Wie viele Tausende mögen im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte beim Gang durch die Stadt nach dem Rathause emporgeblickt haben, um zu sehen, wieviel es dort geschlagen
hat! Aus dem ältesten und erhaltenen Stadtbuche wissen wir, dass es in Oschatz schon um das Jahr 1430 eine öffentliche Uhr gab, deren „Seiher“ für die Gerichtsverhandlungen galt. Als es zu Luthers Zeiten den Leuten hier gut ging und sie
gern in den zahlreichen „Bierorten“ beim einheimischen Getränk in einem der elf (!) Brauhäuser saßen, hielt man streng auf die Polizeistunde und bestrafte diejenigen, „die über die Zeit gesessen, so neun hora hält“. Das war
im Winter, Im Sommer ging man bereits um 8 Uhr nach Hause, weil der Tag früher wieder anfing. Wir wissen freilich nicht, wo damals die maßgebliche Uhr angebracht war. In den Innungen wendete man einen anderen Zeitmesser an, Wenn der Zunftmeister
seine Innungsgenossen zu einer Besprechung zusammenrief, zündete er eine Kerze an. Wer nicht da war, ehe sie niederbrannte, galt als „verspätet“. Die erste Uhr, von der wir etwas Genaueres wissen, kam auf das Rathaus, und zwar in den
Giebel, nach dem großen Brande von 1616. Diese Rathausuhr war wohl damals und noch lange Zeit die einzige Uhr der Stadt und spielte darum eine große Rolle. Sie hielt sich in einzelnen Teilen bis zum Brande von 1842. Sie war eine der früher so beliebten
und in einigen Städten noch erhaltenen sogenannten Kunstuhren („Sphärenuhr“). über der „Ziffertafel“ aus Messing befand sich eine sphärische Kugel“ aus Kupfer mit 5/4 Ellen Durchmesser im Gewicht von 41 Pfund. Die eine
Hälfte war vergoldet, die andere blau bemalt und mit elfenbeinernen vergoldeten Sternen besetzt. Sie zeigte den Mondwechsel an. Der Preis war recht hoch: 272 Gulden für die Uhr, 40 Gulden für die Kugel und dazu freie Kost für den Künstler, den
Landuhrmacher Baltzer Hohmann.
Nach mehr als 150 Jahren ersetzte das inzwischen verbrauchte Werk der Huf- und Waffenschmied Hönicke aus Sahlassan durch ein neues für 70 Reichthaler, die durch eine besondere Umlage von der Bürgerschaft aufgebracht wurden. Kurz vor den Freiheitskriegen
, 1809, verfertigte der Oschatzer Huf- und Waffenschmied Johann Gottfried Wagner der Ältere, ein verabschiedeter Unteroffizier, später langjähriger Obermeister seiner Innung und Begründer einer ganzen Dynastie von Schmieden und Tierärzten, ein neues
Werk für 250 Taler, 2½ Ellen lang, 1 Elle hoch, 22 Zoll tief. Diese solide Arbeit brach beim Brande von 1842 mit vom Dache herunter, wurde beschädigt, aber auf das Gutachten des Uhrmachers Braun hin wieder hergerichtet und versah ihren Dienst, bis eine
neue kam.
So wichtig war vor 120 Jahren eine öffentliche Uhr, dass schon wenige Wochen nach dem Brande die Verhandlungen über eine neue begannen. Aber ein Jahr verging darüber, he man den Uhrmachern I. G. Hadank und Sohn in Hoyerswerda abschloss. Sie sollte
nach dem Muster der Uhr von Belgern hergestellt werden, mit Zifferblättern von 3½ Ellen Durchmesser aus Messing, die Zeiger aus Kupferblech, im Feuer vergoldet, alle Viertelstunde schlagend, mit Pendel, Leinen, Hammerwerk und Hammerzügen. Der Preis
betrug 483 Taler 15 Neugroschen., ohne die Gewichte, die der Rat selbst beschaffte. Zu der Uhr gehörten zwei Glocken, die der damals bekannte Glockengießer Gruhl aus Kleinwelka lieferte. Die Inschriften dazu verfasste der Ratsmann F. W. Mogk. Für die
große: „Helf Gott dir, teure Stadt, nach trüben, schweren Tagen, daß ich dir mög' hinfort nur heitre Stunden schlagen!“ Für die kleine: „Achte als teures Geschenk des Himmel jegliche Stunde, nutze sie weise! Nur so machst du der Gabe
dich wert!“ Am Reformationstage 1844 ein Viertel auf 12, zu welcher Zeit die alte Uhr am 7.9.1852 beim Stadtbrande ihren Lauf beendet hatte, schlug die neue Uhr das erste Mal. Diese Uhr und weitere drei zog lange Jahre hindurch Tag für Tag bis
zum Jahr 1897 der schon genannte Uhrmacher Braun auf. Es waren die der Klosterkirche, die 1883 in der Volksschule dazugekommene und die im Postmiethaus. Ere erhielt dafür den Titel Ratsuhrmacher und – zum Teil in Naturalien in Form von
Langholzhaufen – die Summe von jährlich 124 Mark. Dafür lieferte er auch noch das Öl zum Schmieren und besorgte die kleinen Reparaturen. |
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Der Oschatzer Rathausturm Foto: W. Albrecht
Nach seinem Tode hütete nach einem kurzen Interregnum die hiesigen Uhren Herr Ernst Lehmann, der, 1850 in Grimma geboren, sich nach der Wanderschaft 1876 in Oschatz als Uhrmacher selbstständig machte.
Er gewöhnte der Rathausuhr die Unart ab, dass sie in der zweiten Stunde, wenn der große Zeiger den Berg hinaufkeuchte, nachging und dann in der ersten halben Stunde wieder vorauseilte. Solange man es ertrug, hielt er entgegen seiner Dienstanweisung an
der Oschatzer Ortszeit fest – drei Minuten vor mitteleuropischer Zeit! – damit man sicherer den Zug erreichte! Der alte freundliche Herr, der neben Uhren auch noch Antiquitäten verkaufte und einen großen Kundenkreis hatte, war wohl der
bisher bestbezahlte Oschatzer Ratsuhrmacher. Allein im Oktober 1923 (Gipfel der Inflation) erhielt er 3.255.840.000 Mark für das Aufziehen der Rathausuhr und 1.085.80.000 Mark für die Betreuung der Schuluhr.
Es gab einmal eine Zeit, wo uns kein Radio und kein Fernsehapparat viele Male während des Tages die genaue Zeit ansagte. Man hörte damals hin, ob der Türmer auf St. Aegidien die Stunden anschlug. Da der ermüdete Mann es manchmal verschlief, waren
die Nachtwächter angehalten, ihn durch einen Klingelzug zu wecken. Der Rapport eines alten Polizeidieners meldete aber, dass dies nicht immer gelang, weil der Draht zum Türmer durchgeschnitten war! 1960/61 wurde die Rathausuhr durch Curt Lehmann,
den ältesten Sohn des 1926 verstorbenen Ernst Lehmann, für elektrisch-automatischen Aufzug umgebaut. Im Stadtgebiet sind in den letzten Jahren etliche Großuhren an Geschäftshäusern verschwunden. Vielleicht waren Altersschwäche und unheilbare innere
Leiden die Todesursachen, Von der Erweiterten Oberschule gähnt nur ein verblichenes Zifferblatt herab. So schlägt den glücklichen Lehrern und Schülern wohl keine Stunde! |