Es soll ein neblig-trüber Tag gewesen sein, der 12. November 1835. Trotzdem herrschte in den Gassen von
Oschatz schon lebhaftes Treiben. Besonders am Brüdertor stauten sich die Leute; die einen standen am Straßenrand und warteten, die anderen drängten auf die
Leipziger Chaussee um weiter Richtung „Kleinneuslitzer Lehde (Öde)“ zu eilen. Dort, in der Nähe des heutigen Landrichters am Abzweig Richtung Dahlen, befand sich
die Oschatzer Richtstatt. Der Oschatzer Ratszimmermeister Lehmann hatte in den vergangenen Tagen für 110 Taler „ein Schafott und eine dabey befindliche Estrade“
errichtet. Und dort sollte sich ein über acht Jahre gehender Mord-, Raub- und Diebeszug schrecklich vollenden. Gleich vier der Hautangeklagten sollten heute vom
Scharfrichter Samuel August Fritsche aus Bischofswerda mit dem Schwert gerichtet werden. Dafür erhielt er 60 Taler, die er auch am gleichen Tag dem Justizamt
Oschatz quittierte.
Noch aber, gegen 9 Uhr, saßen die Delinquenten in der Frohnfeste, dem heutigen Museum, und beteten mit dem Diakon M. Bräunig. Dieser hatte schon am
Vorabend in der überfüllten Kirche vor den Verurteilten gepredigt.
Ein Pferdewagen mit zwei Sitzbrettern stand vor der Frohnfeste und gegen 9.45 Uhr wurden die Vier mit Fußfesseln auf den Wagen gesetzt. Vier Männer der
Oschatzer Stadtwache nahmen mit Pistolen bewaffnet auf dem Wagen Platz. Sechs Berittene mit gezogenem Säbel begleiteten den Wagen der Todgeweihten zum Schafott.
Vorn saßen
Karl Gottlob Albrecht, ein Schiffsmann aus Görzig und
Karl Gottlob Winkler, ein Häusler aus Marschütz
hinten saßen
Johann Gottfried Stein, ein Knecht aus Strehla und
Johann Gottlob Junghanß, ein Halbhüfner aus Großrügeln.
Einen Bericht über die Hinrichtung selbst gibt es nicht. Ein Polizeiregress vom 10. November 1835 untersagt allen Zeitungen und „losen Blättern“ im
Königreich Sachsen einen solchen. Auch in den Akten findet sich nur ein genauer Ablaufplan
aber kein Bericht. Allerdings regelte das „Criminalgesetzbuch des Königreich Sachsen“ die Vollstreckung. Um die
Forderung zu erfüllen, dass nicht vor den Augen der Anderen hingerichtet wird, baute der Ratszimmermann eigens ein Zelt auf dem Hinrichtungsplatz.
Neben den vier Hingerichteten waren noch 80 weitere Personen festgenommen und verhört worden. Diese Gruppe von Dieben und Räubern wurde als „Oschatzer
Bande“ in ganz Deutschland bekannt.
Gefunden habe ich diese Information beim Stöbern und Suchen im Internet. Viele Zeitschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert liegen digitalisiert vor. Im
Sommer 1835 wurde in vielen dieser Blätter eine ganz ähnliche Nachricht veröffentlicht. So in den großen Städten wie Hamburg, Köln, Stuttgart und München aber
auch in winzigen Orten wie Eisenberg in Thüringen. Hier eine Kopie aus dem „Eisenbergisches Nachrichtsblatt“ 1835/Mai Nr.30 Seite 157:
Die Vielzahl der Artikel ging auf eine gleichlautende Meldung der in Dresden erscheinenden „Polizeilichen
Mittheilungen aus dem Königreich Sachsen“ zurück. Spektakuläre Kriminalfälle haben die Leser schon immer interessiert !
Noch im „Geschichts- und Erinnerungskalender auf das Jahr 1837“; Verlag P. Sollinger in Wien wird am 16. März der Verkündigung des „Urtheils des Leipziger
Schöppenstuhles gegen die ‚Oschatzer Bande`, einer Mörder- und Raubgenossenschaft daselbst“ erinnert.
