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Das Kriegsgefangenenlager Stalag IV G

von Gabriele Teumer, aus „Oschatzer Geschichte(n), Heft 9
Oschatz im Krieg 1939 - 1945“
 


Mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen am 01.09.1939 kommt es wenige Tage danach zur Festnahme erster polnischer Kriegsgefangenen. Die deutsche Bevölkerung wird sogleich allumfassend informiert. So schreibt das „Oschatzer Tageblatt“ bereits am 18.09.1939, dass eine Anzahl von Betrieben wegen Arbeitskräftemangels polnische Kriegsgefangene als Ersatz für zum Wehrdienst eingezogene Deutsche beantragt haben. Es wird darauf hingewiesen, dass Kriegsgefangene zunächst lediglich in der Landwirtschaft zum Einsatz gebracht werden.
Bereits eine Woche später, am 25.09.1939, meldete das „Oschatzer Tageblatt“:

„Dank der Maßnahmen des Kreisleiters Groine konnten den Bauern Hilfskräfte für die Kartoffelernte, Rübenrodung und Herbstfeldbestellung zugesichert werden. Polnische Kriegsgefangene werden in den nächsten Tagen hier eintreffen und im Saale des Schützenhauses Unterkunft beziehen. Von hier aus werden sie in den Gehöften eingesetzt und dort verpflegt werden.“

Einen Tag später, am 26.09.1939 wird bekannt gegeben, dass die polnischen Kriegsgefangenen nur über die Arbeitsämter vermittelt werden:
„Die Kriegsgefangenen werden von den Kriegsgefangenen-Stammlagern, in denen sie einer gründlichen ärztlichen Untersuchung, besonders auf Seuchenfreiheit unterzogen werden, für den Arbeitseinsatz zur Verfügung gestellt. Bei welchen Arbeiten und in welchen Orten Kriegsgefangene einzusetzen sind, muss unter Berücksichtigung der allgemeinen Arbeitseinsatzlage und der besonderen Erfordernisse der Kriegswirtschaft entschieden werden. Deshalb ist der Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen den Arbeitsämtern übertragen worden, die mit den Kriegsgefangenen-Stammlagern eng zusammenarbeiten. Betrieb, die Kriegsgefangene beschäftigen wollen und über geeignete Unterkünfte verfügen müssen ihre Anforderungen an ihr zuständiges Arbeitsamt richten. Anforderungen bei anderen Stellen sind zwecklos und bedeuten eine Verzögerung in der Zuweisung der Kriegsgefangenen.  Erst nach Abdeckung des Bedarfs von Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft ist ein Einsatz in gewerblichen Betrieben möglich.“
Wenn im vorangegangenen Zeitungstext vom Kriegsgefangenen-Stammlager die Rede ist, so bezieht sich das zunächst auf das Lager Mühlberg mit der Bezeichnung Stalag IV B.

Am 06.10.1939 meldet das „Oschatzer Tageblatt“, dass ca. 550 polnische Kriegsgefangene in Oschatz eintrafen. 60 Kriegsgefangene werden im „Gambrinus“ untergebracht, die anderen in den umliegenden Dörfern. Vordergründig werden sie in der Landwirtschaft eingesetzt, denn hier fehlen Arbeitskräfte.
Weiteres Zahlenmaterial liegt vorerst bis Ende des Jahres 1939 nicht vor. Die Statistiken der Arbeitsämter geben erst nach dem Februar 1941 detaillierter Auskunft über die Anzahl der Kriegsgefangenen in unserer Region.
Keine zwei Monate  nachdem die ersten polnischen Kriegsgefangenen eingetroffen sind werden klare Anordnungen im Umgang mit ihnen festgelegt

.

Der Verkehr mit den Kriegsgefangenen unterliegt strengen Regeln, die aber später oft in den einzelnen Familien ignoriert werden.

Wiederum das „Oschatzer Tageblatt“ veröffentlicht am 16.11.1939 folgende Mitteilung:
„[...] es ist polizeilich verboten, mit Gefangenen in Verkehr zu treten und sich mit ihnen durch Worte oder Zeichen zu verständigen. Zuwiederhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 150 RM oder bis zu 14 Tage Haft bestraft[...] Wahrt auch den polnischen Gefangenen gegenüber  eure Würde als Deutsche. Es ist undeutsch, den Gefangenen Nahrungsmittel oder Rauchwaren zuzustecken; sie werden in den Gefangenenlagern und auf den Arbeitsstätten besser verpflegt, als wohl die meisten von ihnen früher in Polen [...]“
Am 14.03.1940 veröffentlicht das „Oschatzer Tageblatt“ die „10 Gebote für den Umgang mit Kriegsgefangenen“
„Die Urteile der Sondergerichte zeigen uns immer wieder, daß noch nicht überall Klarheit darüber besteht, wie sich die Zivilbevölkerung gegenüber Kriegsgefangenen zu verhalten hat. Darum veröffentlich wir nachstehend zehn Genote, die streng zu beachten sind. Es ist verboten:

  1. Jede Annäherung an Kriegsgefangene und Unterhaltung der Zivilbevölkerung mit Ihnen
  2. Schreiben von Briefen an Angehörige von Kriegsgefangenen
  3. Annahme und Weiterleitung (Beförderung) von Briefen und sonstigen Postsachen
  4. Verkauf oder Schenkung von Briefmarken oder Schreibpapier an Kriegsgefangene
  5. Verkauf oder Schenkung von alkoholischen Getränken an Kriegsgefangene
  6. Abgabe von deutschem oder anderem kursfähigen Geld an Kriegsgefangene (Der Kriegsgefangene darf nur Lagergeld besitzen)
  7. Einkäufe aller Art für Kriegsgefangene. (Das Einkaufen für die Kriegsgefangenen besorgt der Wachmann.)
  8. Einladung oder Zulassung von Kriegsgefangenen zu Festlichkeiten oder Veranstaltungen
  9. Gemeinsame Mahlzeiten und gemeinsamer Kirchgang mit Kriegsgefangenen.
  10. Gewährung von Familienanschluß an Kriegsgefangene.

