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Von den Anfängen

Jede Stadt hat einmal klein angefangen. So waren es sicher auch in der sumpfigen Döllnitzniederung an der beschwerlichen Furt zunächst nur wenige Anwohner, die die von weit her kommenden Wagen und Reiter versorgten und ihnen einfache Übernachtung, Speise und Trank und handwerkliche Hilfe am Wagen und Pferdegeschirr anboten. Dort, wo heute sich der Altmarkt erstreckt, vermutet die Geschichtswissenschaft die alte Straße und die Anfänge einer Siedlungsgeschichte. Auf dem nahen Hügel entstand wohl bald ein Gotteshaus, das, wie unter Händlern üblich, dem heiligen Aegidius geweiht wird. Die Funde im ehemaligen Tuchmacherhaus zeigen, dass sich auch eine Obrigkeit in Gestalt eines Voigtes niederließ. Alles das geschah im frühen 13. Jahrhundert. In jener fernen Zeit war Bildung an die Kirche gebunden, wie jede geistige Kultur. 1215 bestimme das 4. Laterankonzil (die höchste kirchliche Versammlung) im Canon 11, dass an jeder Kirche die Errichtung einer Schule erfolgen solle, soweit sie imstande war, einen Geistlichen für den Unterricht abzustellen.

Nach dem Niedergang Roms wurde die Kirche zum entscheidenden Träger des Bildungswesens. Sie bewahrte das Wissen der Antike und vermittelte das christliche Gedankengut über ganz Europa. Die Infrastruktur dieser mittelalterlichen Bildungsvermittlung bildeten die Klöster mit ihren kostbaren Bibliotheken. Klosterschulen wurden in innere und äußere Schulen unterschieden. In den inneren Schulen wurden Jungen und Mädchen auf ein Leben als Mönch oder Nonne vorbereitet. In den äußeren Schulen wurden Laienkinder, meist adeliger Herkunft, unterrichtet. Eine solche äußere Schule bestand seit 1254 nicht weit von hier, an der Thomasschule in Leipzig. Der Unterricht fand in lateinischer Sprache statt und bestand zunächst einmal aus religiöser Unterweisung und Geschichte.

In Oschatz gab es noch kein Kloster, aber an der Kirche könnte sich eine erste Schule gebildet haben, dafür spricht, das über Jahrhunderte die Oschatzer Schule auf dem Kirchplatz war.

Unser Stadtschreiber C.S. Hoffmann vermutet erste Schulgründungen nach 1250, hat aber keinerlei konkrete Nachrichten. Wir müssen uns damit abfinden, das die Anfänge unserer Schule, wie so vieles aus jener Zeit, im Dunkeln der Historie verborgen bleiben.

1365 ist das erste Datum, an dem die Sache konkret wird. Aus einer heute nicht mehr vorhandenen Stiftungsurkunde [1] erfahren wir:

Wir Sepphin der Stadt Oszatz Nitze Mogelin Nicol Gast Hannus coppil Nykil elderich Andreä Symmylwicz der pryster hat…So sulln y altarlüte wer dy syn y daz iar ewycklich an den pfarrer wer der ist gebin drey breyt’ groschn vnd syne cappelane drey vnd dem Schulmeystir drey wer der ist daz her syngin sal mit den Schülern eyne lange vigil vnd deme kirchener eyne daz h lute czu syme jar geczite…“
Versuch einer Übersetzung: „…So sollen die Altarleute(die Kirchenverantwortlichen), wer die auch sein mögen, auf ewig dem Pfarrer, wer das auch gerade ist, jährlich drei breite Groschen geben und seinem Kaplan auch drei und dem Schulmeister drei, wer das auch ist, dass der mit seinen Schülern eine lange Vigile (ein Lobgesang auf die Jungfrau Maria) singe und dem Kirchner einen dazu, das er zu seinem Jahrestag laute.“

Es ist übrigens eine der frühesten in deutscher Sprache abgefaßten Oschatzer Urkunden.