Natürlich fanden die Ereignisse auch in der Oschatzer Presse ihren Widerhall. In einer Beilage zur No. 47 vom 21. November 1835 der „Oschatzer gemeinnützigen
Blätter“ wurde die offizielle Bekanntmachung des Königlichen Justizamtmannes von Oschatz, Heisterbergk, veröffentlicht. Gleichzeitig hatte die Zeitung ein Gedicht
„Nach der Hinrichtung mehrerer Missethäter.“ als Aufmacher. Es beginnt:
O Brüder blickt mit tiefer Trauer
Hin auf das rauchende Schaffot,
Erkennet da mit Furcht und Schauer,
Den heil’gen und gerechten Gott,
Der aus der dicksten Mitternacht
Den Frevel hat an’s Licht gebracht…
Der geschäftstüchtige Oschatzer Verleger der „Blätter“ F. Oldecop ließ sich das Spektakel nicht entgehen und veröffentlichte sehr bald ein Heft „Die Raub-
und Diebesgenossen an der sächsischen Niederelbe. Aktenmäßige Schilderung“. Außerdem gab es noch die „Altarrede vor vier Raubgenossen am Vorabend ihrer
Hinrichtung gehalten und auf Verlangen in den Druck gegeben von M. Bräunig, Diakonus.“
Was war geschehen? Warum nahm es nun ein so schlimmes Ende?
In der zweiten Hälfte des 18.. Jahrhunderts versuchten Justiz und Polizei Sicherheit auf den Straßen, in den Dörfern und Städten zu garantieren. Immer
wieder schloss sich aber Diebesgesindel zu Banden zusammen und zog stehlend und raubend durch das Land.
Dagegen setzte sich der Staat mit aller Härte zur Wehr. Neben der „Allgemeine Criminalordnung Kursachsen“ wurden spezielle Gesetze erlassen, so 1749 ein
„Mandat wegen geschwinder Executirung der Räuber und Diebe“, 1753 ein „Mandat wegen Aufsuchung und Entdeckung auch Bestrafung des Diebes- und Räubergesindels“,
1762 ein „Rescript zur Todesstrafe“ und schließlich 1783 eine „Instruction, das Verfahren und Sprechen in Diebes- und Räuberfällen“. An Rechtsmitteln fehlte es
also nicht. Die Erfolge waren aber gering.
In dieser Zeit rekrutierten sich die Mitglieder der Räuberbanden zu einem guten Teil, aber keineswegs ausschließlich, aus den vagabundierenden
Unterschichten. Diesen Schichten gehörten fahrende Leute, Bettler, Dirnen, Spielleute oder Scherenschleifer, teilweise aber auch Juden und Zigeuner an und waren
„schonungslos einem ewigen Wanderleben auf der Landstraße preisgegeben”.
Verschärft wurden ihre Lebensbedingungen nicht zuletzt aufgrund einer ungenügenden Armenfürsorge sowie durch eine zunehmende Ausgrenzung und
Kriminalisierung. Erst im späten 18. Jahrhundert bahnte sich im Zuge der Aufklärung eine Trendwende an, die zumindest ansatzweise auf die soziale Integration der
Randgruppen und einer beginnenden Armenpflege abzielte. Dieser Prozess wurde jedoch in seiner Entwicklung durch Not- und Teuerungszeiten immer wieder unterbrochen
und zurückgeworfen, so dass die Vagantenpopulation beträchtlich anwuchs. Diese war gezwungen, ihre wirtschaftliches Überleben durch alternative
Überlebensstrategien wie beispielsweise der Bettelei zu sichern; der Übergang in das Gaunermilieu in Verbindung mit zunächst kleineren Diebstählen oder sogar
schweren Straftaten war dabei meist nur ein kleiner Schritt.
Besonders die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert führten auch in unserer Gegend rasch zum Anwachsen verarmter und
umherziehender Bevölkerungsgruppen.