Jede Zuwiderhandlung gegen diese Verbote wird schwer bestraft. Unter Umständen wird Anklage wegen Landesverrats erhoben. Die Kriegsgefangenen müssen einen gemeinsamen, gut gesicherten Unterkunftsraum haben, der von Zivilpersonen nicht betreten werden darf. Für einzeln eingesetzte  Kriegsgefangene trägt während der Arbeitszeit der Arbeitgeber die Verantwortung für die Kriegsgefangenen.“
Am 07.06.1940gibt das „Oschatzer Tageblatt“ bekannt, dass keine Kriegsgefangenenlager besichtigt werden dürfen.
„Wie das Wehrkreiskommando IV mitteilt, ist die Besichtigung von Kriegsgefangenenlagern durch Zivilpersonen verboten. Es ist daher zwecklos, Antrage dieser Art an die Kommandanturen der Kriegsgefangenenlager oder an andere Wehrmachtsstellen zu richten.“


Vom Stalag IV B (Mühlberg) zum Stalag IV G (Oschatz)

Im Verlauf des Krieges kommen anfangs die Kriegsgefangenen über das Lager Mühlberg Stalag IV B nach Oschatz. Sie werden dort auf so genannten Personalkarten erfasst, ein Lichtbild wird angefertigt, sie bekommen eine Kriegsgefangenennummer und werden in Arbeitskommandos aufgeteilt. Auf Beschluss der Genfer Konvention von 1929 war es erlaubt, dass Kriegsgefangene Soldaten zu Arbeiten herangezogen werden können. Ab Ende Februar 1941 teilt das Lager Mühlberg keine Arbeitskommandos mehr ein. Diese werden ausgegliedert und eigenständig in „Schattenlager“ verwaltet. So wurden in den Stalag IV C (Maltheuern bei Brüx im Sudetengau), IV B (Torgau), IV E (Altenburg), IV F (Hartmannsdorf/Chemnitz) und IV G (Oschatz) die Arbeitskommandos aus Mühlberg übernommen und weitere neu gebildet.
[1]
Der Begriff „Schattenlager“ ist inoffiziell und bezeichnet die aus dem Kriegsgefangenen-Mannschafts- Stammlager IV B ausgegliederten Zweiglager. Sie dienen der regionalen Verwaltung von Arbeitskommandos.
Obwohl sie M-Stalag
[2] genannt wurden – und das trifft auch für Oschatz zu – bleiben sie nur bis Ende Februar 1941 Filialen vom Stalag IV B.


Arbeitskommandos im Stalag IV G – Oschatz als Durchgangslager

Hier in Oschatz werden jetzt spätestens ab Anfang 1941 alle Kriegsgefangenen im Lagergebäude in der Lutherstraße 20 registriert und als Kriegsgefangene im Gefangenenlager Oschatz des Stalag IV G geführt. Doch der Aufenthalt in Oschatz währt für die meisten nur kurz. Sie werden in Arbeitskommandos aufgeteilt, die sich in einem größeren Umkreis befinden. So unter anderem in Großzossen bei Borna, Großsteinberg, Hohnstädt bei Grimma, Leipzig, Meißen, Espenhain, Kriebethal, Großweitzschen, Wurzen, Grauschwitz, Markranstädt, Altenhain, Trebsen, Rittwitz Hartha, Döbeln, Carsdorf, Böringen bei Döbeln und Coswig bei Dresden. Die Nationalitäten sind sehr unterschiedlich. So kommen die Kriegsgefangenen u.a. aus Großbritannien, Frankreich, USA, Südafrika, Australien, Holland, Serbien, Kroatien und später aus der Sowjetunion und Italien.
Erste Belegmeldungen für Stalag IV G Oschatz liegen zum Stichtag 28. Februar 1941 vor:

Französische Offiziere
Französische Mannschaften
Belgische Mannschaften
Polnische Mannschaften

11
18.182
195
1.467
19.855

[3] 

Der französische Kriegsgefangene Pierre Gicquel aus Rennes schilderte sein Ankommen und Verweilen in Oschatz seinen Töchtern. Sie schrieben die Erinnerungen auf und stellten sie der Autorin zur Verfügung. Hier einige Auszüge:
„Nach der„Verladung“ der Soldaten auf den Lastwagen mit Planen fuhr der Konvoi in Richtung Stalag IV G; kein Ausdruck des Widerstandes, die Augen, die Müdigkeit und die Kälte lähmte sie, sie hatten sich in das Schicksal ergeben, das für sie bestimmt war.
Die Ankunft im Lager und die Ausladung erfolgte ruhig, alles war organisiert, sie wurden gezählt, noch einmal gezählt, in Gruppen aufgeteilt und durch einen donnerartigen Befehl in Richtung der verschiedenen Baracken geleitet. Wenn sie einwenig langsamer wurden, stieß man sie ohne Rücksicht; keinesfalls duldete man, dass der Rhythmus dieser starren Organisation ins Stocken geriet. Nachdem jeder auf die entsprechende Baracke verteilt worden war, befahl man ihnen sich auszuziehen und all ihre Kleidungsstücke und Gepäck vor den deutschen Unteroffizieren abzulegen. Eine obligatorische Dusche erfolgte und wenn nötig auch eine Desinfektion. Ohne Reaktion ließen es sich die Gefangenen über sich ergehen; sie waren schon auf mehrere Jahre eingestellt und ausgerichtet wie eine unglaubliche Maschine [...]
Nach der „großen demütigen Toilette“, Entlausung, Suche nach Krätze und anderem Ungeziefer übergab man jedem ein neues Päckchen, begrenzt auf ein Minimum welches unter anderem die Gefangenennummer enthielt: Hose aus groben Segeltuch, dazu Jacke (selten in passender Größe), versehen mit einem großen rotem Dreieck auf dem Rücken – das war das eindeutige Zeichen, eines Gefangenen. Während der gesamten Kriegsgefangenschaft mussten sie diese Kleidung tragen. Anstelle von Strümpfen teilte man ihnen Fußlappen aus, die sie um die Füße wickeln mussten – genannt „Russenstrümpfe“. Von Schuhen ganz zu schweigen, das waren mehr oder weniger ausgelatschte Soldatenschuhe – und dazu selten in der passenden Größe. Nachdem das erledigt war, stets begleitet von Beleidigungen und Demütigungen, wurde ihnen erlaubt, sich ein wenig auszuruhen. Die Schlafstätten waren Baracken, in denen 20 Strohmatratzen mit einer Decke pro Person lagen. Sie waren angekommen und die Matratzen willkommen.. Die Gefangenen waren in diesem Lager nur vorübergehend untergebracht, in Erwartung eines jeden von ihnen, an einen anderen Bestimmungsort geschickt zu werden.
Stalag IV G war nur ein „Durchgangslager“. Die Arbeitgeber erwarteten sie bereits schon – für die Mehrzahl warteten Werke, genannt „Fabriken“ [...]“
[4]
Pierre Gicquel seinen weiteren Lebensweg in der Gefangenschaft, wie er in einem Leipziger Arbeitskommando in einer Farbenfabrik gearbeitet hat, dort eine deutsche Frau kennen und lieben lernte.
In de Stadt Oschatz werden Arbeitskommandos und ein spezielles Lager für französische Kriegsgefangene eingerichtet, die vor allem in der Spinnerei von Ambrosius Marthaus (heute Elektrobau Oschatz) und in deren unmittelbaren Nähe in Holzbaracken untergebracht sind. Auch kleiner Handwerksbetriebe, wie z.B. Schuhmacherwerkstätten und andere private Handwerker der Stadt können später die Möglichkeit nutzen, über das Arbeitsamt diese Arbeitskräfte einzustellen.