Also gab es da schon eine organisierte Schule mit mindestens einem Schulmeister und die Gründung liegt sicher bereits einige Zeit zurück, wenn der Stifter hier auf die regelmäßigen Heilswohltaten vertraut, denen er sein Geld widmet. Kurze Zeit später, im Jahre 1367 erfahren wir sogar den ersten Namen eines Oschatzer Schulmeisters. Genannt wird ein Magister Johannes de Ossacz rector parvulorum (Rektor der Knaben) als Zeuge. [2] MÜLLER nimmt an, dass er nicht zum Kloster in Beziehung gestanden hat, wofür sein Titel spricht.

Im gleichen Jahr 1367 taucht in einer anderen Chemnitzer Urkunde ein „Fredericus Macerin de Oschatz in artibus baccalarius“ auf. Das Chemnitzer Stadtarchiv antwortete mir auf meine Anfrage zu obigen Urkundenstellen folgendes:

In den im "Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster" edierten Urkunden konnte für 1367 "Mag. Johannes de Ossacz" nicht ermittelt werden. Er tritt weder im Zusammenhang mit den jeweiligen Parteien noch unter den Zeugen auf.
Die im Urkunden-Repertorium erfassten Urkunden dieses Jahres sind im Urkundenbuch enthalten.
In einer Urkunde vom 3. Juni 1367 (S. 29, Urk.-Nr. 32) tritt allerdings unter den Notaren "Frederico Macherin de Oschacz in artibus baccalaureo" auf.

Mit dieser Historie gehört Oschatz zu den ersten Städten in Sachsen, die eine eigene Schule vorweisen können. BLASCHKE nennt Zwickau 1291 als eine der ersten, es folgen Dresden, Lößnitz 1304 als erste Stadtschulen. Es folgen ab 1310 Zittau, Reichenbach, Pirna, Plauen. Oschatz wird an 13. Stelle genannt. Die Städte waren die Bildungsträger neben den Kirchen geworden.

"Aus der Stadt kamen die Geldwirtschaft und die Schriftkultur als die beiden mächtigen Kräfte, die das Gefüge der Gesellschaft von nun an in hohem Maße bestimmen sollten…Der neuzeitliche Staat ist ohne Geldwirtschaft und ohne schriftliche Verwaltung nicht zu denken, sein Interesse am Bürgertum, mit dessen Hilfe er sich wesentlich aufgebaut hat, wird an diesen Überlegungen verständlich. Die Städte waren die Träger des Fortschritts auch auf dem Gebiet der geistigen Bildung.“ [3]

Gute wirtschaftliche und politische Bedingungen trieben den Handel und das Gewerbe in den Städten voran. Die zunehmende Komplexität des Rechts- und Geschäftswesens forderte Kenntnisse im Lesen und Schreiben.

Als die Kaufleute allmählich ihre Waren nicht mehr ständig selbst begleiteten und ihre Geschäfte nicht mehr ausschließlich persönlich abwickelten, ergab sich die Notwendigkeit einer Ausbildung umfassender Schriftlichkeit und schließlich der doppelten Buchführung, um die Geschäfte vom heimatlichen Kontor aus verfolgen, kontrollieren und lenken zu können. Dies und der Bedarf dieses neuen, aufstiegsorientierten städtischen Standes an sozialem Prestige führten zu einem Wandel der kaufmännischen Erziehung und Ausbildung, die fortan auch schulische Bildung einschloss.

Die kaufmännische Tätigkeit war bereits seit dem Mittelalter durch einen hohen Grad von Schriftlichkeit geprägt. Der Erwerb von Berufswissen aus Büchern und der Vollzug der Geschäfte durch volkssprachliche Schriftstücke erforderte und erzeugte im Kaufmannsstand eine umfassende Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz.

Was vorher nur der Oberschicht und den Klerikern vorbehalten war, fand nun immer mehr Vertreter im allgemeinen Bürgertum der Städte. Auch der Oschatzer Rat bediente sich schon früh der Schriftlichkeit und führte gegen 1400 ein „schwarzes Brett“ für Mitteilungen am Rathaus ein. Die meisten Bürger mussten es also lesen können.