Die in der Literatur auftretende Romantisierung der Räuber mit einem Räuberhauptmann und ständiger straffer Organisation stimmten mit der tristen
Wirklichkeit nicht überein. Sicher war J. Gottfried Stein so etwas wie der Kopf der „Oschatzer Bande“. Er hatte die längste Erfahrung und saß schon mehrfach in
Torgau in der Festung ein. Aber über die meisten Diebereien und Überfälle wurde gemeinsam beraten und beschlossen. Die Teilnehmer waren je nach Örtlichkeit
unterschiedlich. Für ihre Vorhaben brauchten sie aber sog. „sichere Häuser“ also Gaunerherbergen, in denen die Räuber Unterschlupf fanden und die Hehler trafen,
mit deren Hilfe sie ihre Beute absetzen konnten. Darüber hinaus besprachen sie sich hier mit ihren „Baldowerern”, die ihnen Hinweise auf lohnende Objekte
anzeigten. Sowohl eine Bande aus dem Jahr 1808 als auch die „Oschatzer Bande“ nutzten dazu die Garküchen in Strehla und Oschatz. Die Besitzerin der Garküche
Strehla, Christiane Juliane verw. Kurz wurde „durch zwey conforme Urthel, wegen der seit langer Zeit in ihrer Wohnung mit gänzlicher Vernachlässigung der
Allerhöchsten Policeyvorschriften, verstatteten Auflage des zahlreichen Raub-, Diebes und andern verdächtigen und Bettelgesindls, von deren gemeinschädlichen, und
von ihr allerwenigstens aus den stärksten Gründen zu vermuthenden, und nicht unbekannt gebliebenen Gewerbe, sie, des von ihnen gezogenen Gewinnstes halber der
Obrigkeit Anzeige zu errstatten, absichtlich unterlassen, zweyjährige Zuchthausstrafe, Entzug der Licenc, und die Entrichtung der durch die gegen alle in der
Garküche aufgegriffenen Delicquenten gehaltene Untersuchung aufgelaufenen Kosten“ verurteilt.
Über Strafen gegen den Wirt der Oschatzer Garküche habe ich nichts gefunden.
Bevorzugte Objekte für die Überfälle waren Mühlen, sie standen oft außerhalb der Dörfer recht einsam und die Müller gehörten auch zu der begüterten
Bevölkerung.
So wurden die Mühlen in Wölkisch, Arntitz, Collm, Zaußwitz, Clanzschwitz, Naßböhla, Heyda und die Neumühle Greudnitz bestohlen oder überfallen.
So wurden schon im Jahr 1808 sechs Mitglieder einer Strehlaer Raub- und Diebesbande hingerichtet, die u.a. den Müller in Collm beraubten und im Januar
1806 in das Hoffmannische Vorwerk in Oschatz einbrachen, den Knecht fesselten und bestahlen.
Unmittelbar nach dem Überfall in Collm kehrten sie in die Garküche in Strehla zurück, wo in einem Handstreich die meisten der Räuber gefangen wurden. Es
waren auch Oschatzer unter diesen. Die Strehlaer Truppe zog vorher zu acht Mann nach Oschatz und traf hier ebenfalls in der Garküche auf die Oschatzer Konsorten.
Dann zog man nach Collm und stürmte regelrecht mit 14 Mann die Windmühle. Auch aus einer vorher erbeuteten Flinte wurde geschossen. Dem Müller gelang es zu
entwischen und die herbei gerufenen Dorfbewohner zwangen die Bande zur Flucht. Das Raubgut konnten sie aber mitnehmen und in Klingenhain teilen.
Nun zurück zur „Oschatzer Bande“, deren meisten Mitglieder wieder aus Strehla und Umgebung stammten. Auch die Garküche in Strehla spielte wieder mit, denn
einige der „kleinen Ganoven“ gaben an, genau dort angesprochen und zum Mittun aufgefordert worden zu sein. Seit 1827 häuften sich „auf dem rechten und linken
Ufer der Elbe, da wo sie durch die niederen Gegenden des Königreichs und des Preuß. Herzogthums Sachsen fließt eine Menge Einbrüche und Diebstähle, ja selbst
Raubverbrechen und ein Mord.“
Es gelang aber über Jahre hinweg keine Festnahme. Die Unruhe in der Bevölkerung stieg. 1833 erhielt das Oschatzer Königliche Justizamt den „Hohen Auftrag“
vom sächsischen König, nun endlich die Diebe zu fangen. Wichtiger als der „Hohe Auftrag“ waren das zusätzlich bereitgestellte Geld und mehr Personal. Ein
erfahrener Untersuchungsrichter, Frank Heisterbergk, wurde abgestellt. Heisterbergk war später Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und des Sächsischen
Landtages.