So arbeiteten u.a. im
Hauptquartier Stalag IV G Lutherstr. 21
Spinnerei Marthaus
Gaststätte Gambrinus
Gerberei Mylius
Gut Voigtländer/Landwirtschaft
Berggut
Waagenfabrik Bielig
Waagenfabrik Kopp & Haberland

Baracke am Bahndamm Zschüllau (Unterkunft)
Scheune am Poetenweg (Unterkunft)
Betonwerk Geßner, Zschöllau
Baracke Dresdner Straße (Unterkunft)
Gasthof Merkwitz (Unterkunft)
Fa. Baumheier
Filzfabrik Oschatz
Oschatzer Zuckerfabrik
Druckerei Morgener
Fa. Nuster


britische Kriegsgefangene
französische Kriegsgefangene
polnische Kriegsgefangene
französische Kriegsgefangene
sowjetische Kriegsgefangene
sowjetische und französische Kriegsgefangene
italienische Kriegsgefangene
französische und britische Kriegsgefangene
niederländische und serbische Kriegsgefangene
polische Kriegsgefangene
britische Kriegsgefangene
sowjetische Kriegsgefangene
unbekannte Nationen
niederländische Kriegsgefangene
niederländische Kriegsgefangene
unbekannte Nation
französische Kriegsgefangene
französische Kriegsgefangene 
[5]

Zu den Einsätzen der Kriegsgefangenen in den Wintermonaten schreibt das „Oschatzer Tageblatt“ am 9./10. November 1940: „Landwirtschaft Arbeitseinsatz im Winter“
„Die durch den Einsatz ausländischer Arbeiter und Kriegsgefangenen für die Landwirtschaft gegebenen Vorteile sollen auch im Winter ausgenutzt werden, Es gilt, in den arbeitsstilleren Zeiten solche wichtigen Arbeiten durchzuführen, die wegen des Mangels an Kräften bisher aufgeschoben werden mussten, wie die Unterhaltungsarbeiten auf dem Grünland, der Räumung und Instandsetzung von Gräben, der Unterhaltung von Gebäuden, Wirtschaftswegen und Dungstätten, sowie der Instandsetzung von Maschinen und Geräten [...]“
Das Kriegsgefangene in Betrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt werden, ist durch viele verschieden Zeitungsartikel der Bevölkerung von Beginn des Krieges an bekannt gegeben worden. Vielerorts wird immer und immer wieder  darauf hingewiesen, wie man sich diesen Personen gegenüber verhalten soll. Auch über flüchtige Kriegsgefangene, die ständig zu fliehen versuchen und damit glauben ihrem Schicksal zu enteilen, sind verschiedene Zeitungsartikel bis 1945 erschienen. Die vielen Kriegsgefangenen prägen das Alltagsbild unserer kleinen Städte und Dörfer der Region.
Am 15.10.1941 schreibt die „Oschatzer Kreiszeitung“ unter der Überschrift „Wiederergreifung von Kriegsgefangenen“:

„Manchmal gelingt es Kriegsgefangenen, von denen übrigens die Mehrzahl Frauen sind, eine gewisse Wegstrecke zu Fuß, meist in Nachtwanderungen oder auch mit der Bahn, zum Beispiel in Bremserhäuschen von Güterwagen versteckt, zurückzulegen, besonders dann, wenn es ihnen unmöglich gewesen ist, sich durch Mithilfe ausländischer Arbeiter, die sich in Deutschland aufhalten, Zivilkleidung, deutsches Geld und Nahrungsmittel zu verschaffen. In den wenigsten Fällen glückt es jedoch den Kriegsgefangenen, die deutschen Grenzen zu überschreiten und ihre Heimat zu erreichen, was sowohl auf die zuverlässige und gründliche Arbeit des Fahndungsdienstes, wie auch der erfreulich regen Mitarbeit der Bevölkerung zurückzuführen ist Nicht selten stellen sich  entwichene Kriegsgefangene Tage später nach ihrer Flucht freiwillig, weil sie die Nutzlosigkeit ihres Unternehmens einsehen oder am Verhungern sind. Es sei auch an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass denjenigen Volksgenossen, die bei der Wiederergreifung entwichener Kriegsgefangener aller Nationen mitwirken, für ihre tatkräftige Mithilfe Geldbelohnungen bezahlt werden.“
Am 18.02.1952 gibt ein Zeitungsartikel in der „Oschatzer Kreiszeitung“ Hinweise zum Umgang mit Geld und Geschenken an die Kriegsgefangenen:
„Kein Geld für Kriegsgefangene aushändigen. Von den Gefangenen-Lagern wird immer wieder festgestellt, dass Kriegsgefangene bei dem Anfahren von Kohle und anderen Hilfsleistungen Trinkgelder von der Zivilbevölkerung erhalten. Die Zivilbevölkerung macht sich damit strafbar, da die Kriegsgefangenen sich nur im Besitz von Lagergeld befinden dürfen. Vielfach stehen die Beträge in gar keinem Verhältnis zu den schweren Strafen, die diejenigen treffen, die den Kriegsgefangenen irgendwelche Mangelware (Schokolade, Tabakwaren) kauft, oder das Lagergeld gegen deutsche Geld tauscht. Zuwiderhandlungen werden unnachsichtlich geahndet.“


 