Dagegen waren die Kloster- und Domschulen im Europa Einrichtungen des Mittelalters für eine standesspezifische Berufsausbildung der Geistlichen, waren "Fachschulen für den Klerus". Sie vermittelten eine grundlegende Beherrschung der lateinischen Sprache, in der als der "lingua franca" des Mittelalters die geistlichen Schriften verfasst waren.

Latein war auch die Sprache der im Mittelalter entstehenden Universitäten mit ihren Wissenschaften Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Als Rechts-Sprache war das Latein weiter die Sprache der Verträge und Erlässe. So wurden im Spätmittelalter auch Lateinschulen in der Trägerschaft der Städte errichtet.

Eine weitere Quelle des frühen Bildungsbedürfnisses waren die Zünfte der Handwerker. Gesellen und Meister mussten über weitgehende Schreib-, Lese- und Rechenfertigkeiten verfügen. In den ältesten Zunftbüchern der Stadt Oschatz wurde durch die Meister z.T. reihum protokolliert, Zunftordnungen mussten verfasst und vom wechselnden Vorsitzenden vorgelesen werden. Auch die Gesellen führten nach strengen Regeln Bruderschaftsbücher, Register usw., Rechnungen und Quittungen wurden von den Handwerkern selbst ausgestellt. In den Kämmereibüchern der Stadt Oschatz finden sich auch schriftlich vorgelegte Kostenanschläge für Aufträge. So lässt sich die These formulieren, dass Handwerker durchschnittlich wohl über einen deutlich höheren Bildungsgrad verfügten, als bisher angenommen.

Die weiteren konkreten Quellen zur Oschatzer Schulgeschichte sind aber spärlich. Ein Nicze Malkewitz bestimmt 1373 dem Gotteshaus St. Aegidü ein Malter Korn jährlichen Zins, und zwar 3 Scheffel davon dem Kaplan und Schulmeister zum Lohn für Abhaltung einer Vigilie [4] und Seelenmesse:

„…von drein scheffelln sulln sy (die Altaristen) alle iar czu der Vigilien und Messe synes iargeczites ufsteckin fir licht vnd ione von der vigilien capellan und dem schulmeistir...“[5]
[„…von drei Scheffeln(Getreide) sollen sie jedes Jahr zu den Vigilien und Messen an seinem Jahrestag vier Lichter aufstecken und einer (Scheffel) dem Kaplan und dem Schulmeister…]

1414 stiften fromme Bürger von Oschatz 3 Schock [6] freibergische Groschen Zins dem Rat, damit an vier Tagen in der Woche ein Salve regina abends gesungen wird. Der Rat legte fest:

„…dem Andächtigen hern Johanes Gvske vnszm pfarre eyn schog XV gr vnd Johan Fruste Baccal. vnszm schulmeister eyn schog und XLV gr sol gereicht vnd gegeben werden.“ [7]
[„…dem andächtigen Herrn Johannes Gyske, unserem Pfarrer, soll 1 Schock und 15 Groschen und dem Johann Fruste, dem Baccalaureus, unserem Schulmeister, soll ein Schock und 45 Groschen gegeben werden.“]

Erstmals taucht ein akademischer Titel „Baccalaureus“ für einen Lehrer auf. Er hat also eine Universität besucht und einen Abschluß erworben. In dem langen Text gibt es noch einen interessanten Passus, in dem festgelegt wird, wer diese Gesänge mitzugestalten hat:

„…vnd Johannes Frust unsz schulmeister und sine nachkommen ouch sine gsellen und schüler darzu lihen vnd unvorhindert senden…“

Dem Schulmeister stehen also Gesellen zur Seite, ob das nun Hilfslehrer oder fahrende Lehrgehilfen, ältere Schüler, die dem Lehrer beim Schul- und Kirchendienst unterstützten, waren, bleibt offen. In einer von MÜLLER zitierten Urkunde aus Dresden, werden als „Gesellen“ solche älteren Schüler bezeichnet.

Bemerkenswert ist auch, dass der Schulmeister mit 1 Schock 45 Groschen mehr Geld erhält als der Pfarrer mit 1 Schock und 15 Groschen.