Aber nur durch einen glücklichen Zufall konnte man die ganze Bande aufrollen.
Am 17. September 1833 kam eine Einwohnerin von Strehla, Frau Johanne Marie Richter, nach Oschatz in das Haus von
Gürtlermeister Voigt um Brennereigerätschaften zu verkaufen. Diese waren Tage zuvor in Dommitzsch auf einem Gutshof gestohlen worden, dessen Besitzer hatte Voigt
über den Diebstahl informiert und so übergab dieser die Frau dem Gericht. Bei der Haussuchung kam weiteres Diebesgut von einer Vielzahl von Einbrüchen zu Tage.
Nach mehreren Tagen Verhör deckte Richter alle Verbrechen auf, die er selbst kannte. Bald füllten sich die drei Gefängnisse der Stadt Oschatz. Bereits am 24.
September 1833 saßen alle wichtigen Bandenmitglieder in Untersuchungshaft. Nach und nach wurden nun alle Beziehungen der Bande, ihrer Hehler und ihrer Taten
erforscht.
Im Staatsarchiv in Leipzig findet sich dazu eine buchdicke Akte mit dem Titel: „Tabellarische Übersicht aller Verbrechen und verbrecherischen Versuche,
welche in der im Herbst 1833 vor dem Königl. Sächsisch. Justiz Amte Oschatz wider eine zahlreiche Raub- und Diebesgenossenschaft infolge Hohen Auftrages anhängig
gewordenen Kriminaluntersuchungen zu untersuchen gewesen sind, auf den Grund der ergangenen Akten mit möglichster Beobachtung der chronologischen Reihenfolge
entworfen.“
Sie listet 365 Straftaten genau auf: wann, wo, wer eingebrochen, was entwendet wurde und welchen Wert es hatte. Davon wurden 81 auf preußischem Gebiet die
restlichen 274 in Sachsen begangen.
Dieses Verzeichnis beginnt im Frühjahr 1827 Diebstähle und Raubüberfälle systematisch zu erfassen. Die Liste endet am 25. September 1832. Auch nach dem
Raubmord im April 1830 gingen die Verbrechen noch über zwei Jahre weiter. Der Schwerpunkt der Taten lag im Raum um Strehla, dort werden auch Schiffer und
Schiffsmüller bestohlen. Es gab aber auch Einbrüche in Olganitz, Treptitz, Laas, Seerhausen, beim Gerber Lochmann in Oschatz, Mannschatz wird in einer Nacht
gleich dreimal heimgesucht (beim Müller Frenzel und im Rittergut bei Steiger), bis nach Malkwitz zogen die Diebe. Selbst Kirchen sind vor ihnen nicht sicher; März
1832 wurde in die Kirchen in Prausitz und in Borna eingebrochen. Auch Einbrüche in Frauenstein im Erzgebirge und in Magdeburg gingen auf ihr Konto. Die dem
Scharfrichter Übergebenen Albrecht war an 90; Winkler an 96; Stein an 134 und Junghanss an 88 Verbrechen unmittelbar beteiligt.
Diese vier waren es auch, die den Raubüberfall in der Neumühle des preußischen Dorfes Greudnitz verübten – heute ein Ortsteil von Dommitzsch.
Ein preußischer Späher – ein Baldowerer – setzte Stein und Junghanss davon in Kenntnis, dass der Auszugsmüller Trebligar sen. zu Greudnitz für seine
Tochter eine Mitgift von 800 Talern aufbewahrte. Am 15. April 1830 suchten Stein, Winkler und Junghanss abends die Mühle auf. Sie vergifteten den Hofhund und
erkundeten die Ortschaft, konnten sich aber keine Gewissheit über die Personen und deren Widerstandsfähigkeit in der Mühle verschaffen. Deshalb wurde der Überfall
verschoben. Tags darauf wurde Junghanss als Kundschafter in die Mühle geschickt. In dem älteren Trebligar, der sich freundlich mit ihm unterhielt, lernte
Junghanss einen rüstigen Greis kennen. Daraufhin beschlossen die drei den Überfall später auszuführen und auch Albrecht, der über große Kräfte verfügte,
mitzunehmen.
