Den schmucklosen Bahnhof verbindet die in
ihrem oberen Teile rechts und links mit Ahornbäumen eingesäumte Bahnhofstraße, die an mehreren größeren Fabriken
sowie dem königlichen Eichamt vorbeiführt. Die Kleinbahnen nach Strehla sowie nach Mügeln-Wermsdorf-Döbeln kreuzen sie. Von der rechtseinmündenden
Kaiserstraße eröffnet sich der Blick nach den auf Anregung der Stadt errichteten, in gefälligem Landhausstile gebauten Arbeiterwohnhäusern.
Die Bahnhofstraße endet unmittelbar vor dem großen, in einfachen Formen gehaltenen Bürgerschulgebäude - 1883 erbaut -
mit seinen weiten Schulgarten. Einige Schritte weiter, am Ende der Bahnhofstraße , liegt das alte, weinumrankte Stadtgut, in dem sich jetzt die
Wohnung des Schuldirektors befindet. An dem Eckgebäude an der Lutherstraße, in die wir nunmehr einbiegen, hat die
Reichsbanknebenstelle Unterkunft gefunden. In der Lutherstraße ist noch das Postamt, ein schlichter Rohziegelbau aus den
Jahren 1882/86 zu erwähnen. Am Gebäude der Amtshauptmannschaft wenden wir uns rechts nach der Promenade zu, nachdem wir noch dem gefälligen, modernen
Gebäude der Oschatzer Bank einen Blick zugewandt haben. Die breite Promenade, die
ehrwürdige, prachtvolle Linden und Kastanien beschatten, ist auf dem Boden der ehemaligen Festungswerke der Stadt entstanden. Weitere Spuren
alter Tage sind die Reste der Stadtmauer längs der Promenade und zwei äußerlich guterhaltene Türme von etwa 30 Meter Höhe aus den Jahren 1377 und
1488, die jedoch im Innern nicht zugänglich sind. Ein dicht bepflanzter malerischer Wallgraben erinnert noch an den ursprünglichen Stadtgraben. In der
von links einmündenden Brüderstraße liegt das Amtsgericht mit dem Gerichtsgefängnis, dessen
fast quadratischer Bau über die alte Stadtmauer hinwegragt. Den Anfang des eigentlichen Promenadenweges
schmückt das Bismarckdenkmal, ein einfacher, mächtiger Stein mit einem Bronzerelief des Altreichskanzlers.
Kurz hinter dem ersten Turme schwenken wir links nach der Kloster- und Marienkirche ab. Das jetzt zerfallene
Gebäude mit seinem eigenartigen Turme stammt aus den Jahren 1246 und diente Franziskanermönchen zur Wohnung. Im Hussitenkriege fiel die Kirche der
Zerstörung zum Opfer. Bei einem Umbau des gegenüberliegenden Archidiakonats fand man 1903 unter mehrfacher Tünche in einem gewölbten Raume, der
ehemaligen Elisabethkapelle, Freskobilder, deren Entstehung in das Jahr 1400 zurückreicht. Die Wandmalereien wurden erhalten und auf einer
Holzverkleidung rekonstruiert. Davon wurden Kopien gemacht, die in der Sammlung des hiesigen Vereins für Ortskunde sowie in der Sammlung für Baukunst
in Dresden ausgestellt sind.
Wir wenden unsere Schritte nunmehr durch die an stimmungsvollen Motiven reiche Frohngasse und gelangen am Fuße der dicken Stadtmauer bis zum
zweiten Turme. An solchen malerischen Winkelchen, wie sie die Frohngasse aufweist, ist unsere Stadt überhaupt reich, auch
in den anderen, dem modernen verkehr weniger erschlossenen Straßen finden wir sie. Von der Frohngasse gelangen wir auf die
Altoschatzer Straße, wo früher ein Stadttor die Stadt abschloss. Heute zerschneidet sie den Promenadenweg in die mittlere und obere Promenade. Am
Ende des mittleren Teiles ist ein einfacher Steinobelisk dem Andenken der 1870/71 gefallenen Oschatzer gewidmet, vor dem
ein kleiner Springbrunnen plätschert. Letzterer erhält Druck und Wasser aus einem in dem zweiten Turme untergebrachten Bassin. Die Altoschatzer
Straße führt nach den ausgedehnten Rosenfeldern, deren duftende Blüte im Sommer bezaubernd ist. Die obere Promenade, der wir folgen, führt unter einem
Blätterdache hoher Linden in behäbiger Breite bis zum Lehrerseminar, vor dem sich ein kleiner Schmuckplatz breitet.
Von dem ziemlich hochgelegenen Schmuckplatz aus sieht man auf der Höhe im Osten die neuen Kasernengebäude liegen. Rechts zweigt die durchweg in
offener gehaltene Bismarckstraße ab, die nach der in gelben Ziegelrohbau errichteten Realschule
führt. Vom Seminar aus blickt man nach dem Garnisonslazarett und dem geräumigen Lazarettgarten.