1476 werden vom Rat zu Oschatz

„…jerlich dry schog grosschen zcinß uff dem forwerge zcu Braczschicz…eingenommen. Sie werden ebenfalls für das tägliche Singen eines Salve gestiftet und zwar:

„…so das wir dem pfarrer dovon eyn schog XV grosschen geben,…item eyn schog XLV grosschen dem schulmeistere, nemlich LII ½ grosschen uff Walpurgis unde LII ½ grosschen uff Michaelis…item XXX grosschen gibt Bernhardt Dorbach dem schulmeistere, nemlich XV grosschen uff Wynachten unde XV grosschen uff Johanniß Babtiste…“ [8]
[„…so das wir dem Pfarrer davon ein Schock 15 Groschen geben,…weiter ein Schock 45 Groschen dem Schulmeister, nämlich 52 ½Groschen an Walpurgis (Ende Mai) und 52 ½Groschen an Michaelis(Ende September)…weiter gibt Bernhard Dorbach 30 Groschen dem Schulmeister, nämlich 15 Groschen an Weihnachten und 15 Groschen an Johann Babtist(24.Juni)…“]

1480 wird von Dietrich von Grünrode auf Borna 40 Acker Holz für die Ausrichtung eines wöchentlichen kostenlosen Bades für die armen Schüler der Stadt gestiftet. [9]

Im gleichen Jahr wurde eine der ertragreichsten und umfangreichsten Stiftungen in Oschatz getätigt, die allerdings zum Teil klösterliche Verhältnisse schuf und vorwiegend den Gesang förderte. „Ambrosius Dhame und seine Ehegattin Christina errichten ein großes Gestift für 4 Vikare und 6 Chorales etc.“ Auch der Schulmeister erhielt eine ansehnliche Donation.

Ab 1490 stehen die Kämmereirechnungen der Stadt zur Verfügung und gestatten hin und wieder Bezüge zu den Schullehrern.

Dabei waren die Gründe für ein Ratsausgabe mitunter etwas eigenartig:

1490 wird im Sommerregister (am Dienstag nach Kilian = 13.7.1490) abgerechnet:

"4 groschen für 12 kannen bier, die eldisten getruncken do man des schulmeister georloübt…“
[„ 4 Groschen wurden für 12 Kannen Bier ausgegeben, die die Ältesten getrunken haben, als man den Schulmeister verabschiedete…“]

Na, denn Prost. Aber man hat schon vorher den Neuen zünftig begrüßt, denn bereits am 6.7.1490 (am Dienstag nach bis. m. [bisitatio marie = 2.7.]) heißt es:

„2 gr 6 pf.für bier die eldisten getruncken do man den naven schulmeister hatte uffgenommen, usgegeben…“
[„2 Groschen und 6 Pfennige für Bier, welches die Ältesten getrunken haben als man den neuen Schulmeister aufgenommen, ausgegeben.“]

1491 findet sich eine Botenrechnung, die darauf verweist, dass die Oschatzer Schule wohl zu dieser Zeit noch mit unter Kirchenherrschaft stand. Das Patronat über die Oschatzer Pfarre stand ab 1352 bis zur Reformation dem Klarissinnenkloster zu Seußlitz zu. Im Sommerregister 1491 findet sich folgender Eintrag:

„1 gr. 3 pf. Bothlonn gen sewselitz zcu der Eptischin des schulmeisters halben.“
[„1Groschen und 3 Pfennig Botenlohn nach Seußlitz zu der Äbtissin, des Schulmeisters wegen“]

Die Schule stand also sicher noch immer unter dem Einfluss der Kirche, wenn sie wahrscheinlich aber auch keine reine Pfarrschule mehr war. In den meisten Städten hat sich im 15. Jahrhundert eine Umwandlung der Pfarr- in Stadtschulen vollzogen. Dafür gab es zwei Gründe: entweder sah sich der Rat durch das Wachstum der Stadt und durch die Vermehrung der Bevölkerung zur Errichtung einer eigenen städtischen Parallelschule veranlasst oder er beteiligte sich an der baulichen Erweiterung der Pfarrschule. Diese Vorgänge liefen langsam und schleichend ab. Meist lässt sich ein konkretes Datum für die Umwandlung nicht fassen. 1490 ist aber zum ersten Mal vom „jus patronatus“, also vom Patronatsrecht des Rates der Stadt Oschatz die Rede.