Die Genfer Konvention von 1929

Die Genfer Konvention von 1929, dia als Folge der nicht mehr ausreichenden Bestimmungen der „Haager Landfriedensordnung“ zum Schutz von Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg erarbeitet wurde, stellt die rechtliche Grundlage zum Schutz von Kriegsgefangenen des humanitären Völkerrechts dar. Auf einige Artikel soll hier Bezug genommen werden, welche im Stalag IV G in unterschiedlichster Weise eingehalten wurden – oder auch nicht.
Normalerweise soll die Behandlung der Kriegsgefangenen in den Lagern für alle Nationen gleich sein. Doch die Bedingungen, unter denen die Gefangenen leben, sind für die verschiedenen Nationalitäten sehr unterschiedlich. Das schwerste Los haben dabei die sowjetischen Gefangenen. Sie haben das schlechteste Essen, die schäbigste Bekleidung und die unmenschlichste Unterbringung. Offiziell unterliegen die Kriegsgefangenen dem Schutz  dieser Konvention. Darin wird ganz klar geregelt, wie ein Kriegsgefangener zu behandeln ist. Im Falle der Angehörigen der Roten Armee ist das anders.  Ihnen wir jeglicher Kontakt mit ihren Familien in der Heimat untersagt. So ist im Genfer Abkommen geregelt, dass jeder Gefangene zweimal monatlich einen Brief schreiben kann und ebenso zwei Briefe empfangen darf. Auch das wird ihnen verwehrt. Es gibt auch keine Unterstützung über das Internationale Rote Kreuz. Die sowjetischen Gefangenen haben keine Verbindung in ihre Heimat.
Das deutsche Vorgehen wird mit der Nichtratifizierung des Genfer Kriegsgefangenenabkommens von 1929 durch die Sowjetunion begründet. Damit ist Deutschland nach Auffassung des Oberkommandos der Wehrmacht nicht an die Einhaltung der völkerrechtlichen Schutzbestimmungen gebunden. Die juristische Begründung für die Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen entsprach jedoch schon damal nicht den international geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen. Außerdem hat die Sowjetunion das „Abkommen zum Schutz verwundeter Kriegsgefangener“, welches ebenfalls ein Teil der Genfer Konvention ist, ratifiziert.
Durch die am 16. Juni 1941 vom OKW erlassenen Bestimmungen über das Kriegsgefangenenwesen werden zentrale Bestimmungen der Genfer Konvention zum Schutz der Kriegsgefangenen weitgehend für Angehörige der Roten Armee außer Kraft gesetzt. Es heißt dort:

  1. Der Kontaktzu einer Schutzmacht sowie zu humanitären Hilfsgesellschaften wie dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes wird vollständig unterbunden.
  2. Geleistete Arbeit in der Gefangenschaft wird nicht entlohnt.
  3. Strafverfahren gegen Kriegsgefangene beinhalten ohne Hinzuziehung neutraler Vertreter die Möglichkeit der Verhänngung des Vollzugs der Todesstrafe
  4. Wachsoldaten werden zu rücksichtslosen und energischem Durchgreifen bei geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit sowie zum Schusswaffengebrauch ohne vorherige Warnung aufgefordert.
  5. Die Verpflegung sowjetischer Kriegsgefangener regeln Sonderbefehle, die unterscheiden sich quantitativ und qualitativ fundamental von anderen Kriegsgefangenen. [6]

Der Artikel 4 im ersten Teil der „Allgemeinen Bestimmungen“ der Genfer Konvention:
„Unterschiede in der Behandlung der Kriegsgefangenen sind nur insoweit zulässig, als es sich um Vergünstigungen handelt, die auf den militärischen Dienstgrad, den körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand, der beruflichen Eignung oder dem Geschlecht beruhen.“
[7]
wurde in den Kriegsgefangenenlagern nicht eingehalten. Die Unterschiede der Behandlung alliierter Kriegsgefangener und Angehörige der Roten Armee sind enorm. Aber auch italienische und polnische  Kriegsgefangene werden keineswegs nach den Grundsätzen dieses internationalen Abkommens behandelt.
Der aus Weißrussland stammende Angehörige der Roten Armee Andrej Wassiljewitsch Naidowisch beschreibt einen Teil seiner Kriegsgefangenenschaft im Folgenden:
„In Biala-Podliaska lebten wir bis zum Temperaturrückgang, danach trieb man uns nach Demblin, wo ungefähr 120 Tausend Kriegsgefangene zusammengezogen wurden [...] Im Lager brach Fleckentyphus aus. Zum Ende des Winters waren von 120.000 Kriegsgefangenen ungefähr 8.000 übrig geblieben [...]. Im Sommer brachte man uns überlebende des schrecklichen Albtraumes nach Deutschland ins Stalag IV G. Vor unserem Abtransport wurden uns die Haare geschnitten, wir wurden gewaschen, die Kleidung, die es gab, wurde weggenommen, wir bekamen Lagerkleidung und für die Füße gab man uns Holzpantinen. Nachdem wir in Deutschland ankamen, wurden wir untersucht und in Arbeitskommandos eingeteilt. Ich kam in ein Kommando, das Rohstoffe für die Herstellung von Torfbriketts in Großessen sammelte. Das Leben hier unterschied sich erheblich von dem vorherigen. Wir waschen uns regelmäßig, starben nicht vor Erschöpfung und lebten in beheizten Baracken. Wir arbeiteten bei jedem Wetter, wir hatten sogar unser Lazarett. Man gab sogar Lagermarken aus“ [8]

Amerikanische , englische, niederländische und französische Kriegsgefangene haben auch unter ihrer Kriegsgefangenschaft zu leiden, doch wirken hier Kontrollmechanismen des Internationalen Roten Kreuzes, die manche Lebenssituation leichter macht.
Die Abschrift eines vertraulich behandelten Protokolls des Roten Kreuzes über einige Besuch von Arbeitskommandos im Oschatzer Stalag IV G gibt Auskunft zur Lage britischer und amerikanischer Kriegsgefangener vom 11. bis 16. März 1945
[9]

VERTRAULICH
No. 730
Britisch / Amerikanisch
Datum des Besuchs 11.-16.März 1945

Stalag IV G Oschatz

Kommandant: Oberst Neureiter
Arbeitseinsatz: Hptm. Heger
Begleitender Offizier des deutschen Oberkomandos: Rittmeister v. Frankenberg
British Chief Man of Confidence (Vertrauensmann): Sgt; James Wakelin, POW No. 229186

Am Tag des Besuchs wurde die Stärke dieses Stammlagers wie folgt angegeben:

Britisch    
  Engländer
Iren
Kanadier
Australier
Neuseeländer
Südafrikaner
de Gaullisten
Andere Briten

3837
7
86
23
70
304
7
123

insgesamt britische POW
Amerikaner
britische und amerikanische POW

4457
776
5233

Es waren nur 20 britische und amerikaische Kriegsgefangene im Lager, die das Personal bildeten. Der Vertrauensmann hatte keine Beschwerden, soweit es das Personal betraf. Nach Abschluss des Inspektion diskutierten die Delegierten der Schutzmacht alle Punkte mit den Vertrauensleuten in den Arbeitskommandos
Die britischen Kriegsgefangenen aus diesem Stalag werden wie folgt beschrieben:

