Von den Anfängen
Jede
Stadt hat einmal klein angefangen. So waren es sicher auch in der sumpfigen
Döllnitzniederung an der beschwerlichen Furt zunächst nur wenige Anwohner, die
die von weit her kommenden Wagen und Reiter versorgten und ihnen einfache
Übernachtung, Speise und Trank und handwerkliche Hilfe am Wagen und
Pferdegeschirr anboten. Dort, wo heute sich der Altmarkt erstreckt, vermutet
die Geschichtswissenschaft die alte Straße und die Anfänge einer
Siedlungsgeschichte. Auf dem nahen Hügel entstand wohl bald ein Gotteshaus,
das, wie unter Händlern üblich, dem heiligen Aegidius geweiht wird. Die Funde
im ehemaligen Tuchmacherhaus zeigen, dass sich auch eine Obrigkeit in Gestalt
eines Voigtes niederließ. Alles das geschah im frühen 13. Jahrhundert. In
jener fernen Zeit war Bildung an die Kirche gebunden, wie jede geistige Kultur.
1215 bestimme das 4. Laterankonzil (die höchste kirchliche Versammlung) im
Canon 11, dass an jeder Kirche die Errichtung einer Schule erfolgen solle,
soweit sie imstande war, einen Geistlichen für den Unterricht abzustellen.
Nach dem Niedergang Roms wurde die Kirche zum
entscheidenden Träger des Bildungswesens. Sie bewahrte das Wissen der Antike
und vermittelte das christliche Gedankengut über ganz Europa. Die Infrastruktur
dieser mittelalterlichen Bildungsvermittlung bildeten die Klöster mit ihren
kostbaren Bibliotheken. Klosterschulen wurden in innere und äußere Schulen
unterschieden. In den inneren Schulen wurden Jungen und Mädchen auf ein Leben als
Mönch oder Nonne vorbereitet. In den äußeren Schulen wurden Laienkinder, meist
adeliger Herkunft, unterrichtet. Eine solche äußere Schule bestand seit 1254
nicht weit von hier, an der Thomasschule in Leipzig. Der Unterricht fand in
lateinischer Sprache statt und bestand zunächst einmal aus religiöser
Unterweisung und Geschichte.
In Oschatz gab es noch kein Kloster, aber an
der Kirche könnte sich eine erste Schule gebildet haben, dafür spricht, das
über Jahrhunderte die Oschatzer Schule auf dem Kirchplatz war.
Unser Stadtschreiber C.S. Hoffmann vermutet
erste Schulgründungen nach 1250, hat aber keinerlei konkrete Nachrichten. Wir
müssen uns damit abfinden, das die Anfänge unserer Schule, wie so vieles aus
jener Zeit, im Dunkeln der Historie verborgen bleiben.
1365 ist das erste Datum, an dem die Sache konkret wird. Aus einer heute nicht mehr
vorhandenen Stiftungsurkunde [1] erfahren wir:
Wir
Sepphin der Stadt Oszatz Nitze Mogelin Nicol Gast Hannus coppil Nykil elderich Andreä Symmylwicz der pryster hat…So sulln y
altarlüte wer dy syn y daz iar ewycklich
an den pfarrer wer der ist gebin drey breyt’ groschn vnd syne cappelane drey vnd dem Schulmeystir drey wer
der ist daz her syngin sal mit den Schülern eyne lange vigil vnd deme kirchener eyne daz h lute czu syme
jar geczite…“ Versuch
einer Übersetzung: „…So sollen die Altarleute(die Kirchenverantwortlichen), wer
die auch sein mögen, auf ewig dem Pfarrer, wer das auch gerade ist, jährlich
drei breite Groschen geben und seinem Kaplan auch drei und dem Schulmeister
drei, wer das auch ist, dass der mit seinen Schülern eine lange Vigile (ein
Lobgesang auf die Jungfrau Maria) singe und dem Kirchner einen dazu, das er zu
seinem Jahrestag laute.“
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Es ist übrigens eine der frühesten in deutscher
Sprache abgefaßten Oschatzer Urkunden.
