Seit dem sind über 60 Jahre vergangen. Besonders der ältere
Teil des Hauses war nun in einem so desolaten Zustand, dass eine
Entscheidung zur Generalreparatur oder zum Abbruch des ganzen Gebäudes
getroffen werden musste. Bereits wenige Tage nach
ihrem Hilferuf bekam Frau Höppner vom Landrat den folgenden Bescheid: „Wie ich Ihnen bei meiner Besichtigung bereits erläutert habe,
befindet sich Ihr Grundstück Kleinforst Nr.19 in so schlechtem Zustand,
dass eine Instandsetzung namentlich mit öffentlichen Mitteln nicht mehr
verantwortet werden kann. Das Gebäude ist also alsbald mit Unterstützung
des Bürgermeisters leerzustellen und abzubrechen.“ Hierauf schaltete sich
ein weiteres Mitglied der Erbengemeinschaft ein, nämlich Herr Max
Korpisch. In seinem
Schreiben heißt es u.a.: „Ich habe als Verwalter des Grundstückes Kleinforst Nr.19 den
Mietern des betreffenden Gebäudes schriftlich mitgeteilt, daß letzteres
nach einer von Herrn Landrat zu Oschatz ergangenen Aufforderung
leerzustellen sei und sie ihre Wohnungen alsbaldig zu räumen haben und
daß ein weiteres Wohnenbleiben auf eigene Gefahr erfolgt. Da nach einer mündlichen
Äußerung des Herrn Bürgermeisters zu Altoschatz mir gegenüber eine
Stellung von Wohnungen als Ersatz für die betreffenden Mieter zur Zeit
äußerst schwer ist, so ist damit zu rechnen, daß die Mieter ihre
Wohnungen nicht räumen können. Ich frage daher hiermit an, wie ich mich
in einem solchen Falle zu verhalten hätte. Ich erlaube mir folgende
Anregung: Praktisch betrachtet,
wissen die derzeitigen Bewohner des Gebäudes ja nicht wohin. Wir haben
Kriegszeit und freie Wohnungen sind nicht vorhanden. Ich wäre erbötig,
das Gebäude wieder in bewohnbaren Zustand zu setzen, allerdings nur mit
einem 50 % igen Zuschuß aus öffentlichen Mitteln. Ich frage daher an, ob
sich die Angelegenheit, die ja bei der bestehenden Wohnungsnot eine
Kriegsmaßnahme darstellen würde, nicht auf diese Weise lösen ließe.“
Nach einer Ablehnung des
Antrages versucht es Herr Korpisch in einem Schreiben vom 1. Juli 1942
erneut: „Nach den Prüfungen sowie nach dem Kostenanschlag des von mir zu
Rate gezogenen Herrn Baumeister Görner, Oschatz, zu urteilen, erscheint
es ohne weiteres möglich, durch eine bauliche Instandsetzung des
fraglichen Giebels meines Grundstückes Kleinforst Nr.19, den Mietern
ihre Wohnstätten zu erhalten. Es ist wohl einleuchtend, daß der Herr
Baumeister Görner als Fachmann sein Urteil über den Zustand des Gebäudes
abgegeben hat. Allein der von genanntem Herrn eingereichte
Kostenanschlag dürfte für sich die Möglichkeit in sich bergen, als
Argument für meine obigen Ausführungen zu dienen. Zum anderen ist heute
wohl kaum die Zeit dazu, deutsche Volksgenossen ohne weiteres auf die
Straße zu setzen und sie gewaltsam in Notunterkünfte zu pressen, wo es
eine Möglichkeit gibt, letzteres von ihnen fernzuhalten.“ Dieses Gesuch hatte nun
tatsächlich Erfolg und das Haus Nr.19 entging damit erst einmal
haarscharf dem Abriss. Die Baugenehmigung für
die Instandsetzung wurde am 15. August 1942 erteilt und schrieb vor, das
Giebelmauerwerk gut zu gründen und mit dem übrigen Mauerwerk, den
Balkenlagen und dem Dachverbandholz sorgfältig zu verankern. Die Fertigstellung
dieser Maßnahme wurde am 21.10.1942 mit dem Vermerk angezeigt, dass die
Erneuerung des Giebels und eines Teiles der Längsmauer einwandfrei
erfolgte. Bauausführender war der Baumeister Görner.