 

 

Frühe Schulorganisation

Bei dem Wort „Schule“ hat jeder so seine eigenen Erinnerungen und Vorstellungen. Alles das trifft auf eine mittelalterliche Schule nicht zu. Es war zunächst eine kirchliche Schule. Religiöse Bildungsinhalte und Gesänge prägten diese Ausbildung. Der Pol um den sich das Schulleben in jener ältesten Zeit bewegte, war der unmittelbare Dienst in der Kirche und im Gottesdienst. Im Laufe der weiteren Entwicklung kristallisierten sich, durch bürgerliche Interessen bedingt, weitere Unterrichtsgegenstände heraus.

Wie gering die Bildung auch in hohen kirchlichen Kreisen war (und wie vergebens der Unterricht wohl war) zeigt folgendes Beispiel aus unserer Umgebung: am 1. Juli 1358 können von 13 Mitgliedern des Domkapitels (also der Leitung) zu Meißen fünf (darunter der Domprobst, der Kantor und ein Archidiakon) nicht eigenhändig unterschreiben und setzen unter die betreffende Urkunde nur ihre Zeichen.

Das die Lernergebnisse nicht so gut waren lag sicher auch an dem Unterricht. Alle Schüler waren meist in einer Schulstube zusammen. Klasseneinteilungen gab es noch nicht. Der Unterricht war fast immer Einzelunterricht, bestand fast nur aus dem Auswendiglernen und Aufsagen von Psalmen, Bibeltexten und Gesangbuchversen. Die übrigen Schüler wurden meist durch einen Gehilfen beschäftigt oder beaufsichtigt.

Der Unterricht wurde in der Regel von 7.00 bis 12.00 Uhr und von 13.00 bis 16.00 Uhr erteilt. Eingeschlossen waren darin die Kirchendienste. Regelmäßige Ferien gab es noch nicht. Freie Tage waren der Sonntag, kirchliche Feiertage und die Jahrmarktstage. War es im Winter zu kalt und das Heizmaterial fehlte, wurde die Schule geschlossen. Das gleiche geschah zur Erntezeit.

Gelehrt wurde zunächst das ABC nach der Methode: „a“, „b“ => „ab“. Meist wurde im Chor und laut geübt. Bücher gab es nur als große Kostbarkeit – der Buchdruck war noch nicht erfunden – Papier als Schreibgrundlage viel zu teuer und kostbar, die Schiefer- oder die Wachstafel war das Schreibgerät. Viele Lehrer besserten ihren kargen Lohn durch das Abschreiben von Büchern auf. Lesen und Schreiben war in der Regel das Ziel des Anfangsunterricht. Gerechnet wurde in den Schulen kaum. Viele Lehrer konnten es auch nicht. (Noch 1780 weigerten sich viele sächsische Lehrer ein lukratives Lehramt an württembergischen Schulen anzutreten, weil hier das Rechnen in allen Schulen zur Pflicht wurde!)

Im Laufe der Zeit bildete sich ein Lehrkanon aus, der vorwiegend von den Klosterschulen geprägt wurde: In der lateinischen Form wurden diese später auch für die mittelalterlichen Schulen in Europa bedeutsam, die "system artes liberales", bestehend aus dem Trivium der sprachlichen Fächer Grammatik, Rhetorik und Didaktik und aus dem Quadrivium der Realien Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musiktheorie. Damit war ein Besuch der Universität für die erfolgreichen Schüler möglich. Viele schafften diesen Abschluß nicht.

Eine charakteristische Eigenheit dieser Zeit waren sog. „fahrende Schüler“. Das waren Gruppen von unterschiedlich alten Schülern, die bettelnd und auch stehlend sich ihren Lebensunterhalt verschafften und von Stadt zu Stadt, von Schule zu Schule zogen. Je nach Qualität der Ausbildung blieben sie dann als Lehrgehilfen (die älteren Schüler) oder als einfache Schüler. Mit der Zeit wurden sie zu einer regelrechten Landplage, und die Städte schützten sich vor ihnen.