Also
gab es da schon eine organisierte Schule mit mindestens einem Schulmeister und
die Gründung liegt sicher bereits einige Zeit zurück, wenn der Stifter hier auf
die regelmäßigen Heilswohltaten vertraut, denen er sein Geld widmet. Kurze Zeit
später, im Jahre 1367 erfahren wir
sogar den ersten Namen eines Oschatzer Schulmeisters. Genannt wird ein Magister
Johannes de Ossacz rector parvulorum (Rektor der Knaben) als Zeuge.
[2] MÜLLER nimmt an, dass er nicht zum Kloster in Beziehung gestanden hat, wofür
sein Titel spricht.
Im
gleichen Jahr 1367 taucht in einer anderen Chemnitzer Urkunde ein „Fredericus
Macerin de Oschatz in artibus baccalarius“ auf. Das Chemnitzer Stadtarchiv
antwortete mir auf meine Anfrage zu obigen Urkundenstellen folgendes:
In den im
"Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster" edierten Urkunden konnte für 1367 "Mag. Johannes de Ossacz" nicht ermittelt werden. Er tritt weder im Zusammenhang mit den jeweiligen Parteien noch unter den Zeugen auf.
Die im Urkunden-Repertorium erfassten Urkunden dieses Jahres sind im Urkundenbuch enthalten.
In einer Urkunde vom 3. Juni 1367 (S. 29, Urk.-Nr. 32) tritt allerdings unter den Notaren "Frederico Macherin de Oschacz in artibus
baccalaureo" auf.
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Mit
dieser Historie gehört Oschatz zu den ersten Städten in Sachsen, die eine
eigene Schule vorweisen können. BLASCHKE nennt Zwickau 1291 als eine der
ersten, es folgen Dresden, Lößnitz 1304 als erste Stadtschulen. Es folgen ab
1310 Zittau, Reichenbach, Pirna, Plauen. Oschatz wird an 13. Stelle genannt.
Die Städte waren die Bildungsträger neben den Kirchen geworden.
"Aus
der Stadt kamen die Geldwirtschaft und die Schriftkultur als die beiden mächtigen Kräfte, die das
Gefüge der Gesellschaft von nun an in hohem Maße bestimmen sollten…Der neuzeitliche Staat ist ohne Geldwirtschaft und
ohne schriftliche Verwaltung nicht
zu denken, sein Interesse am Bürgertum, mit dessen Hilfe er sich wesentlich aufgebaut hat, wird an diesen
Überlegungen verständlich. Die Städte
waren die Träger des Fortschritts auch auf dem Gebiet der geistigen Bildung.“ [3]
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Gute
wirtschaftliche und politische Bedingungen trieben den Handel und das Gewerbe
in den Städten voran. Die zunehmende Komplexität des Rechts- und
Geschäftswesens forderte Kenntnisse im Lesen und Schreiben.
Als
die Kaufleute allmählich ihre Waren nicht mehr ständig selbst begleiteten und
ihre Geschäfte nicht mehr ausschließlich persönlich abwickelten, ergab sich die
Notwendigkeit einer Ausbildung umfassender Schriftlichkeit und schließlich der
doppelten Buchführung, um die Geschäfte vom heimatlichen Kontor aus verfolgen,
kontrollieren und lenken zu können. Dies und der Bedarf dieses neuen,
aufstiegsorientierten städtischen Standes an sozialem Prestige führten zu einem
Wandel der kaufmännischen Erziehung und Ausbildung, die fortan auch schulische
Bildung einschloss.
Die
kaufmännische Tätigkeit war bereits seit dem Mittelalter durch einen hohen Grad
von Schriftlichkeit geprägt. Der Erwerb von Berufswissen aus Büchern und der
Vollzug der Geschäfte durch volkssprachliche Schriftstücke erforderte und
erzeugte im Kaufmannsstand eine umfassende Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz.
Was vorher nur der Oberschicht und den
Klerikern vorbehalten war, fand nun immer mehr Vertreter im allgemeinen
Bürgertum der Städte. Auch der Oschatzer Rat bediente sich schon früh der
Schriftlichkeit und führte gegen 1400 ein „schwarzes Brett“ für Mitteilungen am
Rathaus ein. Die meisten Bürger mussten es also lesen können.