Am 21. April brachen die vier bei strömenden Regen von Görzig auf. Albrecht hatte einen alten Soldatenmantel wegen des Regens an. Sie übernachteten an der
alten Elbbrücke bei Torgau und ereichten bei Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel, die einsam stehende Mühle. Sie beobachteten die Bewohner und als alle Lichter
erloschen waren stieg Winkler in das Auszugshaus ein und öffnet die Tür. Der alte Müller wurde geknebelt und gefesselt. Er sollte das Versteck verraten, tapfer
weigerte er sich. Erst als Albrecht ihn an einer Schlinge um den Hals hochhob und er zu ersticken drohte gab er das Versteck in der Mühle preis.
Nun drangen drei über das Räderwerk in die Mühle ein. Albrecht bewachte zunächst den alten Müller. Als die drei sahen, dass der junge Müller ein kräftiger
Mann war holten sie Albrecht hinzu. Der auf der Ofenbank schlafende junge Mann wurde von Albrecht am Halse gepackt und nieder gedrückt. Die anderen versuchten ihn
an Händen und Füßen zu binden. Trebligar jun. wehrte sich verzweifelt, biss um sich und riss einen Ärmelumschlag vom Mantel Albrechts ab. Nun fasste Albrecht
fester zu und erwürgte den jungen Müller. Hastig durchsuchte man Schränke und Truhen und floh in Panik, da sie wohl Angst vor dem Toten hatten. Albrechts Frau hob
den Mantel ihres Mannes auf und er war ein wichtiges Beweisstück, da der abgerissene Ärmelaufschlag an den Mantel passte. Alle Räuber beteuerten, dass sie keinen
Mord hatten begehen wollen.
Aber es waren viel mehr Bandenmitglieder aktiv, so überfielen Johann Gottfried Berge aus Laas und Johann Gottlob Böhnisch aus Leckwitz am 6. Juni 1832
eine Auszüglerin im preußischen Pausitz (angeblich im Auftrag des Auszuggebenden Gutsbesitzers!) des Nachts im Bette, ergriffen sie am Halse und warfen sie zu
Boden. Sie raubten ihr Erspartes und Sachen. Vom Schrecken erholte sich die Frau nicht wieder und verstarb wenige Wochen später.
Wer waren nun die wichtigsten Bandenmitglieder?
Sie stammten alle aus der Umgebung von Strehla und kannten sich hier gut aus. Der Kopf war wohl J. Gottfried Stein, am
10. Februar 1790 in Strehla geboren. Sein Vater, ein Zehntnerdrescher, habe ihn von der Schule zurück gehalten und ihn mit 10 Jahren an Bauern vermietet. Er konnte
nicht Lesen und Schreiben. Seinen Militärdienst leistete er von 1812 bis 1816. Danach war er Kutscher auf dem Rittergut Lampertswalde und heiratete hier. Sie
zogen nach Strehla und hier begann seine kriminelle Laufbahn, erst als Schmuggler dann als Dieb.
„Stein widmete sich nun eifrigst dem Diebesgewerbe mit aller der Gewandheit und List, welche die Natur und die Hand eines begebniß- und erfahrungsreichen
Lebens ihm gegeben hatte. Weniger begabt mit roher Körperkraft, als seine Genossen, setzte er sich bei ihnen in hohes Ansehen durch die Überlegenheit seines
Kopfes. Er rastete nicht, um Gelegenheit zu reicher Beute auszuspüren und es gelang ihm, in der Rolle bald eines Unterhändlers, oder eines Freiermannes, oder
eines Aufkäufers, zu erfahren, wo der Landmann seine ersparte Baarschaft aufbewahre…Viermal gerieth er in Criminaluntsuchung und eben so oft entging er durch
unverschämtes Abläugnen und Leistung von Reinigungseiden der gerechten Strafe.“
Seine Frau war an einigen Diebstählen beteiligt und verkaufte das Diebesgut u.a. auf dem Lorentzmarkt und sie wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt,
die sie in Waldheim verbüßte.