Bezirk:
Borna
Döbeln
Oschatz
Nossen
Leipzig Ost
Leipzig West
Leipzig Nord
Wurzen
Grimma
Meißen
Espenhain
Mitarbeiter, Revier & Lazarett
Total

Anzahl der Kdos.[10]
7
7
3
2
9
7
6
9
5
6
3

64 Kdos.

Anzahl der POW  [11]
360
230
100
40
960
570
370
550
350
190
580
157
4.457 Britsche POW


Die Amerikanischen Kriegsgefangenen sind so aufgeteilt
Bezirk
Borna
Döbeln
Leipzig Nord
Leipzig West
Oschatz
Lazarett Leipzig-Wahren
Lazarett Wurzen
Personal
Total

Kdos
1
3
3
4
1



12 Kdos.

Anzahl der POW
100
116
139
340
25
36
10
10
776 amerikanische POW

Bericht der Todesfälle:
Der Delegierte der Schutzmacht bedauert den Tod von 24 britischen Kriegsgefangenen, die während des Luftangriffs auf Leipzig am 27. Februar 1945 getötet wurden. Diese Kriegsgefangenen waren in gut geschützten Luftschutzkellern mit ihren deutschen Wachen untergebracht, erhielten aber einen Volltreffer und wurden sofort getötet.

Medizinische Einschätzung:
I. Zustand der Amerikaner
A Beschwerde
Die Zahl der Amerikaner in der Region Leipzig beträgt ca. 700. Vom medizinischen Standpunkt betrachtet ist der Zustand dieser Truppe schockierend. Die Visite im Krankenhaus zeigt einen sehr schrecklichen Zustand. Der allgemeine Gesundheitszustand der Amerikaner ist schlecht. Sie sind schmutzig, sie sind in vielen Fällen seit Tagen nicht gewaschen worden, sie sind verwahrlost und sie zeigen alle Beweise für völliges Fehlen der Pflege. Die große Mehrheit hat an Gewicht verloren und sie leiden an akuter Unterernährung, die sich in den üblichen Begleiterscheinungen des Hungers zeigt: ödeme, Schwindelanfälle, Ohnmacht, Avitaminose, Durchfaaa usw.
B Aktion
a) Erhöhung der Essenration
Wir haben bereits einige Anstrengungen unternommen, um die Nahrung der Amerikaner zu verbessern. In einer Antwort auf einen Brief von Captain Kapitän F. Webster über die Erhöhung der Essenrationen gaben die deutschen Behörden die Zusage, dass im nächsten Zeitraum bestimmte amerikanische Kommandos eine höhere Essenration bekommen würden.
b) Aus medizinischer Sicht schlage ich vor, dass alle amerikanischen Truppen nur dort eingesetzt werden, wo sie nur leichte Arbeit oder keine Arbeit verrichten.

II. Medizinische Versorgung und überlagerte Lebensmittel
Die Versorgung mit medizinischen Artikeln wie Arzneimitteln etc ist von den deutschen Behörden völlig unzureichend für unsere Zwecke. Wir haben eine begrenzte Anzahl von britischen medizinischen Artikeln, aber diese gehen schnell zur Neige. Gibt es irgendeine Möglichkeit für Nachschub? Wir haben etwa 20 überlagerte Lebensmittelpakete, die für bis zu 2.500 Anglo-Amerikaner bestimmt sind. Es ist eine schwierige Arbeit in den Tagen dieser Nahrungsmittelknappheit allen gerecht zu werden.
III. Revier, Gneisenaustraße, Leipzig
a) Das Revier ist innerhalb einer Zone von militärischer Bedeutung. Es ist ca. 600-700 Meter vom Leipziger Hauptbahnhof entfernt.
b) Die allgemeinen Bedingungen in diesem Revier für die Behandlung von Kranken sind unbefriedigend.
c) Die Essenrationen für die 73. Periode


Brot
Mehl
Fleisch
Käse oder
QuarkMakkaroni, Gerste, usw.
Zucker

Marmelade
Kaffee
Kartoffeln

Wöchentliche Einteilung
1.400 g
240 g
315 g
28 g
62 g
54 g
205 g
155 g
32 g
2625 g

Allgemein:
Für ca. 2.500 anglo-Amerikanische Kriegsgefangene im Revier Leipzig Gneisenaustraße sind jeweils nur zwei britische Ärzte und zwei Sanitäter zuständig

Britisches Kriegsgefangenen Revier
Gneisenaustraße Leipzig
14. März 1945

Pakete:
Das Stalag IVG bekam ca. 6 Wochen keine Rot-Kreuz-Pakete, so dass das Stalag zahlreiche  Beschwerden von allen Vertrauensleuten über den Mangel an deutschen Rationen für Kriegsgefangene erhielt. Fünf Wagen kamen am Tag des Besuchs von Sagan mit dem Roten Kreuz. Es warren Pakete, die das deutsche Oberkommando speziell an die Kriegsgefangenen des Stalag IV G verteilen ließ. Der Vertrauensmann ermöglichte, dass jeder Kriegsgefangene zwei Pakete bekam. Das war eine sehr große Hilfe

Auf der letzten Sitzung mit den Stalag-Behörden wurden die folgenden Punkte zur Diskussion gestellt:

1. Der generelle Gesundheitszustand:
Der Gesundheitszustand aller neuen Kriegsgefangenen, vor allem der Amerikaner, ist extrem schlecht, vor allem wegen der langen Märsche aus der Westfront zu den Lagern und wegen des Mangels an ausreichender Nahrung. Der Deligierte traf Kriegsgefangene mit Beinen wie bei Kindern von 10 Jahren, die nur noch aus Haut und Knochen und absolut arbeitsunfähig waren [...], Im Arbeitskommando No. 204, zum Beispiel am Tag des Besuchs waren nur 18 Männer von insgesamt 45 amerikanischen Kriegsgefangenen bei der Arbeit. Die anderen lagen krank in den Baracken oder im Krankenhaus. Die meisten der amerikanischen Gefangenen leiden an Unterernährung, erfrorenen Füßen, Ruhr und allgemeiner Schwäche. Der Delegierte der Schutzmacht lenkte die Aufmerksamkeit der Stalag-Behörden auf den schlechten Gesundheitszustand und bat um besondere medizinische Untersuchung aller dieser neuen Gefangenen. Die Stalag-Ärzte hatten bereits über diese Mängel informiert und mit Zustimmung des Stalag-Kommandanten versprach man den sofortigen Rückzug aller amerikanischen Kriegsgefangenen, die arbeitsunfähig sind. Er erklärte, dass diese Kriegsgefangenen zu speziellen Kommandos für leichte Arbeiten eingesetzt werden, oder falls erforderlich, in ein Lazarett oder Krankenrevier eingewiesen werden würden.
2. Bereich des Vertrauensmannes
Bisher ist es den britischen Vertrauensmännern nicht erlaubt, die neuen amerikanischen Arbeitskommandos in ihren jeweiligen Bereichen zu besuchen. Dem Wunsch des Vertrauensmannes wurde jedoch entsprochen und er kann in Zukunft alle Arbeitskommandos in diesem Bereich besuchen.
3. Arbeitsgruppen
Nr. 39 und 41 Leipzig-Ost. Vertrauensmänner berichten, dass die Lebensmittel, die von den deutschen geliefert werden, sehr schlecht sind und oft nicht dem notwendigen Standard entsprechen. Der Stalag-Kommandant versprach, diese Angelegenheit gründlich zu untersuchen.
4. Kaplan
Es wurde vereinbart einen Antrag zu stellen, dass die amerikanischen Arbeitskommandos von einem britischen Kaplan besucht werden dürfen.
5. Bezirk Borna
Im russischen Lager Großzossen und im Arbeitskommando No. 106  Kalkschacht gibt es etwa 50 britische Kriegsgefangene, die aus dem östlichen Lager evakuiert  wurden. Sie sind alle krank und liegen auf Stroh auf dem Boden. Die meisten von ihnen haben Lungenentzündung, Diphtherie oder leiden an erfrorenen Füßen.
Der deutsche Stabsrarzt hat versprochen, sich dieser Sachen persönlich amzunehmen
6. Arbeitsgruppe No. 20 Böhringen
Dieses Lager wurde von den Delegierten der Schutzmacht  in der Gegenwart des stellvertretenden Kommandanten besucht Da die Bedingungen und der allgemeine Gesundheitszustand aller amerikanischen POW schlecht sind,  wurde ein Versprechen des Stalag-Kommandanten gegeben, diese Arbeitsgruppe innerhalb der nächsten paar Tage aufzulösen.
&. Bezirk Grimma
Der Bezirks-Vertrauensmann beschwert sich, dass die beiden deutschen Kommandoführer der Arbeitskommandos No. 434 Großsteinberg und No. 353 Hohnstädt für den Umgang mit Kriegsgefangenen ungeeignet sind. Der Stalag-Kommandant hat versprochen, diese Beschwerden zu prüfen und die Männer zu entfernen, wenn sie für schuldig befunden werden.
8. Einige kleinere Punkte wurden diskutiert und sofort erledigt.

In diesem 20 Seiten umfassenden Dokument werden Außenlager von Arbeitskommandos aufgeführt, die vom Oschatzer Kontrollbezirk überwacht wurden:
Borna, Oschatz, Nossen, Döbeln, Leipzig-Ost, Wurzen, Grimma und Espenhain sind ohne Angaben von Anzahl und Nation der Kriegsgefangenen. Weitere Arbeitskommandos werden genauer aufgeführt:

Leipzig West
Leipzig Nord
Meißen
Kriebethal
Großweitzschen
Grauschwitz
Markranstädt
Altenhain
Trebsen
Rittwitz/Großweitzschen
Hartha
Zuckerfabrik Döbeln
Carsdorf
Böhringen/b. Döbeln
Coswig

89
84
33
64
24
23
183
81
10
20
25
51
100
45
27

Briten (einschließlich 9 Zyprioten)
Amerikaner
Briten
Briten
Briten
Amerikaner
Südafrikaner
Briten
Briten
Briten
Briten
Amerikaner
Amerikaner
Amerikaner
Briten

Kontakte der Kriegsgefangenen zu ihren Angehörigen

Ein großer Trost für die meisten Kriegsgefangenen ist die Verbindung zu ihren Familien nach Hause. Dieser Trost wird den sowjetischen Kriegsgefangenen verwehrt. Sie erhalten weder Post noch dürfen sie nach Hause schreiben.
Im Artikel 40 der Genfer Konvention vom 27. Juli 1929 wird festgelegt, dass die „[...] Prüfung der Briefschaften in möglichst kurzer Zeit zu bewirken ist. Die Durchsicht der Postsendungen  hat außerdem auf die Erhaltungder etwa darin befindlichen Lebensmittel Bedacht zu nehmen und möglichst in Gegenwart des Empfängers oder eines von ihm dazu ermächtigten Vertrauensmannes zu erfolgen.
Eine durch die Kriegführenden  aus militärischen oder politischen Gründen erlassese Sperre des Briefverkehrs ist nur vorübergehend zulässig und hat von möglichst kurzer Dauer zu sein.“

Die gesamte Post wird von einem riesigen, in Oschatz arbeitenden Stab übersetzt, kontrolliert und ausgewertet.
Eingangspost und Ausgangspost erhalten einen Stempel „Geprüft, Stalag IV G“. Jeder Kontrolleur hat eine eigene Nummer.
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Bei der Durchsicht der Briefe des holländischen Kriegsgefangenen Hocksema werden die Kontrolleure aufmerksam, als sie eine Nachricht entdecken, die von einem verbotenen Besuch bei dem Oschatzer Superintendenten Johannes Ludwig berichtet. Die Folgen für den holländischen Kriegsgefangenen sind nicht bekannt, doch der Superintendent Johannes Ludwig wird daraufhin aus der NSDAP ausgeschlossen.
 