Dagegen
waren die Kloster- und Domschulen im Europa Einrichtungen des Mittelalters für eine
standesspezifische Berufsausbildung der Geistlichen, waren "Fachschulen
für den Klerus". Sie vermittelten eine grundlegende Beherrschung der
lateinischen Sprache, in der als der "lingua franca" des Mittelalters
die geistlichen Schriften verfasst waren.
Latein
war auch die Sprache der im Mittelalter entstehenden Universitäten mit ihren
Wissenschaften Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Als Rechts-Sprache war das
Latein weiter die Sprache der Verträge und Erlässe. So wurden im Spätmittelalter
auch Lateinschulen in der Trägerschaft der Städte errichtet.
Eine
weitere Quelle des frühen Bildungsbedürfnisses waren die Zünfte der Handwerker.
Gesellen und Meister mussten über weitgehende Schreib-, Lese- und
Rechenfertigkeiten verfügen. In den ältesten Zunftbüchern der Stadt Oschatz
wurde durch die Meister z.T. reihum protokolliert, Zunftordnungen mussten
verfasst und vom wechselnden Vorsitzenden vorgelesen werden. Auch die Gesellen
führten nach strengen Regeln Bruderschaftsbücher, Register usw., Rechnungen und
Quittungen wurden von den Handwerkern selbst ausgestellt. In den
Kämmereibüchern der Stadt Oschatz finden sich auch schriftlich vorgelegte Kostenanschläge
für Aufträge. So lässt sich die These formulieren, dass Handwerker durchschnittlich
wohl über einen deutlich höheren Bildungsgrad verfügten, als bisher angenommen.
Die
weiteren konkreten Quellen zur Oschatzer Schulgeschichte sind aber spärlich.
Ein Nicze Malkewitz bestimmt 1373
dem Gotteshaus St. Aegidü ein Malter Korn jährlichen Zins, und zwar 3 Scheffel
davon dem Kaplan und Schulmeister zum Lohn für Abhaltung einer Vigilie [4]
und Seelenmesse:
„…von
drein scheffelln sulln sy (die Altaristen) alle iar czu der Vigilien und Messe synes iargeczites ufsteckin fir licht
vnd ione von der vigilien capellan und dem schulmeistir...“[5]
[„…von drei
Scheffeln(Getreide) sollen sie jedes Jahr zu den Vigilien und Messen an seinem Jahrestag vier Lichter aufstecken und
einer (Scheffel) dem Kaplan und dem Schulmeister…]
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1414 stiften
fromme Bürger von Oschatz 3 Schock [6] freibergische Groschen Zins dem Rat, damit an vier Tagen in der Woche ein Salve
regina abends gesungen wird. Der Rat legte fest:
„…dem
Andächtigen hern Johanes Gvske vnszm pfarre eyn schog XV gr vnd Johan Fruste Baccal. vnszm schulmeister eyn schog und XLV gr sol
gereicht vnd gegeben werden.“ [7]
[„…dem andächtigen Herrn Johannes Gyske, unserem Pfarrer, soll 1 Schock und 15 Groschen und dem Johann Fruste, dem
Baccalaureus, unserem Schulmeister, soll ein Schock und 45 Groschen gegeben werden.“]
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Erstmals
taucht ein akademischer Titel „Baccalaureus“ für einen Lehrer auf. Er hat also
eine Universität besucht und einen Abschluß erworben. In dem langen Text gibt
es noch einen interessanten Passus, in dem festgelegt wird, wer diese Gesänge mitzugestalten
hat:
„…vnd
Johannes Frust unsz schulmeister und sine nachkommen ouch sine gsellen und schüler darzu lihen vnd unvorhindert
senden…“
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Dem
Schulmeister stehen also Gesellen zur Seite, ob das nun Hilfslehrer oder
fahrende Lehrgehilfen, ältere Schüler, die dem Lehrer beim Schul- und
Kirchendienst unterstützten, waren, bleibt offen. In einer von MÜLLER zitierten
Urkunde aus Dresden, werden als „Gesellen“ solche älteren Schüler bezeichnet.
Bemerkenswert
ist auch, dass der Schulmeister mit 1 Schock 45 Groschen mehr Geld erhält als
der Pfarrer mit 1 Schock und 15 Groschen.
1476 werden vom
Rat zu Oschatz
„…jerlich dry schog grosschen zcinß uff dem forwerge
zcu Braczschicz…eingenommen.
