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(1840-1887) – Mutter des deutschen Camembert
Ein Beitrag von Dr. Manfred Schollmeyer

Bild: Sammlung: Heinrichsthaler Milchwerke GmbH, Repro: Dr. Schollmeyer


 

Die Zeitung „Berliner Zentral-Markthalle“ schrieb am 14. Januar 1888 in ihrem Nachruf zum Tod von Agathe Zeis: „Frau A. Zeis hatte mit großem Erfolge die Herstellung feiner Fett- und Weichkäse, nach französischer Weise, sich zur Lebensaufgabe gemacht. Mit einer seltenen Energie und Hintansetzung jedes persönlichen Vorteils strebte sie dem Ziele zu, das sie sich gestellt, ihre Gesundheit und ihr Vermögen setzte sie dafür ein. Der Tod hat dem rastlosen Streben ein Ende gemacht.“ Besser konnte man die Lebensleistung der „Wegbereiterin der Deutschen Camembert-Industrie“, der „Mutter des Deutschen Camembert“, nicht würdigen.

Agathe Zeis, geb. Rudolf erblickte am 29. Mai 1840 im Oschatzer Land als Tochter von Andreas Rudolf und Dorothea Rudolf geb. Lichtenberg das Licht der Welt. Nach ihrer Schulausbildung arbeitete sie auf dem Rittergut Naundorf bei Oschatz und absolvierte hier bei dem Rittergutsbesitzer Karl Bernhard Ferdinand Edler von der Planitz (*1828, †1907) eine landwirtschaftliche Ausbildung.


Oschatzer Postgut von 1747 rechts, Hermann Alexander und Agathe Zeis
lebten  hier von 1866 bis 1876 und waren Pächter des Oschatzer Postgutes.
Sammlung: Dr. Schollmeyer, Oschatz

Wann und wo Agathe Rudolf ihren Mann Hermann Alexander Zeis (*1833, †1898) aus Podemus, zu Mobschatz einem Stadtteil von Dresden gehörend, kennengelernt und vermutlich 1863 geheiratet hat, ist nicht bekannt. Von 1866 bis 1876 ist Hermann Zeis im Brandkataster der Stadt Oschatz als „Ökonomiepächter“ bzw. „Stadtgutpächter“ genannt. Es war offensichtlich in dieser Zeit nicht üblich auch die Ehefrau im Brandkataster aufzuführen. Möglicherweise hat die lokale Kenntnis von Agathe Zeis bewirkt, dass das Ehepaar 1866 das Oschatzer Postgut an der Promenade, in dem sich die Posthalterei bis 1874 befand, von dem Posthalter Adolph Albert Ackermann gepachtet hat. Am 29. Oktober 1874 erhielt Hermann Zeis das Bürgerrecht der Stadt Oschatz. Der Pachtvertrag endete vermutlich 1876, denn schon 1877 kaufte Hermann Zeis das 57 Hektar große Vorwerk Heinrichsthal bei Radeberg. Mit der Übernahme des Vorwerkes begann eine beispiellose und erfolgreiche Entwicklung in Heinrichsthal sowie zunächst eine fruchtbare Zeit für das Ehepaar Zeis.

Am 01. Juli 1880 gründete Agathe Zeis die „Haushaltungsschule & Lehrmeierei Heinrichsthal“. Es war sicher das besondere Ziel von Agathe Zeis, ihren Schülerinnen und Hospitantinnen neben der Haushaltungskunde, dem Gemüseanbau und der Geflügelzucht die „Verarbeitung von Milch zu Butter, Quark, Fettkäse und geruchlosen Kümmelkäse beizubringen“. Da verwundert es nicht, dass zahlreiche Schülerinnen und Hospitantinnen aus Deutschland und Europa den Weg nach Heinrichsthal fanden und in mehrwöchigen Kursen, auch mit Stipendien der sächsischen Königin Carola (*1833, †1907), von Agathe Zeis und ihren Mitarbeitern ausgebildet wurden. In dieser Zeit entstand auch eine handschriftliche Niederschrift, in der Agathe Zeis das milchwirtschaftliche Wissen der frühen 1880er Jahre zusammenfasste und als Lehrmaterial für ihre Schülerinnen und Hospitantinnen nutzte. Die Niederschrift wurde leider nicht gedruckt, liegt aber heute noch als Manuskript vor. Auf 84 Seiten im A5-Format beschreibt Agathe Zeis zunächst die Konservierung und Kühlung, den Transport und die Verwertung der Milch. Bemerkenswert ist in diesem Kapitel ihr visionärer Hinweis: „Die Anwendung von Chemikalien zur Konservierung der Milch ist zu verwerfen und nur ausnahmsweise und im Notfall zulässig.“ Ausführlich schildert sie dann die Methoden der Milch-Aufrahmung und deren technische Durchführung sowie das Buttern mit den unterschiedlichsten Butterfässern.


