Der
Schwimmmeister von Oschatz
Auszug
aus Erinnerungen an meinen Großvater, Bruno
J. Seyde, geb. 1885 in Dresden – gest. 1979 in Leipzig
In Dresden geboren und
durch die Liebe zu Ida Reimar, in Oschatz gestrandet, arbeitete mein
Großvater, der immer neue Ideen entwickelte, wie er seine Familie
durch die schwierige Zeit der Wirtschaftskrise bringen könnte, z. B.
Als Schlosser in der Oschatzer Waagenbaufabrik, als Filmvorführer und als
Handels- vertreter für Versicherungen ist er über das sächsische
Land gezogen. Anfang der 20er Jahre
bewarb er sich erfolgreich auf eine Ausschreibung der Stadtverwaltung
als Pächter für das Stadtbad.
Bruno Seyde mit seinen Kindern Horst und Inge
Die ganze Familie zog
in der Folge in das Gebäude des Stadtbades ein. Für damalige
Verhältnisse war dieses sehr großzügig geschnitten. In der oberen
Etage befanden sich 3 Räume, die als Schlafzimmer genutzt wurden und
im Erdgeschoss Wohnzimmer und Küche sowie Bademeisterbüro und
Kassiererstübchen. Einzig das Wohngebäude
ohne Anbauten steht jetzt noch vor dem neuen Spaßbad.
Das Stadtbad heute (Foto M. Eberlein)
Die zwei Wasserbecken
waren zum Teil mit Uferstreifen umsäumt und wurden mit Wasser vom
Mühlenfliess gespeist, das an der Seite mit Schleussen eingelassen
und auf der gegenüberliegenden Seite abgelassen werden konnte. Die Schleusen mussten
im Frühjahr zum füllen des Bades langsam geöffnet werden um den
Wasserspiegel auf die optimale Höhe zu bekommen. Gleichzeitig musste
aber ausreichend Wasser am anderen Ende wieder ausgelassen werden,
damit noch genug Wasser für die Mühle ankam, die am unteren Ende
des Flusses lag. Mein Grossvater hat
viel Wert auf den Begriff „Naturbad“ gelegt, weil er für die
Betreibung des Bades keine Chemie oder Chlorzusätze verwenden
musste. Durch die Pflanzungen und dem natürlichen Austausch des
Wassers ergab sich eine Selbstreinigung. Natürlich gab es nach
dem Sommer genug für ihn zu tun. Im Herbst musste die gesamte Anlage
gepflegt werden. Es wurden die Grünflächen aufgearbeitet, die
Einfriedung, Zäune repariert und Hecken geschnitten,
Umkleidehäuser wurden repariert und neu gestrichen. Oft hatte er im Winter
von der Stadtverwaltung Arbeit bekommen, welcher Art diese waren ist
mir aber nicht bekannt. Bei Minusgraden wurde
das Bad zur Eisbahn. Dann stellte Bademeister Seyde sein Grammophon
auf das Fenstersims und
|
|
legte Platten auf. Meist Walzer oder
klassische Musik, genauso gut auch die neuesten Schlager wie: „Oh,
Donna Clara,...ich hab dich tanzen gesehn.... „
Das Stadtbad im Winter / in der Mitte hinten die Schleuse
Erst durch das Bad
erlangte die Familie meines Großvaters einen Aufschwung in
finanzieller und sozialer Hinsicht. Bademeister Seyde war
stadtbekannt und durch sein
großzügiges Wesen hat er viele für sich eingenommen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an ihn
Als Attraktion für das
Bad hatte er ein ausrangiertes Militärboot organisiert, welches als
unsinkbar galt. Viele junge Männer, ja ganze Gruppen versuchten sich daran, das Boot
zum Kentern zu bringen, aber keiner schaffte es.
Das unsinkbare Boot
Als Kind war ich von
der Vorstellung fasziniert, dass meine Mutter vom Bett ins
Schwimmbecken springen konnte. In Wirklichkeit hätte ihr Bett auf
dem Flur stehen müssen... Mit keiner ihrer
Schulfreundinnen hätte sie tauschen wollen. Das Stadtbad als
unendlicher Spielraum, als Freiraum für Körper und Phantasie, barg
für die Geschwister reiche Entfaltungsmög- lichkeiten, vor allem auch
durch die gewaltfreie Erziehung ihrer Eltern.
Die Kindheit meiner
Mutter endete abrupt. 1935 lief der
Pachtvertrag für das Bad aus. Er hätte verlängert werden können.
Aber die damalige Stadtverwaltung plante, das Bad völlig um zu
gestalten. Es sollte ein Betonbecken gebaut werden.
Mein Großvater war
gegen diesen Umbau und gegen die neue Gesinnung, die in der damaligen
Stadtverwaltung vorherrschte. Um das Bad halten zu können, hätte er
auch in die Partei eintreten müssen. Dazu war er nicht
bereit. Daraufhin beschlossen er und seine Frau, Oschatz zu
verlassen, um in Leipzig neu anzufangen.
Badpächter Seyde (links) vor dem Eingang des Bades (1930)
sybille.mannig(at)gmx.de
|