Sie werden ebenfalls für das tägliche Singen eines Salve gestiftet und zwar:
„…so
das wir dem pfarrer dovon eyn schog XV grosschen geben,…item eyn schog XLV grosschen dem schulmeistere,
nemlich LII ½ grosschen uff Walpurgis unde LII ½ grosschen uff Michaelis…item XXX grosschen gibt
Bernhardt Dorbach dem schulmeistere,
nemlich XV grosschen uff Wynachten unde XV grosschen uff Johanniß
Babtiste…“ [8]
[„…so das wir dem Pfarrer davon ein
Schock 15 Groschen geben,…weiter ein Schock 45
Groschen dem Schulmeister, nämlich 52 ½Groschen an Walpurgis (Ende Mai) und
52 ½Groschen an Michaelis(Ende
September)…weiter gibt Bernhard Dorbach 30
Groschen dem Schulmeister, nämlich 15 Groschen an Weihnachten und 15 Groschen an Johann Babtist(24.Juni)…“]
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1480 wird von
Dietrich von Grünrode auf Borna 40 Acker Holz für die Ausrichtung eines
wöchentlichen kostenlosen Bades für die armen Schüler der Stadt gestiftet. [9]
Im
gleichen Jahr wurde eine der ertragreichsten und umfangreichsten Stiftungen in
Oschatz getätigt, die allerdings zum Teil klösterliche Verhältnisse schuf und
vorwiegend den Gesang förderte. „Ambrosius Dhame und seine Ehegattin Christina errichten ein großes Gestift für 4 Vikare
und 6 Chorales etc.“ Auch der Schulmeister erhielt eine ansehnliche
Donation.
Ab 1490 stehen die Kämmereirechnungen der Stadt zur Verfügung und gestatten hin
und wieder Bezüge zu den Schullehrern.
Dabei
waren die Gründe für ein Ratsausgabe mitunter etwas eigenartig:
1490 wird im
Sommerregister (am Dienstag nach Kilian = 13.7.1490) abgerechnet:
"4
groschen für 12 kannen bier, die eldisten getruncken do man des schulmeister georloübt…“ [„ 4 Groschen wurden für 12 Kannen Bier ausgegeben, die die Ältesten getrunken haben, als man den Schulmeister
verabschiedete…“]
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Na,
denn Prost. Aber man hat schon vorher den Neuen zünftig begrüßt, denn bereits
am 6.7.1490 (am Dienstag nach bis. m. [bisitatio marie = 2.7.]) heißt es:
„2
gr 6 pf.für bier die eldisten getruncken do man den naven schulmeister hatte uffgenommen, usgegeben…“
[„2 Groschen und 6 Pfennige für Bier, welches die Ältesten getrunken haben als man den neuen Schulmeister aufgenommen,
ausgegeben.“]
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1491 findet sich
eine Botenrechnung, die darauf verweist, dass die Oschatzer Schule wohl zu
dieser Zeit noch mit unter Kirchenherrschaft stand. Das Patronat über die
Oschatzer Pfarre stand ab 1352 bis zur Reformation dem Klarissinnenkloster zu
Seußlitz zu. Im Sommerregister 1491 findet sich folgender Eintrag:
„1
gr. 3 pf. Bothlonn gen sewselitz zcu der Eptischin des schulmeisters halben.“
[„1Groschen und 3 Pfennig Botenlohn nach Seußlitz zu der Äbtissin, des Schulmeisters
wegen“]
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Die
Schule stand also sicher noch immer unter dem Einfluss der Kirche, wenn sie
wahrscheinlich aber auch keine reine Pfarrschule mehr war. In den meisten
Städten hat sich im 15. Jahrhundert eine Umwandlung der Pfarr- in Stadtschulen
vollzogen. Dafür gab es zwei Gründe: entweder sah sich der Rat durch das
Wachstum der Stadt und durch die Vermehrung der Bevölkerung zur Errichtung
einer eigenen städtischen Parallelschule veranlasst oder er beteiligte sich an
der baulichen Erweiterung der Pfarrschule. Diese Vorgänge liefen langsam und schleichend
ab. Meist lässt sich ein konkretes Datum für die Umwandlung nicht fassen. 1490 ist aber zum ersten Mal vom „jus patronatus“,
also vom Patronatsrecht des Rates der Stadt Oschatz die Rede.