So heißt es in der 1456 verfassten Leisniger Kastenordung, zitiert nach August Simon: „Quellenschriften zur Geschichte der Volksschule…“

„Betteln frembder schüler abgelegt
Kein frembd schüler soll jnn vnserm kirchspiel jnn der stadt noch dorffern zu beteln geliden werdenn, will aber jmanndt jnn die schule bey vnns gehen, der mag jme selbst seine kost und narunge verschaffenn.
[Betteln für fremde Schüler abgelehnt

Kein fremder Schüler soll in unserem Kirchspiel in der Stadt noch auf den Dörfern bettelnd gelitten werden, will aber jemand in unsere Schule gehen, dann mag er seine Kost und Nahrung selbst aufbringen.]

Auch in Oschatz sind fahrend Schüler gewesen, sogar ein ganz berühmter. Durch Zufall fand ich in einem Buch meines Vaters: G. FREYTAG Bilder aus der deutschen Vergangenheit 2.Band einen Text von Thomas Platter, einem schweizer Buchdrucker und Schulmann, welcher berühmt geworden ist durch seine naiv reizvolle, eine Fülle kulturgeschichtlichen Materials bietende Selbstbiographie, ohne Zweifel die beste ihrer Art aus dem ganzen 16. Jahrhundert. In weltverlorener Einsamkeit im Walliser Nikolaitale verlebte er seine Jugendjahre. Der Vater starb früh und Thomas wurde bei einem Bauer als Geißkind verdingt. Dann nahm ihn ein Geschwisterkind, ein fahrender Schüler, mit in die Welt hinaus. Die Abenteuer des armseligen Häufleins von „Bacchanten“ und „Schützen“ in Sachsen, Schlesien und Bayern sind als exzellente Quelle über das tägliche Leben jener Zeit fern von höfischen und adligen Ständen weltbekannt. Wenn sie durch Sachsen gezogen sind, sollte er da nicht auch in Oschatz gewesen sein? Tatsächlich findet sich in seinen „Selbsterinnerungen“ folgender Text:

„Und zog von da unser Haufe auf Halle in Sachsen, dort gingen wir in die Schule zu St. Ullrich. Da sich aber unsere Bacchanten so ungebührlich gegen uns hielten, besprachen sich etliche von uns den Bacchanten zu entlaufen und zogen gen Breslau, wo gar gute Schule sein sollte… Von Ileburg (Eilenburg) zogen wir auf Meißen zu, es war mir eine weite Reise, da ich nicht mehr gewohnt war so weit zu ziehen und unterwegs das Essen zu gewinnen. Wir zogen also unser miteinander sieben oder acht Schützen, unter welchen ich der kleinste war. Wenn ich nicht gut zu gehen vermochte, ging mein Vetter Paulus hinter mir mit der Rute oder Stöcklein und zwickte mich an die bloßen Beine, denn ich hatte keine Hosen an und schlechte Schühlein…Wir mußten eilen, vor Torzu in die vor uns liegende Stadt Ozzec zu kommen. Enge Gassen und arme Leute sahen wir. Da wird das Mahl wohl gar dürftig sein. Wohl saßen unsere Bacchanten im Schwane und wir zogen singend und heischend (bettelnd) durch die Straßen. Hungrig ging ich und die anderen kleinen Buben in den Roßstall und schliefen bis zum Hahnenschrei. Frühmorgens gings an der Schule vorbei nach Meißen, wo es gar viele Flöhe gab…“ [10]

Die Oschatzer Schule haben sie also leider nicht kennen gelernt und wir wissen auch nicht mehr über sie, aber das Gasthaus zum Schwan hat Eindruck gemacht.