Über Jahre war Karl Gottlob Winkler der engste Vertraute von Stein. Jener wurde am 24. Januar 1806 in Niedersteina geboren. Sein Vater war
Leineweber und Häusler. Winkler besuchte regelmäßig die Schule und hatte eine gute Allgemeinbildung. Aber bereits in seiner Lehrzeit als Müller beging er 1825
Veruntreuungen und kleinere Diebstähle. Von seinem Lehrherren weg geschickt, verdingte er sich als Schiffsknecht. In der Folge beging er weitere Diebstähle und
wurden dreimal zu kürzeren Haftstrafen verurteilt. Seine häufigen Schiffsreisen und seine herumziehende Lebensweise – er hatte keinen festen Wohnort mehr –
verschafften ihm eine genaue Kenntnis der längs der Elbe liegenden Orte und er benutzte diese Kenntnisse bei seinen Einbrüchen. Zunächst lebte er in Torgau, ab
1827 in Strehla, wo er auch auf Stein traf. Im Bericht heißt es:
„Man kann sagen, dass sich Rath und That vereinigt hatten, als sich im Winter 1827/1828 Stein mit Winkler verband. Nur war Stein geschwätzig und
prahlerisch, Winkler vorsichtig und verschlossen, Stein der häuslichen Ordnung geneigt, Winkler dem Müssiggange, dem Spiele, dem Trunke, der Wollust ergeben. Sie
stimmten nur in dem Bestreben überein, durch Diebstahl reiche Beute zu machen.“
Ab 1831 trennten sich die beiden im Streit. Nach einem von Winkler verübten Einbruch in der Niedermühle in Oschatz lenkte wohl Stein den Verdacht auf
diesen, so dass Winkler zwei Jahre Zuchthaus in Waldheim bekam. Direkt von dort kam er im Dezember 1833 in die Fronfeste von Oschatz „wo er drei
Durchbruchversuche machte, die klug und geschickt ausgeführt, nur durch die genauen und öfteren Visitationen … vereitelt werden konnten. Winkler zog sich dadurch
eine höchst beschwerliche Haft zu…“
Aus Görzig bei Strehla stammte Carl Gottlob Albrecht, hier wurde er am 24. April 1796 als Sohn eines Halbhufners geboren. Die Familie hatte viele
Kinder und Albrecht musste auf sie aufpassen. So versäumte er lange die Schule und konnte kaum Lesen und nicht Schreiben. Er wurde zur Landwehr eingezogen,
desertierte, wurde zum Spießrutenlauf und zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Nach neuer Einberufung stahl er wieder und wurde vom Regiment in Unehren
entlassen. Zu Hause arbeitete er als Schiffsknecht. Er war groß und besaß eine ungeheure Körperkraft, die ihm bei dieser Arbeit half. Aber bereits 1821 wurde er
bei einem Diebstahl in Zaußwitz ergriffen und musste für zwei Jahre in die Zuchthäuser nach Waldheim und Torgau. 1827 wurde er von Stein und Winkler zum
Schmuggeln angeworben. „Schwerfälliger als die Übrigen an Körper wie an Geiste, ließ er sich doch zu jedem Verbrechen verleiten und benutzte selbst jede
Gelegenheit, die sich bei seiner Hanthierung zum Diebstahl darbot.“ In dieser Zeit heiratete er. Seine Frau war als Hehlerin an den Diebereien beteiligt und
verbüßte eine zweijährige Zuchthausstrafe.
Der letzte der vier Hingerichteten, Johann Gottlob Junghanss, war ein Gutsbesitzer aus Großrügeln, wo er am 30. Januar 1804 geboren wurde. Er war
begabt und ein sehr guter und eifriger Schüler. In mehreren landwirtschaftlichen Betrieben lernte er. Mit 19 Jahren starb sein Vater und er übernahm den Hof und
viele Schulden. Mit einer gefälschten Besitzurkunde erschlich er sich eine Heirat. Die Mitgift fiel nicht so reichlich aus, dass die Schulden getilgt werden
konnten. Um 1830 nahm Winkler Kontakt zu Junghanss auf und legte ihm die einfache Gewinnung von Vermögen durch Diebstahl nahe. Junghanss führte Stein und Winkler
zu seinen Verwanden in Thalheim und Klöditz und bestahl sie. Seine Mutter half dabei. Von nun an war Junghanss einer der eifrigsten Diebe, durch sein sicheres
Auftreten erkundete er die Gelegenheiten und feuerte die anderen zu immer gewagteren Verbrechen an. Selbst als sein Kumpan Richter wegen des Diebstahls der
Brennereigeräte (an dem Junghanns beteiligt war !) schon in Haft saß, ging Junghanss mit Stein und Frenzel aus Oschatz nach Wittenberg um einen Schiffer
auszurauben. Das schlug fehl und bei der Heimkehr in sein Gut wurde er verhaftet.