Frühe
Schulorganisation
Bei
dem Wort „Schule“ hat jeder so seine eigenen Erinnerungen und Vorstellungen.
Alles das trifft auf eine mittelalterliche Schule nicht zu. Es war zunächst
eine kirchliche Schule. Religiöse Bildungsinhalte und Gesänge prägten diese
Ausbildung. Der Pol um den sich das Schulleben in jener ältesten Zeit bewegte,
war der unmittelbare Dienst in der Kirche und im Gottesdienst. Im Laufe der
weiteren Entwicklung kristallisierten sich, durch bürgerliche Interessen
bedingt, weitere Unterrichtsgegenstände heraus.
Wie
gering die Bildung auch in hohen kirchlichen Kreisen war (und wie vergebens der
Unterricht wohl war) zeigt folgendes Beispiel aus unserer Umgebung: am 1. Juli
1358 können von 13 Mitgliedern des Domkapitels (also der Leitung) zu Meißen
fünf (darunter der Domprobst, der Kantor und ein Archidiakon) nicht eigenhändig
unterschreiben und setzen unter die betreffende Urkunde nur ihre Zeichen.
Das
die Lernergebnisse nicht so gut waren lag sicher auch an dem Unterricht. Alle
Schüler waren meist in einer Schulstube zusammen. Klasseneinteilungen gab es noch
nicht. Der Unterricht war fast immer Einzelunterricht, bestand fast nur aus dem
Auswendiglernen und Aufsagen von Psalmen, Bibeltexten und Gesangbuchversen. Die
übrigen Schüler wurden meist durch einen Gehilfen beschäftigt oder
beaufsichtigt.
Der
Unterricht wurde in der Regel von 7.00 bis 12.00 Uhr und von 13.00 bis 16.00 Uhr
erteilt. Eingeschlossen waren darin die Kirchendienste. Regelmäßige Ferien gab
es noch nicht. Freie Tage waren der Sonntag, kirchliche Feiertage und die
Jahrmarktstage. War es im Winter zu kalt und das Heizmaterial fehlte, wurde die
Schule geschlossen. Das gleiche geschah zur Erntezeit.
Gelehrt
wurde zunächst das ABC nach der Methode: „a“, „b“ => „ab“. Meist wurde im
Chor und laut geübt. Bücher gab es nur als große Kostbarkeit – der Buchdruck
war noch nicht erfunden – Papier als Schreibgrundlage viel zu teuer und
kostbar, die Schiefer- oder die Wachstafel war das Schreibgerät. Viele Lehrer
besserten ihren kargen Lohn durch das Abschreiben von Büchern auf. Lesen und
Schreiben war in der Regel das Ziel des Anfangsunterricht. Gerechnet wurde in
den Schulen kaum. Viele Lehrer konnten es auch nicht. (Noch 1780 weigerten sich
viele sächsische Lehrer ein lukratives Lehramt an württembergischen Schulen
anzutreten, weil hier das Rechnen in allen Schulen zur Pflicht wurde!)
Im
Laufe der Zeit bildete sich ein Lehrkanon aus, der vorwiegend von den
Klosterschulen geprägt wurde: In der lateinischen Form wurden diese später auch
für die mittelalterlichen Schulen in Europa bedeutsam, die "system artes
liberales", bestehend aus dem Trivium der sprachlichen Fächer Grammatik,
Rhetorik und Didaktik und aus dem Quadrivium der Realien Arithmetik, Geometrie,
Astronomie und Musiktheorie. Damit war ein Besuch der Universität für die
erfolgreichen Schüler möglich. Viele schafften diesen Abschluß nicht.
Eine
charakteristische Eigenheit dieser Zeit waren sog. „fahrende Schüler“. Das
waren Gruppen von unterschiedlich alten Schülern, die bettelnd und auch
stehlend sich ihren Lebensunterhalt verschafften und von Stadt zu Stadt, von
Schule zu Schule zogen. Je nach Qualität der Ausbildung blieben sie dann als
Lehrgehilfen (die älteren Schüler) oder als einfache Schüler. Mit der Zeit
wurden sie zu einer regelrechten Landplage, und die Städte schützten sich vor
ihnen.