Haushaltungsschule und Lehrmeierei Heinrichsthal in den 1880er Jahren Das undatierte Foto zeigt Agathe Zeis (1. v. links) mit ihren Schülerinnen und mit milchwirtschaftlichen Geräten. Sammlung: Museum Schloss Klippenstein, Radeberg; Repro: Dr. Schollmeyer

Agathe Zeis war aber nicht nur eine lehrende sondern auch eine lernende Milchwirtschaftlerin. Zwischen 1880 und 1882 hospitierte sie in den Molkereischulen Rastede und Groß-Himstedt in Niedersachsen und suchte die wissenschaftliche Nähe zu Professor Dr. Wilhelm Fleischmann, Nestor der deutschen Milchwissenschaft, und hospitierte bei ihm im mecklenburgischen „Meierei-Institut Raden“. Letztendlich reiste sie 1883 nach Frankreich in die Normandie, um die Herstellung des französischen Camemberts zu studieren. Es soll König Albert von Sachsen (*1828, †1902) gewesen sein, der Agathe Zeis schon 1881 anlässlich einer Ausstellung in Radeberg ermunterte, den französischen Camembert auch in Heinrichsthal zu produzieren. Er hatte den Weichkäse im Deutsch-Französischen Krieg 1870 / 1871 kennengelernt. Und so geschah es dann auch, dass 1883 / 1884 in Heinrichsthal Camembert zum ersten Mal in Deutschland hergestellt wurde. Ebenfalls 1883 wurde Agathe Zeis „Königliche Hoflieferantin“ für König Albert von Sachsen. Ein Ritterschlag, der sicher auch Produktions- und Umsatzsteigerungen sowie zunehmende Exporte zur Folge hatte und in Heinrichsthal Neubauten und Umbauten bewirkte. Die damit verbundenen zunehmenden finanziellen Belastungen waren sicher auch die Ursachen für die sich anbahnende finanzielle Schieflage des Unternehmens.

Ungeachtet dessen versuchten Agathe und Hermann Zeiss im Königreich Sachsen ein „Molkereiimperium“ aufzubauen und richteten 1884 in Löbau und 1886 in Bautzen eine Molkerei und Käserei ein, die sich aber wegen sanitärhygienischer Konflikte mit den jeweiligen Stadtverwaltungen nur bis 1887 im Besitz von Agathe und Hermann befanden.

Damit waren ihre Bemühungen im Königreich Sachsen neben Heinrichsthal, weitere Molkereien dauerhaft unter ihrem Namen einzurichten, gescheitert.

Aber auch außerhalb Sachsens, nämlich im hessischen Lauterbach, war das Ehepaar Zeis aktiv. 1886 bauten sie in der Lauterbacher Molkerei eine Käserei auf. Ob sie lediglich die Einrichtung der Käserei bewerkstelligten oder längere Zeit in Lauterbach arbeiteten, ist nicht bekannt. Während in Hessen die Arbeit von Agathe Zeis gerne in Anspruch genommen wurde und große Anerkennung fand, wurde Ihre Tätigkeit in dieser Zeit in Sachsen kaum noch beachtet. So beklagte sie 1886 in ihrem Jahresbericht an die Königliche Kreishauptmannschaft Dresden die mangelhafte Unterstützung der Heinrichsthaler Lehrmeierei, denn es sei „von keiner Seite etwas beigetragen“ worden.

  
Vorwerk Heinrichsthal um 1885 links und die Französische Käserei rechts. Im Vordergrund das Zeis-Wohnhaus mit einem sich anschließenden Verbindungsgebäude zur französischen Käserei.
Sammlung: Stadtarchiv Radeberg; Repro: Dr. Schollmeyer


Die Historiker vertreten die Auffassung, dass das Jahr 1887 ein Krisenjahr für die deutsche Milchwirtschaft war. Der rasanten Entwicklung des Molkereiwesens waren Handel und Konsum nicht gefolgt und durch das schnelle Anwachsen der Erzeugnisse entstand ein Überangebot, das eine starke Senkung der Preise zur Folge hatte.