Dass die Bande nun gerade in der Gegend um Strehla so erfolgreich war hat mehrere Gründe. Einmal hatte die nahe Zollgrenze zu Preußen bereits ein
umfangreiches Schmuggler- und Paschergewerbe entstehen lassen. Bei nächtlichen Touren konnten reiche Einnahmen gemacht werden.
„Wie nahe lag solchen Leuten, die so oft auf nächtlichen und gefahrbringenden Wegen gingen, die Gelegenheit zur Verletzung fremden Eigenthums, wie bald war
ihre Scheu vor den Folgen des Verbrechens verschwunden!
Die Schifffahrt erleichterte noch ihr Werk, denn von den Elbkähnen entwendeten sie mit leichter Mühe werthvolle Colonialwaaren oder Getreide, und wieder
boten auch diese Fahrzeuge, dem verfolgten Verbrecher, der leicht als Schiffsknecht Aufnahme fand, einen schwer zu entdeckenden Zufluchtsort.“
Die Gerichtsverhandlung fand im Frühjahr 1835 vor dem Landgericht in Leipzig statt.
Dabei wurden am 16. März Albrecht (39 Jahre alt), Winkler (29 Jahre), Stein (45 Jahre) und Junghanss (31 Jahre) zum Tode mit
dem Rad; Böhnisch und Fritzsche zum Tode mit dem Schwert verurteilt. 13 Bandenmitglieder erhielten langjährige Zuchthausstrafen mit vorheriger Ausstellung am
Pranger in Oschatz. Zu kurzen Gefängnisstrafen wurden 43 Personen verurteilt, 26 wurden frei gesprochen. Unter den Verurteilten befanden sich sieben Frauen. Alle
legten Berufung ein. Nach neuer Verhandlung bestätigte das Hohe Appellationsgericht Leipzig am 26. Juli 1835 alle Urteile.
Zur besonders grausamen Strafe des Todes mit dem Rad führt das Gericht folgendes an:
„Das preußische Landrecht bestimmt § 1189 - §1191, in dem Falle, wenn durch die den Beraubten von den Räubern zugefügten Misshandlungen den Tod des
Beraubten wirklich befördert worden ist, die Strafe des Schwertes.
§ 1215 aber, wenn der Raub von einer Bande befördert worden ist…die Strafe des Rades.
…Es hängt daher die Umwandlung dieser letzteren Strafe von der Entscheidung der beiden Fragen ab 1.) ob in dem vorliegenden Falle der Tod des Beraubten durch
die von den Inquisitenten verübten Misshandlungen des letzteren wirklich befördert worden,
2.)und ob der vorliegende Raub als ein von einer Bande verübten zu betrachten sei?
Beide Fragen haben bejahend entschieden werden müssen…“
Die sechs zum Tode Verurteilten wanden sich um Begnadigung an den sächsischen König.
Am 5. November 1835 „geruhten Ihre Königl. Majestät und Ihre Königl. Hoheit Prinz Mitregent die Zweien zuerkannte Strafe des Schwertes in lebenswierige
Zuchthausarbeit und Ausstellung an den Pranger, die Albrechten, Winklern, Stein und Junghannßen zuerkannte Strafe des Rades aber in die Strafe des Schwertes zu
verwandeln.“
Und dieses Urteil wurde an der Leipziger Chaussee am 12. November 1835 blutig vollstreckt.