Die Geschichte unseres
Hauses setzt sich in den Bauakten 1950 fort. In einem Einschreiben vom
2. September teilt das Bauaufsichtsamt der Stadt Oschatz Herrn Max
Korbisch folgendes mit: „Bei einer Besichtigung Ihres Grundstückes durch den
Bausachverständigen des Stadtrates zu Oschatz wurde festgestellt, daß
das Vordergebäude so baufällig ist, daß dasselbe unverzüglich
abgebrochen werden muß. Bei dem rechtsseitigen
Giebel besteht Einsturzgefahr und es muß von Seiten des
Bauaufsichtsamtes der Durchgang, welcher für die Mietparteien des
Hintergebäudes bestimmt ist, gesperrt werden. Da eine Sperrung den
Mietern des Hinterhauses die Möglichkeit nimmt, überhaupt in das
Hintergebäude zu gelangen, werden Sie hierdurch aufgefordert, das
Vordergebäude bis zum 15.9.50 so abzusteifen, bzw. zu sichern, daß bei einem Einsturz die
Passage gewährleistet bleibt, oder das Gebäude abzubrechen. Das Wohnungsamt der
Stadt Oschatz hat von dem Bauaufsichtsamt die Anweisung erhalten, die
Wohnungen des Vordergebäudes sofort als Wohnraum zu sperren.“ Für das Haus Nr.19
bedeutete diese Anordnung eigentlich das Ende. Und dennoch stand es
1961 immer noch und erlebte sogar noch einen Besitzerwechsel. Herr
Richard Müller kaufte das Grundstück mit all seinen Gebäuden und
Problemen von der Erbengemeinschaft Korpisch ab.
Mit einem Schreiben vom
8. Februar 1961 des Kreisbauamtes beim Rates des Kreises Oschatz geht es
nun weiter: „Bei der Überprüfung Ihres Antrages auf Hobeldiele stellten wir
fest, daß auf Ihrem Grundstück ein baufälliges, z. Zt. nur als
Abstellraum genutztes Wohngebäude, steht. Es wird Ihnen hierdurch
mitgeteilt, daß vor Inangriffnahme der Abbrucharbeiten ein Abbruchantrag
beim Kreisbauamt Oschatz einzureichen ist.“ Das scheint nun
endgültig das Ende unseres Hauses zu sein, zumal jetzt Herr Müller ein
paar Tage danach auch tatsächlich um die Abbruchgenehmigung nachsucht
und ihm diese auch am 9. März 1961 erteilt wird. Der Abbruch hatte in
Eigenleistung zu erfolgen, noch brauchbares Baumaterial sollte
ordnungsgemäß gelagert und einer Wiederverwendung zugeführt werden.
Selbst die Schuttmassen sollten teilweise im Straßenbau Wiederverwendung
finden. So endete nun unser Haus mit der Nummer 19 nach 139 Jahren! An seiner Stelle
befinden sich heute ein Vorgarten und eine Garage. Kaum jemand erinnert
sich heute noch daran, auch deshalb wurde diese Geschichte geschrieben.
Immerhin konnten wir das Haus ein ganzes Stück in seiner wechselvollen
Geschichte begleiten. Absichtlich wurden dabei viele Texte wörtlich
wiedergegeben. Dieser Beitrag sollte aber auch an die Menschen erinnern,
die einmal darin gewohnt haben und an die Zustände, unter denen sie
damals leben mussten. Es ist ein großes Glück, dass wenigstens noch ein
Foto von etwa 1910 erhalten geblieben ist, auf dem das Wohnhaus und ein
Teil seiner Bewohner abgebildet sind.
Übrigens, das Hinterhaus
von 1890 steht heute noch und hat sich in der Ansicht, bis auf einen
angebauten großen Wintergarten zur Hofseite zu, auch nicht wesentlich
verändert.
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