Nach wenigen Schritten kommen wir auf dem Südbahnhof der Kleinbahn nach Mügeln-Wermsdorf an. Den Schienenstrang entlang
zieht sich der Mühlgraben, dessen vorher gereinigtes Wasser das städtische Schwimmbad speist. Wie eine grüne Mauer umgibt
auf drei Seiten ein dichter Baumbestand das Bad. Es ist bewundernswert, welches köstliche Flecken Erde in dem Schwimmbad Menschenkunst geschaffen hat.
Wir lassen das Bad rechts liegen, überschreiten das Bahngleis und stehen mit wenigen Schritten vor dem Stadtpark.
An dem zum Teil steil abfallenden Gelände nach der Döllnitz zu ist ein prächtiger Park mit wohlgepflegten Wegen,
Beeten Grasflächen und Spielplätzen angelegt worden. Die ehemaligen Stadtfelder sind in einen schönen Forst mit vielen
pittoresken Partien verwandelt worden. Zahlreiche Ruhebänke, Unterkunftshütten und ein Teich mit Springbrunnen
vervollständigen diesen einzigartigen Schmuck in unmittelbarer Nähe der Stadt. Von den Unterkunftshütten sowie von den am höchsten gelegenen Weinberg
hat man eine prächtige Aussicht weit ins Land hinaus über die Stadt hinweg. Wir folgen dem Zuge der Naundorfer Straße und kommen an dem hochgelegenen
städtischen Krankenhause vorüber bis zum Douzy-Platz. Links ist das Friedrich-August-Stift,
das bedürftigen Bewohnern für ihre alten Tage Unterkunft und Unterhalt gewährt.
Rechter Hand treten wir in den Friedhof ein, dem sich ein weiteres Gotteshaus unserer Stadt, die Begräbniskirche zu
St. Georg oder Gottesackerkirche erhebt. Die Grundlagen der 1504 erbauten Kirche sind gotischen Stils, auch die Fenster
tragen diesen Charakter. Die Portale, Emporen, die nüchternen, sehr kleine Kanzel, sowie die Dachreiter verraten den Einfluss der Renaissance.
Bemerkenswert ist der 3teilige Altar.
Wir schwenken nunmehr von der Dresdnerstraße links ab, um über die Döllnitz auf der Hospitalbrücke in die
gleichnamige Straße - eine in ihrem Äußeren nichts Charakteristisches aufweisende Straße - nach dem Neumarkt
emporzugehen.
Beim Erreichen des Marktes bietet sich dem Auge des Besuchers ein wunderschönes, eigenartiges Städtebild, das an
Schönheit mancher vielgerühmten Stätte in nichts nachsteht. Der alte Brunnen, dessen Verfall allerdings unaufhaltsam ist,
stammt aus dem Jahre 1589 und ist von dem Steinmetzen Georg Richter, dem dem goldenen Brunnen zu Leipzig nachgebildet. Die krönende Brunnenfigur, ein
Löwe, hält mit der Pranke einen Schild mit dem Oschatzer Stadtwappen. Der Verein zur Erhaltung von Baudenkmälern in Sachsen hat im Verein mit dem
Stadtbauamt neuerdings von den Masken, Profilen und sonstigen Teilen des Brunnens Modelle anfertigen lassen. Da auch seine Maße genau aufgenommen sind, kann er, wie beabsichtigt, nach völligem Zerfall in denselben Formen wieder erstehen. Der Blick auf das erhöht liegende
Rathaus mit seinem breiten Renaissancegiebel, und überragt von den gotischen Türmen |
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der Aegidienkirche, zeigt eins der schönsten Städtebilder. Eine
prächtige Freitreppe mit den Bildnissen Herzog Georgs des Bärtigen uns seiner Gemahlin Barbara nebst allen Wappen seiner
Besitzungen ist eine Neuschaffung durch die Künstlerhand des Professors Steche nach dem Original. Das Rathaus selbst wurde nach seiner teilweisen
Zerstörung durch den großen Brand nach dem Plane des großen Baumeisters Semper wieder aufgeführt. In dem Torbogen des Rathauses hängen die sog.
Brüderköpfe – ein Wahrzeichen der Stadt Oschatz. Rechts vom Eingange ist durch Eisengitter der Korbpranger für Feld- und
Gartendiebe abgetrennt.; er bestand schon 1532. Am Ausgange links befindet sich der Prangerstein mit dem Halseisen. Gar mancherlei Spuren noch aus
alter Zeit, – so das Gefängnis , der "schwarze Sack", die "steinernen Flaschen" zeigen sich dem Beschauer. Dem Rathaus gegenüber
erhebt sich im Schatten alter Linden die ehemalige Hauptwache – Militär liegt seit einigen Jahren nicht mehr darin.