So
heißt es in der 1456 verfassten Leisniger Kastenordung, zitiert nach August
Simon: „Quellenschriften zur Geschichte der Volksschule…“
„Betteln
frembder schüler abgelegt
Kein
frembd schüler soll jnn vnserm kirchspiel jnn der stadt noch dorffern zu beteln
geliden werdenn, will aber jmanndt jnn die schule bey vnns gehen, der mag jme
selbst seine kost und narunge verschaffenn.
[Betteln für fremde Schüler abgelehnt
Kein fremder Schüler soll in unserem Kirchspiel in der Stadt noch auf den Dörfern bettelnd gelitten werden, will aber
jemand in unsere Schule gehen, dann mag er seine
Kost und Nahrung selbst aufbringen.]
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Auch in Oschatz sind fahrend Schüler gewesen,
sogar ein ganz berühmter. Durch Zufall fand ich in einem Buch meines Vaters: G.
FREYTAG Bilder aus der deutschen
Vergangenheit 2.Band einen Text von Thomas Platter, einem
schweizer Buchdrucker und Schulmann, welcher berühmt geworden ist durch seine naiv
reizvolle, eine Fülle kulturgeschichtlichen Materials bietende
Selbstbiographie, ohne Zweifel die beste ihrer Art aus dem ganzen 16.
Jahrhundert. In weltverlorener Einsamkeit im Walliser Nikolaitale verlebte er
seine Jugendjahre. Der Vater starb früh und Thomas wurde bei einem Bauer als
Geißkind verdingt. Dann nahm ihn ein Geschwisterkind, ein fahrender Schüler,
mit in die Welt hinaus. Die Abenteuer des armseligen Häufleins von „Bacchanten“
und „Schützen“ in Sachsen, Schlesien und Bayern sind als exzellente Quelle über
das tägliche Leben jener Zeit fern von höfischen und adligen Ständen
weltbekannt. Wenn sie durch Sachsen gezogen sind, sollte er da nicht auch in
Oschatz gewesen sein? Tatsächlich findet sich in seinen „Selbsterinnerungen“
folgender Text:
„Und
zog von da unser Haufe auf Halle in Sachsen, dort gingen wir in die Schule zu
St. Ullrich. Da sich aber unsere Bacchanten so ungebührlich gegen uns hielten,
besprachen sich etliche von uns den Bacchanten zu entlaufen und zogen gen
Breslau, wo gar gute Schule sein sollte… Von Ileburg (Eilenburg) zogen wir auf
Meißen zu, es war mir eine weite Reise, da ich nicht mehr gewohnt war so weit
zu ziehen und unterwegs das Essen zu gewinnen. Wir zogen also unser miteinander
sieben oder acht Schützen, unter welchen ich der kleinste war. Wenn ich nicht
gut zu gehen vermochte, ging mein Vetter Paulus hinter mir mit der Rute oder
Stöcklein und zwickte mich an die bloßen Beine, denn ich hatte keine Hosen an
und schlechte Schühlein…Wir mußten eilen, vor Torzu in die vor uns liegende
Stadt Ozzec zu kommen. Enge Gassen und arme Leute sahen wir. Da wird das Mahl
wohl gar dürftig sein. Wohl saßen unsere Bacchanten im Schwane und wir zogen
singend und heischend (bettelnd) durch die Straßen. Hungrig ging ich und die
anderen kleinen Buben in den Roßstall und schliefen bis zum Hahnenschrei.
Frühmorgens gings an der Schule vorbei nach Meißen, wo es gar viele Flöhe gab…“ [10]
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Die
Oschatzer Schule haben sie also leider nicht kennen gelernt und wir wissen auch
nicht mehr über sie, aber das Gasthaus zum Schwan hat Eindruck gemacht.
