Viermal Namenswechsel in einem Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert wurden immer wieder Straßennamen
aus politischen Gründen verändert. Vier größere Zäsuren mit
Straßennamen- Austauschkampagnen erlebte Deutschland in der jüngeren Vergangenheit:
- 1918/19 Ende des Kaiserreiches, Begründung der Weimarer Republik
- 1933 Nationalsozialistische Machtergreifung
- 1945 Ende des Nazireiches - 1989/90 Ende der DDR und Wiedervereinigung.
Für die vorliegende
Untersuchung besonders markant sind die Veränderungen von personenbezogenen Straßennamen in der Nazizeit und im
Bereich
der SBZ/DDR. Straßenumbenennungen (und Ehrenbürgerschaften) für Hitler,
Hindenburg
und andere prominente Nationalsozialisten nahmen ein solches Ausmaß an, dass Heß als Stellvertreter Hitlers am 4.8.1933
verfügte, dass um eine Entwertung des Begriffes der Ehrenbürgerschaft (mit meist begleitender Straßen- und Platzumbenennung)
zu vermeiden, Gemeindevertretungen derartige Anträge nur noch in außergewöhnlichen Fällen stellen dürfen. Dennoch wurden
Hitler und Mutschmann (dem sächsischen Gauleiter) im Februar 1934 von 1.800 (!) sächsischen Gemeinden je ein Ehrenbürgerbrief
überreicht. (1)
Entnazifizierung der Straßennamen
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Clara Zetkin
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Heinrich Mann
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Rudolf Breitscheid
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Käthe Kollwitz
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Unmittelbar
nach der Kapitulation des Deutschen Reiches Anfang Mai 1945 erfolgte unter Kontrolle der vier
alliierten Besatzungsmächte sozusagen die Entnazifizierung aller Straßennamen, die mit dem NS-System in Verbindung zu bringen
waren. Unter Anweisung der jeweiligen Besatzungsmacht nahmen die neu eingesetzten Stadt- und Gemeindeverwaltungen den Austausch
der alten und die Wahl neuer Namen vor. Bei der Wahl neuer oder der Wiederaufnahme älterer
Namen orientierte man sich vielerorts an Regeln und Traditionen, die vor 1933 gegolten hatten. Nach einem Bericht des damaligen
Berliner Magistrats sollten 1946 von 9.000 Berliner Straßen, Plätzen u.s.w. 1.889 (ca. 21%) umbenannt werden. Nach dieser
Aufstellung machten die "politischen" neuen Straßennamen nur ca. ein Achtel der Änderungen (242) aus, sie fielen
allerdings deutlich ins Auge, weil sie zentrale und repräsentative Straßen betrafen. (2)
Namen von Wissenschaftlern und Künstlern (346 = 18,32%), sowie geografische Namen
(546= 28,37%) machten den Großteil der Neuerungen aus; in lediglich 41 Fällen erfolgte eine Rückbenennung von Berliner Straßen.
Nach diesem Muster vollzog sich auch die Änderung der Straßennamen
in unserem Kreisgebiet nach 1945. Immer mehr konnten sich auch schon bis zur Gründung der DDR 1949 die Anträge der
SED-Fraktionen in den Stadtparlamenten gegen die bürgerlichen Parteien mit ihren Straßennamen-Vorschlägen durchsetzen.
Am 17.1.1950 beschloss schließlich das Politbüro der SED das Innenministerium zu beauftragen, eine "Verordnung
zur Beseitigung nicht mehr tragbarer Straßennamen" zu erlassen. Noch im gleichen Jahr startete man eine
Kampagne zur Tilgung aller Straßennamen mit militaristischen, faschistischen und antidemokratischer Prägung
oder die nach damit verbundenen Personen , Orten und Symbolen benannt waren.
Dass es sich hier um einen Austausch ideeller und damit politischer Symbole
im Sinne der neuen Machthaber in der DDR und ihrer Ideologie handelte, wird aus Vorgaben deutlich, was statt dessen
zur Benennung dienen sollte. "Als neue Benennung sind solche Namen von Personen und Orten, Begriffe oder Bezeichnungen
zu wählen, die in enger Verbindung mit der antifaschistisch-demokratischen Ordnung stehen." Dabei war vieles möglich:
Vordenker des Kommunismus, Altkommunisten, Führer der Arbeiterbewegung, Helden der neuen Zeit, sowjetische Freunde, abstrakte
Begriffe wie
Einheit, Frieden... Die neuen Namen für Straßen, Plätze usw. sollten
nationales und regionales Kulturerbe wiederbeleben und die Identifikation der Bürger mit dem DDR-Staat fördern.
Es kam sogar (wie einst im Nazireich), sowjetische Vorbilder nachahmend
(Personenkult um Stalin), zu Namensverleihungen für Straßen in der DDR, die auf noch lebende Personen von Staat
und Partei (vorübergehend) zurückgriffen (s. Stalin-Allee, Wilhelm-Pieck-Str...)
