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So war der Sonntag herangekommen und obwohl das Feuer noch immer nicht gänzlich gelöscht war, doch jede Gefahr beseitigt. Man Beschloss daher, da die Abhaltung des Gottesdienstes in der anfänglich dazu bestimmten Gottesackerkirche bei dem aus der Umgegend zu erwartenden Andrang, bedenklich schien, die kirchliche Feier unter freien Himmel mitten unter den noch rauchenden Ruinen des Neumarktes stattfinden zu lassen.
Schon am frühen Morgen fanden sich zahlreiche Fremde in der Stadt ein und Tränen traten in aller Augen, als um 9 Uhr der Anfang des Gottesdienstes, in Ermangelung von Glocken, durch einen Zug der Geistlichkeit und der Behörden, unter Voraustritt der Lehrer und Chorschüler, welche mit Begleitung der Posaunen einen Choral sangen, bezeichnet wurde. Als aber nach Absingung des Glaubensliedes unser wackerer Diakon Herr M. Zuschcke die zu dieser Feier schnell erbaute und schwarz behangene Kanzel bestieg und mit von Tränen erstickter Stimme folgende Intonation und Kollekte:

„Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen. Ewiger allmächtiger Herrscher, der du die Winde zu deinen Dienern und die Feuerflammen zu deinen Boten machst, neige gnädig dein Ohr den Flehen deiner Kinder. Siehe an unseren Jammer und Elend, denn Verwüstung ist bei uns eingezogen und Grauen der Vernichtung umgibt uns. Darum rufen wir zu dir um Hilfe und Rettung. Reiche uns deine Rechte, zeige uns deine Wege und erquicke uns mit dem Troste deiner Gnade, dass wie in Demut deine Ratschlüsse verehren und mit Zuversicht auf dich hoffen, um deiner Liebe Willen, durch Jesum Christum,“

zu welcher die Umgebung den besten Kommentar lieferte, vortrug: da brach fast alles in lautes Schluchzen aus. Der Vorlesung von Jerem. Klagel. Kap. 3, V. 22-25 und 31-33 folgten dann die Abkündigungen, die Aufgebote, etc. und dann das schöne Hauptlied Nr. 690 des Dresdner Gesangbuchs, worauf unser hochverehrter Superintendent, Herr M. Liebe über den aus Jerem Klagel. Kap. 1 und 3 höchstpassend gewählten Text eine treffliche Predigt hielt, worin er uns aufforderte, in der furchtbaren Not, die uns betroffen habe, den Finger des Herrn zu erkennen, denn unsere Not sei seine Fügung, seine Hilfe, unsere Hoffnung und neue Entschließungen zu tätigem Christensinne müssten seine beste Segnung und unser sicherster Gewinn werden; und daran zugleich erhebende Worte des Trostes knüpfte. Dann sprach Herr M. Zschucke noch ein alle Herzen ergreifendes Gebet, das ebenso wie die Predigt bei der in lautloser Andacht versammelten Menge eine tiefe Rührung hervorbrachte, worauf nach Absingung des Liedes Nr. 687 der Zug sich in der selben Ordnung wieder in die Schule zurückbegab. – So endete eine Feier, die in jedem fühlenden Herzen einen unbeschreiblichen Eindruck zurückließ.

Erwähnung verdient noch, dass der heutige Sonntag viele Fremde (namentlich Leipziger), Behufs der Besichtigung der Brandstätte in unsere Mauern führte und das nachmittags gegen 4 Uhr der Schneidermeister Traugott Däwritz, der wegen einiger in seiner Wohnung vorgefundenen und beim Brande entwendeten Effekten in eine Kriminaluntersuchung verwickelt war, sich aus Verzweiflung über verlorene Ehre durch Erhängen den Tod gab.

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