Nicht
alle fahrenden Schüler wurden aber so abgewiesen. In den Kämmerei-Büchern
finden sich die Nachweise über das so genannte „Viatikum“, eine Zahlung von 1
bis 3 Groschen an fahrende Schüler. Diese mußten sich allerdings auf den
Rathaus einer Prüfung unterziehen, so wird von einem berichtet „vnd wol Lateyn
hat konnen Reden.“ Besonders weit gereiste „stutiosus“ werden registriert, so
1564 ein armer Student aus Wien auf der Reise nach Wittenberg. 1575 spricht ein
Siebenbürger Schüler im Rat vor und 1578 bittet ein „Johannes Orbiculus,
Studiosus von Frankfurt ahn der Oder, so aus Italia kommen, utterwegs Kranck
gelegen vnd alles vorzehrth.“ Im 17. Jahrhundert wurden diese Wanderschüler zu
einer waren Landplage. 1638 bat die Bürgerschaft in einer Eingabe an den Rat:
„Es möchten auch die Vaganten, So sich vor Studenten rühmen, vndt was ersungen,
hernacher auf der Garküchen auf einmahl versauffen, mit besserern erst
abgeschafft werden.“
Der
Chef der Garküche beklagt sich 1660 über zwei Studenten, die sich bei ihn
betranken und dann mit den Stadtpfeiffern in eine handfesten Prügelei gerieten.
„Die Stutenten wurden vber nacht ins Loch gestecket in die Frohnfehste…Weyl es
arme Nackte gesellen gewesen vndt nicht einen Dreyer vermaog, dem Frohne nichts
gebn Können, sindt sie mit dem Nachtgefängnisse bestraffet worde, vnd wieder
vff freyen fuhse gestellt worden. [11]
Wie
lebten in jener Zeit die Lehrer der Schulen? Bei der Durchsicht alter Akten ist
nicht nur das von Bedeutung was man in ihnen findet, sondern auch jenes, was
nicht in ihnen steht. So sucht man in den umfangreichen und sehr sorgfältig
geführten Kassenbüchern der Stadt vergebens nach einer regelmäßigen Zahlung an
die Schulrektoren und –meister. Sie erhielten in der Regel kein festes Gehalt,
ihr Leben war sicher nicht luxuriös. Als festes Einkommen stand ihnen das
kärgliche Schulgeld der Schüler zu. Außerdem bekamen sie für ihre kirchlichen
Dienste bei Taufen, Trauungen und Beerdigungen Geld. Mehrfach gibt es zu diesen
Rechten Streit, weil z. B. die Patenbriefe bei Trauungen von den Pfarrern ausgestellt
werden wollen. Die Taufpaten bedankten sich wohl mit einem Geschenk beim Schreiber,
und dieses Einkommen wollten sich die Lehrer nicht wegnehmen lassen. Ihr
Haupteinkommen bezogen aber die Lehrkräfte aus den auch zum Teil oben genannten
Stiftungen an Geld und Sachleistungen in Form von Holz und Getreide und anderen
Naturalien (Martinsgans, Osterlamm u. ä.). Diese Einkommen standen Lehrern über
Jahrhunderte zu und verbesserte ihre materielle Sicherheit. Erst im Jahr 1843
(!) wird von einer gemeinsamen Kommission aus Schulinspektion und
Kassendeputation der Stadt ein Papier erarbeitet „der Fixation der
Lehrergehälter betreffend“. Darin geht es um die Einführung eines festen
monatlichen Gehalts, an Stelle der Vielzahl, oft ungewissen und häufig erst
verspätet eintreffenden Einkommen, von Stiftungen über Holz- und
Getreidedeputate bis zum Schulgeld. Es heißt da: „…und daß die gesamten
Lebensbedürfnisse mit Sicherheit geordnet und geregelt werden können, wenn die
zur Befriedigung derselben erforderlichen Mittel mit Gewißheit in bestimmten
Fristen zur Verfügung stehen.“
Es
werden als zusätzliche Bezüge bisher aufgezählt:
Holzdeputat Getreidedeputat
Leichengebühren
Einschreibgebühren
Klingelbeutelbezüge
Nicolaisches Legat
Tranksteuer
Mietzinsbeträge
bare Bezüge aus anderen Kassen.[12]
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7 Scheitklafter und 48
Langhaufen Scheffel und 5 Metzen
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Welche
obskure Einnahmequellen es noch gab, zeigen zwei Einträge im Sommerregister
1487 und 1490.