Es gab noch ein Nachspiel:
Am 7. Juli 1838 ersuchte Johanne verw. Albrecht (die Witwe des Hingerichteten) aus Görzig um eine Belohnung. Sie legte im
Zuchthaus Waldheim ein umfassendes Geständnis ab. Das eng geschriebene Protokoll ist 16 Seiten lang. Alle Diebereien und Hehlereien an denen sie beteiligt war
zählte sie auf. Überraschend gab sie noch ein bisher nicht verfolgtes Verbrechen zu: Brandstiftung. In den Jahren 1829 bis 1832 brannten in Strehla, Kleinrügeln,
Görzig-Trebnitz und Reußen Häuser ab. Die Eigentümer kassierten die Versicherungssumme. Weder Polizei noch Feuerwehr noch die Brandkasse schöpften wohl Verdacht.
Aber die Feuer wurden auf Wunsch der Hausbesitzer von Albrecht und Stein gegen Gebühr gelegt. Sie gingen dabei geschickt vor. In Kleinrügeln zündelten sie bei
einem starken Gewitter, so dass ein Blitzschlag wahrscheinlich war. In Strehla brach das gelegte Feuer in einer Räucherkammer aus, damals häufige Brandursache.
Johanne Albrecht erhoffte sich eine Belohnung von der Brandkasse, da diese nun mehrere tausend Taler zurück fordern könnte. Sie bekam nichts.
Dafür „haben Sr. Königl. Majestät und Sr. Königl. Hoheit zu bestimmen gnädigst geruht, dass den Justizbeamten Heisterbergk… Ihre höchste Zufriedenheit
über den bei dieser umfänglichen und anderen Untersuchungen bewießenen Eifer, Umsicht, Gründlichkeit und Geschicklichkeit eine Gratfikatio von Vierhundert Thalern
ausgezahlt werden.“
Dass auch die grausamen Hinrichtungen die Diebe nicht von ihren Verbrechen abgehalten haben zeigt folgender Ausschnitt aus der „Chronik der Stadt Strehla“
von Julius Kleber den mir Herr Lothar Schlegel freundlich zur Verfügung stellte:
„Wie man den Mordbuben auf die Spur gekommen ist, darüber erfahren wir folgendes:
In der Neiderschen Restauration wo sich auch eine Kegelbahn befand, hatten sich die Genossen oft versammelt und gezecht. In den letzten Tagen hatten die
Mordbuben ihre Zeche oft mit Speziestalern bezahlt. Da nun bei den letzten Verbrechen gleiche Münzen den Mordbuben in die Hände gefallen, weshalb sie auch damit
prahlten, so schöpfte man Verdacht und nahm die Verbrecher in Haft. Zuerst saßen sie hier in der Fronfeste, wo sie ein Gedicht an die Wand geschrieben haben,
welches lautet:
Als es 18hundert und 34 war
Da saßen wir hier ihrer vier.
Mit Weib und Kind und Mutter,
Die kriegten hier ihr Futter.
Die Abwartung war gut genug
Ein wenig, aber gutes Brot,
An Wasser litten wir keine Not.
Diese Gedicht hat des Amtsfrons Schuricht Sohn in der Knabenschule öffentlich vorgelesen. Der alte Vater Riedel aus Görzig hat sich dasselbe abgeschrieben
und dem Verfasser gütigst überlassen.“
Quellen:
Akten des Königlichen Landgericht Oschatz im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig:
Bestand 20071 Amt Oschatz 0017; 0018; 0021; 0022; 0023; 0024; 0348; 0385; 0386
Bestand 20024 Kreishauptmannschaft.Leipzig 0199
Bestand 20624 Stadt Schildau 1944
„Oschatzer gemeinnützige Blätter“ No. 47. 1835 und Beilage
Die Raub- und Diebesgenossen an der sächsischen Niederelbe. Aktenmäßige Schilderung; Oschatz Friedrich Oldecops Erben; 1835
Nachricht von der bey dem Creis-Amte Meißen in Inquisition gezogenen Räuber- und Diebesbande den von selbiger verübten Verbrechen, so wie von dem Erfolge des
Untersuchungs-Verfahren, den angeordneten Strafen und einer Charakteristik der dazu gehörigen Complicen; Meißen, zu haben bey dem Buchdrucker C.E. Klinkicht;
1808
Julius Kleber: Chronik der Stadt Strehla und Umgebung. Kommissionsverlag von Robert Noske, Borna und Leipzig 1909.
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