Nicht alle fahrenden Schüler wurden aber so abgewiesen. In den Kämmerei-Büchern finden sich die Nachweise über das so genannte „Viatikum“, eine Zahlung von 1 bis 3 Groschen an fahrende Schüler. Diese mußten sich allerdings auf den Rathaus einer Prüfung unterziehen, so wird von einem berichtet „vnd wol Lateyn hat konnen Reden.“ Besonders weit gereiste „stutiosus“ werden registriert, so 1564 ein armer Student aus Wien auf der Reise nach Wittenberg. 1575 spricht ein Siebenbürger Schüler im Rat vor und 1578 bittet ein „Johannes Orbiculus, Studiosus von Frankfurt ahn der Oder, so aus Italia kommen, utterwegs Kranck gelegen vnd alles vorzehrth.“ Im 17. Jahrhundert wurden diese Wanderschüler zu einer waren Landplage. 1638 bat die Bürgerschaft in einer Eingabe an den Rat: „Es möchten auch die Vaganten, So sich vor Studenten rühmen, vndt was ersungen, hernacher auf der Garküchen auf einmahl versauffen, mit besserern erst abgeschafft werden.“

Der Chef der Garküche beklagt sich 1660 über zwei Studenten, die sich bei ihn betranken und dann mit den Stadtpfeiffern in eine handfesten Prügelei gerieten. „Die Stutenten wurden vber nacht ins Loch gestecket in die Frohnfehste…Weyl es arme Nackte gesellen gewesen vndt nicht einen Dreyer vermaog, dem Frohne nichts gebn Können, sindt sie mit dem Nachtgefängnisse bestraffet worde, vnd wieder vff freyen fuhse gestellt worden. [11]

Wie lebten in jener Zeit die Lehrer der Schulen? Bei der Durchsicht alter Akten ist nicht nur das von Bedeutung was man in ihnen findet, sondern auch jenes, was nicht in ihnen steht. So sucht man in den umfangreichen und sehr sorgfältig geführten Kassenbüchern der Stadt vergebens nach einer regelmäßigen Zahlung an die Schulrektoren und –meister. Sie erhielten in der Regel kein festes Gehalt, ihr Leben war sicher nicht luxuriös. Als festes Einkommen stand ihnen das kärgliche Schulgeld der Schüler zu. Außerdem bekamen sie für ihre kirchlichen Dienste bei Taufen, Trauungen und Beerdigungen Geld. Mehrfach gibt es zu diesen Rechten Streit, weil z. B. die Patenbriefe bei Trauungen von den Pfarrern ausgestellt werden wollen. Die Taufpaten bedankten sich wohl mit einem Geschenk beim Schreiber, und dieses Einkommen wollten sich die Lehrer nicht wegnehmen lassen. Ihr Haupteinkommen bezogen aber die Lehrkräfte aus den auch zum Teil oben genannten Stiftungen an Geld und Sachleistungen in Form von Holz und Getreide und anderen Naturalien (Martinsgans, Osterlamm u. ä.). Diese Einkommen standen Lehrern über Jahrhunderte zu und verbesserte ihre materielle Sicherheit. Erst im Jahr 1843 (!) wird von einer gemeinsamen Kommission aus Schulinspektion und Kassendeputation der Stadt ein Papier erarbeitet „der Fixation der Lehrergehälter betreffend“. Darin geht es um die Einführung eines festen monatlichen Gehalts, an Stelle der Vielzahl, oft ungewissen und häufig erst verspätet eintreffenden Einkommen, von Stiftungen über Holz- und Getreidedeputate bis zum Schulgeld. Es heißt da: „…und daß die gesamten Lebensbedürfnisse mit Sicherheit geordnet und geregelt werden können, wenn die zur Befriedigung derselben erforderlichen Mittel mit Gewißheit in bestimmten Fristen zur Verfügung stehen.“

Es werden als zusätzliche Bezüge bisher aufgezählt:

Holzdeputat
Getreidedeputat
Leichengebühren
Einschreibgebühren
Klingelbeutelbezüge
Nicolaisches Legat
Tranksteuer
Mietzinsbeträge
bare Bezüge aus anderen Kassen.
[12]

7 Scheitklafter und 48 Langhaufen
Scheffel und 5 Metzen

Welche obskure Einnahmequellen es noch gab, zeigen zwei Einträge im Sommerregister 1487 und 1490.