Dass die Heinrichsthaler Meierei in finanziellen Schwierigkeiten steckte, erklärt neben dem Verkauf der Löbauer Molkerei auch die Kündigung des Pachtvertrages in Bautzen sowie die Reise von Agathe Zeis 1887 nach New York, um dort mögliche Kapitalgeber zu kontaktieren. Sie schiffte sich am 17. Juni 1887 in Bremen auf dem Dampfschiff „Werra“ ein und reiste nach New York. Gemeinsam mit wohl etwa 1500 Passagieren erreichte Agathe Zeis die amerikanische Metropole am Hudson River. Die Passagierliste für die „Werra“ des Norddeutschen Lloyd bestätigt die Ankunft von Agathe Zeis am 28. Juni 1887. Von ihrem Aufenthalt in Amerika ist überliefert, dass sie für ihren ehemaligen Schüler Charles Baumert in New York eine Käserei einrichtete, aber dass es ihr nicht gelang, frisches Kapital für die Heinrichsthaler Meierei zu beschaffen. Sie kehrte Ende August 1887 ergebnislos nach Deutschland zurück, wurde wieder mit den Zahlungsproblemen ihrer Meierei konfrontiert und musste sich mit ihrem Mann dem drohenden finanziellen Zusammenbruch des Betriebes entgegen stellen. Das Ehepaar reiste am 16. Dezember 1887 nach Bern mit dem Ziel, den bekannten und befreundeten Milchwirtschaftler Anderegg zu treffen, um erneut Kapital für die Heinrichsthaler Meierei zu beschaffen. Wie schon in New York 1887 scheitert auch in Bern das finanzielle Vorhaben.

Agathe Zeis, so wird es überliefert, soll schon krank in Bern angekommen sein, musste sich in ärztliche Behandlung begeben und wurde am Heiligen Abend 1887 mit den Symptomen einer Lebererkrankung in das angesehene „Inselspital“ der Universität Bern eingewiesen. Sicher haben der schwer kranken Agathe Zeis in der Universitätsklinik alle notwendigen und damals möglichen medizinischen Behandlungsverfahren zur Verfügung gestanden – aber letztendlich erfolglos. Am 27. Dezember 1887, nur 3 Tage nach der Einlieferung in das Spital, verstarb Agathe Zeis an einem akuten Leberversagen. Viel zu früh war eine mit zahlreichen Auszeichnungen dekorierte außergewöhnliche Frau aus dem Leben geschieden. Sie wurde auf dem Berner Bremgarten-Friedhof beigesetzt. Die Grabstätte gibt es leider nicht mehr, sie wurde in den 1950er Jahren neu belegt.

Unmittelbar nach der Abreise in die Schweiz eröffnete das Königliche Amtsgericht Radeberg am 17. Dezember 1887 den Konkurs zum Vermögen von Agathe und Hermann Zeis und kündigte am 19. April 1888 die Zwangsversteigerung der im Grundbuch auf den Namen Hermann Zeis eingetragenen Grundstücke an. Diesen persönlichen Demütigungen folgte im April 1888 die Löschung der Heinrichsthaler Lehrmeierei aus dem Handelsregister. Der weitere Lebensweg von Hermann Zeis liegt im Dunkeln, es ist lediglich überliefert, dass er 1896 in Zell im Odenwald eine Molkerei gründete und im hessischen Ostheim-Niederweiler bis zu seinem Tod am 15. Oktober 1898 in der dortigen Molkerei arbeitete.
Trotz aller Widrigkeiten haben die Heinrichsthaler Milchwirtschaftler die Stürme der Zeit überstanden. Sie haben Konkurs, Zwangsversteigerung, Inflation, Weltwirtschaftskrise, nationalsozialistische Wirtschaftslenkung, Enteignung und die sozialistische Planwirtschaft gemeistert, sind in der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland angekommen und konnten 2000 ihr 120-jähriges Geschäftsjubiläum feiern.

Heute beschäftigen die Heinrichsthaler Milchwerke GmbH 350 Mitarbeiter, erwirtschaften mit 50.000 Tonnen Käse jährlich einen Umsatz von 250 Millionen Euro und gehören zu den bekanntesten Milchwerken in Sachsen. Eine Entwicklung, die Agathe Zeis – Gründerin der Heinrichsthaler Milchwerke und Mutter des Deutschen Camembert – wahrlich nicht ahnen konnte.

Grabstätte auf dem Bremgarten-Friedhof in Bern
Am 30. Dezember 1887 wurde Agathe Zeis beigesetzt.
Grabstein-Inschrift: Agathe Zeis Heinrichsthal 1840-1887,
gewidmet von ihren dankbaren Schülern.

Foto: Otto Richter, Radebeul; Repro: Dr. Schollmeyer

 


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