Rassenschande

Auf der Grundlage der Nürnberger Rassengesetze vom 15. September 1935 ist es Deutschen bei Strafe verboten, Ehen mit Menschen jüdischer Konfession zu schließen. Diese Gesetze werden später  auch auf Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ausgeweitet. Deutschen Frauen ist es bei hohen Strafen verboten, intime Beziehungen mit Kriegsgefangenen einzugehen. Auf das vollstreckte Todesurteil an dem polnischen Zwangsarbeiter Alexander Kamelu am 20, Februar 1942 in Oschatz wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen.
Laut „Oschatzer Kreiszeitung“ vom 8./9.02.1941 gibt es im Kreis Oschatz rund 2.000 landwirtschaftliche Betriebe. Auf fast allen Höfen arbeiten Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter unterschiedlicher Nationalitäten,
So haben sich auch der französische Kriegsgefangene Emile Rebillon (*25.02.1920, † 30.05..2009) und die polnische Zwangsarbeiterin Kazimiera Wyban (*23.03.1923, † 15.06.1982) in diesen Tagen in Oschatz kennen und lieben gelernt. Am Ende des Krieges planen die Behörden, dass alle Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Gruppen nach Hause fahren. Doch das bedeutet die Trennung der Liebenden. So nimmt sich Emile Rebillon kurzerhand ein Fahrrad, welches da „am Straßenrand steht“ und folgt seiner Kaziemiera, die sich bereits auf dem Weg nach Polen in ihre Heimat befindet. Glücklicherweise finden sich beide und Emile nimmt Kazimiera mit nach Frankreich, wo sie 1946 heiraten.
Doch nicht nur ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter verliebten sich ineinander, sondern auch deutsche Frauen und ausländische Kriegsgefangene. Das „Oschatzer Tageblatt“ veröffentlicht bereits am 16.04.1940 folgenden Artikel:
„Verhalten gegenüber  Kriegsgefangenen – Ein Merkblatt für alle Deutschen
Die Arbeitseinsatzlage erfordert in nächster Zeit eine stärkere Heranziehung der Kriegsgefangenen. Vergeßt aber nicht,  daß die Kriegsgefangenen als Soldaten ihres Landes die Waffen gegen euch erhoben hatten.  Im Verhalten gegenüber den Kriegsgefangenen habt ihr dabi alles zu vermeiden, was die Spionage- und Sabotageabsichten des Feindes zu fördern geeignet wäre und sich gegen das Leben des deutschen Volkes richten könnte.
Die Kriegsgefangenen sind streng, aber korrekt zu behandeln.
Wenn ihr sie wie Deutsche behandelt oder gar noch besser, werdet ihr zu Verrätern an der Volksgemeinschaft. Besonders die deutsche  Frau muß sich bewußt sein, daß sie in keinerlei Beziehung zu den Kriegsgefangenen treten darf. Sie verliert sonst ihr höchstes Gut, ihre Ehre. Deutsche Frau, vermeide daher auch jeden falschen Schein.!
Laßt die Kriegsgefangenen nicht mit euch gemeinsam am Tische sitzen. Sie gehören nicht zur Haus- und Hofgemeinschaft, noch viel weniger zur Familie! Bei Feiern und Festen haben die Kriegsgefangenen nichts zu suchen, denn wir wollen  in unseren Feiern und Familienfesten unter uns sein. Auch in eure Gasthäuser nehmt die Kriegsgefangenen nicht mit!
Was die Kriegsgefangenen brauchen, erhalten sie. Deshalb sollen sie darüber hinaus von euch grundsätzlich  nichts bekommen. Ihr könnt ihnen gebrauchte Kleidungsstücke und die für bestimmte Arbeiten vorgeschriebene Arbeitskleidung zur Verfügung stellen oder sonstige Zuwendungen machen , jedoch nur soweit dies alles für die Erhaltung  oder Steigerung der Leistung unbedingt erforderlich ist; Geld, andere Wertgegenstände oder Alkohol – soweit er nicht zur ländlich üblichen Ernährung gehört – dürft ihr den Kriegsgefangenen nicht geben!
Beachtet die Leitsätze genau! Wer anders handelt, den trifft schwere Strafe!"

Trotzdem können die Liebesbeziehungen zwischen den deutschen Frauen und den ausländischen Kriegsgefangenen nicht unterbunden werden.
Durch Akteneinsicht im Staatsarchiv Leipzig erfahren wir von Vorgängen im Jahre 1940. Zwei betroffene Frauen werden auf der Grundlage der sogenannten "Rassengesetze" im wahrsten Sinne des Wortes an, besser gesagt in den Pranger am Rathaus in Oschatz gestellt. Außerdem beweisen Fotografien wie sich sich Elsa T. und Dora v.N. von der Oschatzer Bevölkerung beschimpfen und beleidigen lassen müssen.
Unter der Überschrift „Ehrvergessene Frauen“ veröffentlicht die „Oschatzer Kreiszeitung“ am 07.1.1944 folgenden Artikel:
„Das Sondergericht Leipzig verurteilte in Oschatz mehrere Frauen und Mädchen zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen.
Oschatz. Noch immer finden sich ehrvergessene Frauen, die Kriegsgefangenen gegenüber sich würdelos verhalten. So hatten sich am 6. und 7. Januar mehrere Oschatzer Frauen und Mädchen in einer Sitzung des Sondergerichts Leipzig in Oschatz zu verantworten, weil sie in einer Weise Umgang mit Kriegsgefangenen geflogen hatten, die dem gesunden Volksempfinden gröblich widerspricht. Je nach dem Grad ihres Verschuldens verurteilt wurden: Margot Gey zu zwei Jahren sechs Monaten Zuchthaus, Ursua Thiele und Hildegard Schrodt zu je zwei Jahren Zuchthaus. Irmgard Müller und Christa Heller zu einem Jahr sechs Monaten Zuchthaus, Marianne Schnied zu einem Jahr vier Monaten Zuchthaus. Einige weiter Angeklagte erhielten entsprechend ihrem würdelosen Verhalten Gefängnisstrafen. Das Urteil mag zeigen, daß ehrvergessene Frauen unerbittlich zur Rechenschaft gezogen werden.“

Unter diesen Text finden wir am gleichen Tage den Hinweis, dass Pg. Dr. Unger aus Leipzig einen Vortrag zum Thema „Verhalten Fremdstämmigen gegenüber“ im „Goldenen Löwen“ halten wird. Die im Zeitungsartikel genannte Hildegard Schrodt verbrachte 2 Jahre im Zuchthaus Griebo. Die Erlebnisse dieser Jahre und die Behandlung im Strafgefangenenlager "Elberegulierung" hat sie nie verwinden können.