1487 heißt es:

„3 Gr. deme schulmeister, weil er gein wettir in der Kirche gesungen.“

und 1490:

„5 Gr. den Scholaribus vnnd anderen,do man im wetter mit dem Sacrament in der Kirchen vmbgegangen.“

Man versuchte also dem Gewitter mit geistlichen Gesängen zu wehren. Diese Unsitte wurde von der lutherischen Visitation 1540 ausdrücklich verboten und damit wieder ein Zubrot für den Lehrer gestrichen.

Von all diesen Einkommen mußten die Schulmeister ihre eventuell nötigen Gehilfen und Hilfslehrer selbst bezahlen. Da es keine Altersversorgung gab, waren die Schulmeister außerdem gezwungen, bis ins hohe Alter zu arbeiten. Ihre schlechte Bezahlung führte zu häufigen Arbeitsplatzwechseln und keiner kontinuierlichen Erziehungsarbeit.

Die Schuldisziplin in jener frühen Zeit war sehr streng, denn neben der Wissensvermittlung war auch die Erziehung zu „Zucht und Ordnung“ ein wichtiges Ziel des Unterrichts. Dabei war man nicht zimperlich, Stock oder Rute waren Standessymbole des Schulmeisters.

Die z.T. barbarische Handhabung solcher Bestrafungen machte manche Lehrer nicht nur bei den Schülern, sondern auch bei deren Eltern unbeliebt. Häufig kam es auch zu Übergriffen auf solche unbeliebten Lehrer. Da zu jener Zeit alle Vergehen und Händel mittels Geldstrafen an den Rat gesühnt wurden, liefern die Oschatzer Kämmereibücher auch hierüber interessante Beispiele. So wird im Sommer-Register des Jahres 1530 ein Marten Keler zu 21 Groschen Gerichtsbuße verurteilt weil er

„…mit dem schulmeister vneyn wortten vnd eynet den Andere eynen schelm vnde Boesewicht gescholde. Ist also dem Schulmeister ferrne inns wames gefallen und entzwey geryssen. Des Anderen tags frue vor der Schulen vorbei gegangen, gesagt: Du Schelm, du Boesewicht, allhier gehe ich. Ist dyr was drumb Zo machestu ernach komen.“
[…mit dem Schulmeister uneins war und einer den anderen einen Schelm und Bösewicht gescholten hat. Außerdem ist er dem Schulmeister ans Wams gegangen und hat es entzwei gerissen. Am andern Tag ist er früh an der Schule vorbei gegangen und hat gerufen: du Schelm, du Bösewicht, liegt dir etwas daran, so komm mit…]

Es finden sich noch zwei ähnliche Fälle im Winterregister 1543 und 1545.

Die fortschreitende Entwicklung der Stadt und das gesteigerte Bildungsbedürfnis waren sicher auf die Stadtschule nicht ohne Einfluß. Das läßt sich an zwei Sachverhalten nachweisen.

Zum einen war der aufkommende Humanismus auch an Oschatz nicht vorbei gegangen. Ab dem Winterregister 1490 treten mehrfach Aufwendungen für lateinische Theaterstücke in den Kämmereirechnungen auf, die von den Schülern in der Schule und z.T. auch im Ratssaal aufgeführt werden. Es werden Stücke von dem römischen Dichter Terenz aber auch deutsche Fastnachtschwänke aufgeführt.

Der zweite Hinweis auf die gestiegene Leistungsfähigkeit der Oschatzer Schule ergibt sich aus den Immatrikulationslisten der neu gegründeten Universität Leipzig. Bereits im Gründungsjahr bezieht ein Johannes Frost aus Oschatz diese Universität. Ihm folgen in den Jahren bis 1500 noch weitere ca. 80 junge Männer aus unserer Stadt. Das Oschatz sich selbst vor der Nachbarstadt Torgau nicht zu verstecken braucht, zeigen folgende Zahlen:

Immatriklierte Studenten von 1409 bis 1559

Oschatz 190 Studenten
Torgau 131 Studenten
Wurzen   92 Studenten
Dahlen   46 Studenten
Mügeln   29 Studenten
Belgern   33 Studenten

Selbst ein Rektor der Leipziger Uni stammte aus Oschatz. Im Wintersemester 1531 leitete „Rector Iohannes Frytzsch von Oschatz“ die Leipziger Universität.


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