Davor erhebt sich ein schlichter Obelisk zu Ehren der in der Attacke bei Doucy – 31. August 1870 – gefallenen Ulanen des
hiesigen Regiments.
Das Innere des Rathauses, dessen Besichtigung jederzeit gestattet ist, birgt vor allem die Ratsstube, deren prächtige
Ornamentik und Holztäfelung sie zu einem Raume von hohem kunsthistorischen Werte machen, wie sie nur in geringer Zahl überhaupt vorhanden sind. An sie
schließt sich das feuerfeste Archiv, in dem als wertvollster Schatz eine der besten und ältesten Handschriften - stammt sie doch aus dem Jahre 1332 -
des Sachsenspiegels, des ältesten deutschen geschriebenen Rechtes von Eicke von Repkow, sowie Briefe von Luther, Melanchthon, Spalatin und Justus
Jonas aufbewahrt werden. Leider sind besonders an der ersten Handschrift die vielen Besichtigungen nicht spurlos vorübergegangen, so dass sie nicht
mehr allgemeinen Besichtigungen freigegeben werden können; nur noch in besonderen Fällen werden sie gezeigt.
Beim Austritt aus dem Rathaus stehen wir vor dem Schmuck unserer Stadt, der Aegidienkirche deren Besichtigung jederzeit gestattet ist. Auch die
Besteigung der 75m hohen Türme mit ihrem kunstvollen gotischen Bogenwerk, das in seiner Feinheit sich vom Himmel aus der Ferne wie eine
Elfenbeinschnitzarbeit abhebt, ist gestattet. Der Rundblick über Stadt und Umgegend ist prächtig. Die Grundmauern des ehrwürdigen Gotteshauses, das
rings von Bäumen umgeben ist stammen aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Nach seiner Zerstörung durch den großen Brand des Jahres 1842 wurde es in den
Jahren 1846 - 49 nach dem Plane des Nürnberger Baumeisters Heideloff wieder aufgebaut. Die Kirche besitzt in einem herrlichen Freskogemälde des Berliner
Prof. Herrmanns in dem Triumphbogen, sowie in den Glasmalereien der äußeren Fenster des Altarchores - nach dem Entwurfe des Dresdener Galeriedirektors
Julius Hübner (Jesus im Tempel und Segnung der Kindlein) - sehenswerten Schmuck. Das Schiff der Kirche erhält sein Licht
u.a. noch durch das Luther- und das Paulusfenster, zwei wertvolle Stiftungen.
Der Kirche gegenüber liegt ebenfalls auf dem Kirchplatz das alte Schulgebäude mit dem Bronzerelief des Komponistenpaares Hering - Vater und Sohn -, von denen der erstere als Korrektor in dem alten Schulhause gewirkt, und er Sohn das Licht der Welt erblickt hat.
In dem alten Schulgebäude ist auch die reichhaltige Sammlung des Vereins für Orts- und Volkskunde untergebracht worden. Sie ist jeden 1. und 3.
Sonntag im Monat von 11 – 12 Uhr unentgeltlich geöffnet.
Wir schreiten rechts den steilen Kirchberg herab und gehen über den Altmarkt, der, abgesehen
von einigen modernen Geschäftshäusern, völlig das Gepräge eines Marktes einer Kleinstadt hat. Auf dem Teil, den wir nach
Überquerung der Straße betreten, wird sich in allernächster Zeit das von Seffner-Leipzig entworfene und ausgeführte
Erzstandbild König Alberts erheben.
Durch die Strehlaerstraße gelangen wir nunmehr nach der Schmorlstraße, die sich in die Körnerstraße fortsetzt. Am
Reithaus, das der noch in Bürgerquartieren liegenden Schwadron unseres Ulanenregiments dient, an der Schützenwiese
vorbei stoßen wir auf die städtische Gasanstalt und das neue Elektrizitätswerk. Hinter ihnen weitet sich schon das Feld. Wenige Schritte in der
Körnerstraße weiter führen uns an den neuen riesigen Marthausschen Fabrikanlagen vorüber bis zum städtischen Schlacht- und
Viehhof, der seit 1904 nebst Kühlanlagen und Eisfabrik in Betrieb ist. Der Körnerstraße parallel läuft wieder die Kleinbahn Oschatz-Mügeln resp.
weiter nach Wermsdorf und Döbeln.
Vom Schlachthof müssen wir in die Bahnhofstraße einschwenken, um rechts in die Ambrosius Marthausstraße
abzubiegen, wo wir der Hartsteingutfabrik, einem erst neuen Industriezweig, einen Besuch abstatten, der gern gestattet wird. Wir müssen das kurze
Stück wieder zurückkehren, bis wir in die Bahnhofstraße einbiegen, die uns an der Zuckerfabrik, deren Besichtigung nach vorheriger Anmeldung ebenfalls
gestattet ist, vorüber zu unserem Ausgangspunkte, dem Bahnhof, zurückführt. |