Die Angst vor dem Tode ist allgegenwärtig

Die im Artikel 54 festgelegte Bestimmung, dass der Arrest die  strengste Disziplinarstrafe ist, die über einen Kriegsgefangenen verhängt werden kann, wird in Mügeln an einem folgenschweren Mittwoch im November 1944 nachweislich nicht befolgt.
Der amerikanische Kriegsgefangene Rudolpho S. Garcia (Kriegsgefangenennummer 207261/IVB, Army Serial Number 38025796) gerät mit einem deutschen Wachtposten in einen Streit, der am 15. November 1944 tödlich endete. In einer umfangreichen amerikanischen Personalakte, die bis in die 1950er Jahre reicht, wird dieser Vorgang umfassend beschrieben.
[13] Garcia, der leicht angetrunken war, kam auf dem Weg zur Toilette in einen Streit mit einem der Wachmänner. Den Befehl, er solle ins Bett gehen, führt er nicht aus. Infolgedessen kommt es zu einem Handgemenge und es fällt der tödliche Schuss. Seine Beerdigung findet am 18. November 1944 auf dem Mügelner Friedhof statt. Am 03. September 1945 wird die Mutter informiert, dass ihr Sohn in Mügeln in der Kriegsgefangenschaft gestorben ist. Rudolpho Garcia wird nur 20 Jahre alt.
Ein halbes Jahr früher, am 28. Mai 1944, kommen in einem Arbeitskommando des Stalag IV G in Espenhain durch zwei Bombenabwürfe der anglo-amerikanischen Flieger 128 französische Kriegsgefangene ums Leben. Darüber berichtet die französische Kriegsgefangenenzeitschrift „Servir“ des Stalag IV G  Oschatz Nr. 17.August 1944. 
[14] Von den 128 Toten konnten 37 nicht identifiziert werden. Mehr als 2000 Menschen aus der Umgebung von Muckern nahmen an diesem Trauerzug teil und erwiesen den Toten letzte Ehre. Auch der französische Kriegsgefangene und Maler Camille Masse  stirbt an diesem Pfingstmontag des Jahres 1944. Er wurde nur 34 Jahre alt. Seine Bilder sind bis heute verschollen.
Die Angst durch solch einen Bombenabwurf am 28. Mai 1944 ums Leben zu kommen, hat auch der aus Südafrika stammende Kriegsgefangene William Andrew Owen. Kriegsgefangenennummer 23899, (*1915, †1986). Owen, genannt „Laddie“, war in einem Arbeitskommando des Stalag IVG in Coswig bei Dresden in einer Sauerkrautfabrik tätig. Er schreibt am 29. Mai 1944 nach Hause:
„Ich bin noch am Leben – Ist es „Vorsehung“ oder ist es Zufall? Ich glaube wirklich das Letztere. Schicksal und Vorsehung ist eine Erfindung der Abstraktion“ Er beschreibt in seinem Brief, dass ca. 300 bis 400 Bomben abgeworfen wurden und dass 25 Todesopfer zu beklagen sind. „Der Alarm ertönte zwischen 2 und 2.30 Uhr. Wir sahen die Flugzeuge wunderschön klar. Ich zählte 48 Bomber. [...] Die Schmitts sind schrecklich besorgt. Die alte Dame hielt meine Hand und konnte kaum sagen wie froh sie war, dass ich unverletzt geblieben bin [...] Die Nazis sind Jagdhunde. Wir versuchen zu überleben, um ihren Untergang zu erleben. Wahrscheinlich werden wir heute abend wieder geweckt.“ Am 29. April 195 wird er von amerikanischen Truppen in der Nähe von Rochlitz befreit und kann lebend seine Heimat in Südafrika erreichen.
Nicht nur Willkür der Deutschen Bewacher und Bombenangriffe nehmen den Kriegsgefangenen das Leben: viele Kriegsgefangene werden, weil sie nicht mehr arbeitsfähig sind, in Konzentrationslagern umgebracht. Mitte Oktober 1941 überstellt die Wehrmacht 2000 Angehörige aus dem Kriegsgefangenenlager Mühlberg nach Flossenbürg ins Konzentrationslager. Dort werden sie meist gleich nach ihrer Ankunft ermordet. [15]
In einem Spiegel-Artikel [16] wurde aufgedeckt, dass beispielsweise bis 1942 bei der Pittler AG in Leipzig 93 Franzosen, 145 Russen und weitere 1086 Ausländer beschäftigt waren; das entspricht einem Drittel der gesamten Belegschaft. Die Stundenlöhne für Kriegsgefangene lagen für französische Gefangene bei 52 Pfennigen, für italienische Gefangene bei 27 Pfennigen und für sowjetische Gefangene bei 22 Pfennigen. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Pittler AG Hermann Joseph Abs machte seinen Direktoren im Jahr 1942 klar, dass mehr unternommen werden müsse da die Gewinne der Pittler AG trotz großer Rüstungsaufträge sanken. Infolgedessen schrieben die Direktoren an ihren Aufsichtsratschef: „Wir haben begonnen minderleistungsfähige Arbeitskräfte abzustoßen, z.B. russische Offiziere, die in der Dreherei beschäftigt wurden und arbeitsunwillig waren, und werden versuchen, auch noch andere Ausländer loszuwerden, die nicht arbeiten wollen [...] Der Vorstand „entließ“ am 10. Juni 1944 110 Kriegsgefangene, darunter 25 sowjetische Offiziere aus dem Arbeitskommando des Stalag IVG in Leipzig-Stahmeln. Kurze Zeit später verzeichnet das KZ Buchenwald den „Eingang der Häftlinge“, so schreibt der Spiegel. Fluchtversuche endeten am Galgen. Tausende Kriegsgefangene starben vor Erschöpfung, an Krankheiten und durch Unterernährung. Leider ist es nicht möglich, jedes einzelne Schicksal klar aufzuführen. Es ist aber möglich all jenen ein ehrendes Gedenken zu bewahren.

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Achim Kilian: Mühlberg 1939-1948; Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2001
Mannschaftsstammlager
Bundesarchiv-Militärarchiv RW6
Übersetzung aus dem Französischen: Wolfgang Müller, Oschatz
Der Landrat Haupt bestätigt die Unterbringung französische Kriegsgefangener in der Fa. Nuster in einem Brief an die Kreisausschussmitglieder vom 3. Juli 1940 mit dem Aktenzeichen Bl 57n I/40
Jens Nagel: Völkerrecht und Kriegsgefangenenwesen der Wehrmacht
Genfer Konvention vom 27. Juli 1929
Freitagsbrief Nr. 29 vom 12.01.2007 www.kontakte-kontakty.de/deutsch/ns-opfer/freitagsbriefe/freitagsbriefe_archiv.php
Diese Protokolle übergab Paul Forden der Autorin bei einem Besuch in Oschatz im September 2004
Kommandos
Prisoner of war, englisch für Kriegsgefangene
Bei der Auswertung der Kontrollstempel wurden Stempel bis zur Nr. 86 gesichtet
Die Autorin konnte eine 107 Seiten umfassende Personalakte von Rudolpho Garcia aus einem Washingtoner Archiv einsehen.
Druckerei C. Morgan Oschatz
Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (2013)
Der Spiegel Nr. 19/2006, S. 70/71
 

Update vom 24.04.2020

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