1487 heißt es:
„3 Gr. deme schulmeister, weil er gein wettir in der Kirche
gesungen.“
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und 1490:
„5 Gr. den Scholaribus vnnd anderen,do man im wetter mit dem
Sacrament in der Kirchen vmbgegangen.“
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Man
versuchte also dem Gewitter mit geistlichen Gesängen zu wehren. Diese Unsitte
wurde von der lutherischen Visitation 1540 ausdrücklich verboten und damit
wieder ein Zubrot für den Lehrer gestrichen.
Von
all diesen Einkommen mußten die Schulmeister ihre eventuell nötigen Gehilfen
und Hilfslehrer selbst bezahlen. Da es keine Altersversorgung gab, waren die
Schulmeister außerdem gezwungen, bis ins hohe Alter zu arbeiten. Ihre schlechte
Bezahlung führte zu häufigen Arbeitsplatzwechseln und keiner kontinuierlichen
Erziehungsarbeit.
Die
Schuldisziplin in jener frühen Zeit war sehr streng, denn neben der
Wissensvermittlung war auch die Erziehung zu „Zucht und Ordnung“ ein wichtiges
Ziel des Unterrichts. Dabei war man nicht zimperlich, Stock oder Rute waren
Standessymbole des Schulmeisters.
Die
z.T. barbarische Handhabung solcher Bestrafungen machte manche Lehrer nicht nur
bei den Schülern, sondern auch bei deren Eltern unbeliebt. Häufig kam es auch
zu Übergriffen auf solche unbeliebten Lehrer. Da zu jener Zeit alle Vergehen
und Händel mittels Geldstrafen an den Rat gesühnt wurden, liefern die Oschatzer
Kämmereibücher auch hierüber interessante Beispiele. So wird im Sommer-Register
des Jahres 1530 ein Marten Keler zu 21 Groschen Gerichtsbuße verurteilt weil er
„…mit
dem schulmeister vneyn wortten vnd eynet den Andere eynen schelm vnde
Boesewicht gescholde. Ist also dem Schulmeister ferrne inns wames gefallen und
entzwey geryssen. Des Anderen tags frue vor der Schulen vorbei gegangen,
gesagt: Du Schelm, du Boesewicht, allhier gehe ich. Ist dyr was drumb Zo
machestu ernach komen.“
[…mit dem Schulmeister uneins war und
einer den anderen einen Schelm und Bösewicht gescholten hat. Außerdem ist er
dem Schulmeister ans Wams gegangen und hat es entzwei gerissen. Am andern Tag
ist er früh an der Schule vorbei gegangen und hat gerufen: du Schelm, du
Bösewicht, liegt dir etwas daran, so komm mit…]
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Es finden sich noch zwei ähnliche Fälle im Winterregister 1543 und 1545.
Die
fortschreitende Entwicklung der Stadt und das gesteigerte Bildungsbedürfnis
waren sicher auf die Stadtschule nicht ohne Einfluß. Das läßt sich an zwei
Sachverhalten nachweisen.
Zum
einen war der aufkommende Humanismus auch an Oschatz nicht vorbei gegangen. Ab
dem Winterregister 1490 treten mehrfach Aufwendungen für lateinische
Theaterstücke in den Kämmereirechnungen auf, die von den Schülern in der Schule und z.T. auch im Ratssaal
aufgeführt werden. Es werden Stücke von dem römischen Dichter Terenz aber auch
deutsche Fastnachtschwänke aufgeführt.
Der
zweite Hinweis auf die gestiegene Leistungsfähigkeit der Oschatzer Schule
ergibt sich aus den Immatrikulationslisten der neu gegründeten Universität
Leipzig. Bereits im Gründungsjahr bezieht ein Johannes Frost aus Oschatz diese
Universität. Ihm folgen in den Jahren bis 1500 noch weitere ca. 80 junge Männer
aus unserer Stadt. Das Oschatz sich selbst vor der Nachbarstadt Torgau nicht zu
verstecken braucht, zeigen folgende Zahlen:
Immatriklierte Studenten von 1409 bis 1559
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Oschatz |
190 Studenten |
Torgau |
131 Studenten |
Wurzen |
92 Studenten |
Dahlen |
46 Studenten |
Mügeln |
29 Studenten |
Belgern |
33 Studenten |
Selbst
ein Rektor der Leipziger Uni stammte aus Oschatz. Im Wintersemester 1531
leitete „Rector Iohannes Frytzsch von
Oschatz“ die Leipziger Universität.
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