Wie wurden diese Prinzipien nach 1945 in unserem Heimatkreis
umgesetzt? In Oschatz wurden besonders zentrale Plätze und Straßen umbenannt: Der Hindenburgplatz
Ernst-Thälmann-Platz (3), der Adolf-Hitler-Platz in Platz der DSF (Deutsch-Sowjetische Freundschaft),
die Altoschatzer Straße in Leninstraße, Hospitalstraße in August-Bebel-Straße, Brüderstraße
in Alexander-Puschkin-Straße. Für den Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid (1874-1944), der im KZ
Buchenwald bei einem alliierten Bombenangriff umkam, wurde die Bismarckstraße reserviert. Immelmannstraße
(Kampfflieger im 1. Weltkrieg) in Kantstraße (Begründer der klassischen deutschen Philosophie, 1804
gestorben), Carolastraße (Gemahlin des sächsischen Königs Albert) in Käthe-Kollwitz-Straße (1867-1945,
Grafikerin und Bildhauerin), der Pestalozziweg (1746-1827, weltbekannter schweizer Pädagoge)
ersetzte nach 1945 den .Langemarkweg (belgische Gemeinde, Schlachtort des 1. Weltkrieges, wo viele deutsche
Kriegsfreiwillige verbluteten) Im Neubaugebiet West wird ein Weg
nach dem deutschen Pädagogen Friedrich Fröbel (1782-1852), dem Vater des Kindergartens, benannt.
Unsere großen Dichter Goethe und Schiller fanden auch in Oschatz nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches
für die ehemalige Boelkestraße und die Richthofenstraße (beide Jagdflieger im 1. Weltkrieg) und in das Straßenverzeichnis Eingang.
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Ernst Thälmann
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August Bebel
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Dr. Wilhelm Külz
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Erich Weinert
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Wilhelm Pieck
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Neu sind die folgenden Straßennamen (bevorzugt in Neubaugebieten):
Clara-Zetkin-Straße (1857-1933), deutsche kommunistische Politikerin,
die übrigens 1878 in Wermsdorf als Hauslehrerin tätig war (aus 800 Jahre Wermsdorf, 76).
Friedrich-Engels-Straße (1820-1895), Unternehmer und Freund von Karl Marx;
mit ihm zusammen Verfasser des "Kommunistischen Manifests" und anderer sozialistische theoretischer
Schriften. Thomas-Müntzer-Haus und in Lonnewitz eine Straße, benannt nach
dem Bauernführer und Gegenspieler Martin Luthers, Lebensdaten Müntzers: 1490(?)-1525.
Die Wilhelm-Pieck-Straße wurde bereits erwähnt (1876-1960) 1. Präsident der
DDR Karl-Liebknecht-Straße (1871-1919) deutscher Sozialdemokrat, der zusammen
mit Rosa Luxemburg als Mitbegründer der KPD von Freikorpsleuten in Berlin ermordet wurde.
Erich Weinert (1890-1953), Lyriker und Prosaautor, kommunistischer
Mitbegründer des Nationalkommitees "Freies Deutschland" in der UdSSR, wird Namensgeber einer Straße
in Merkwitz. Fritz-Heckert war nach 1945 der Namensgeber der Reithausstraße, die nach der Wende Ihren alten Namen wiederbekam. Der gebürtige Chemnitzer war Mitbegründer der Spartakusgruppe aus der der Spartakusbund hervorging. Die großen Dichter der "deutschen revolutionären
Demokratie" (wie er in einem Lehrbuch der DDR von 1953 betitelt wird) - Heinrich Heine (1797-1856) –
fand neben E. Weinert gleichfalls einen Platz unter den Oschatzer Straßennamen, wie Heinrich Mann (1871-1950),
dessen gesellschaftskritischer Roman "Der Untertan" genauso zur Pflichtlektüre in den Schulen der DDR
wie Heines Verserzählung "Deutschland – eine Wintermärchen" oder seine "Schlesischen Weber"
gehörten. (Der Text der oft noch als anonymes Volkslied bekannten "Lorelei" stammt auch von Heine!)
Straßenbezeichnungen wie "Straße der Einheit, der Arbeit, der
Freundschaft, des Friedens" oder "Neubauernsiedlung/-weg" dürften mit Sicherheit Produkte aus der
DDR-Zeit sein. Auch für nichtkommunistische Personen hatte man Platz auf
Straßennamensschildern. So für Friedrich Naumann (1860-1919), Politiker aus dem liberalen Lager und
Parteivorsitzender der Deutsch-Demokratischen Partei 1919. Gleichfalls Mitglied dieser Partei Naumanns war Dr.
Wilhelm Külz, kurzzeitig Oberbürgermeister von Dresden und Mitbegründer der LDPD in der SBZ. Nach ihm wurde in
Oschatz, aber auch in Torgau (Dr.-Külz-Ufer) Straßen benannt. Darüber hinaus wurden noch folgende Straßen nach 1945 in Oschatz
umbenannt: Albertstraße (sächsischer König) in Bergstraße,
Killingerstraße (sächsischer Minister) in Friedensstraße, Wettinstraße
in August-Stephan-Straße, Strehlaer Straße in Stalinstraße,
Stalinstraße wieder zurück in Strehlaer Straße,
Martin-Mutzschmann-Straße in Merkwitzer Straße, SA-Straße zurück in
Breite Straße, Claus v. Pape-Promenade in Freiherr-vom-Stein-Promenade,
Adolf-Hitler-Straße in Bauvereinsstraße, Hermann-Göring-Straße in
Wellerswalder Weg, Wilhelm-Gustloff-Straße in Terpitzer Weg,
Hindenburgstraße in Damaschkestraße, Ambrosius-Marthaus-Straße in Industriestraße und
Schützenstraße in Lindenstraße.
(1) Sänger, a.a.O., 71 (2) Sänger, 84 (3) In der Nazizeit hieß er Hindenburg-Platz. Nach Hindenburg hieß auch ein Teil der Promenade (nach 1945 Freiherr-vom-Stein-Promenade nach dem bedeutenden preußischen Minister und Reformer vom Anfang des 19. Jhds.) Bezug Thälmann zu Oschatz: Im Gasthof Gambrinus fand T. am 11.8.1943 bei seiner Überführung aus dem Gefängnis Hannover nach Bautzen Unterkunft (Rundblick 1/1982 S. 31)
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