Im Bestand des Heimat- und Waagemuseums der Stadt Oschatz befindet sich eine Handschrift aus der Zeit
um 1800. Es ist ein Buch der Größe ca. 17 x 20 x 3,5 cm. Auf insgesamt 152 Blättern enthält es 278 handschriftlich beschriebene Seiten.
Die Blätter sind zwischen zwei dünne ehemals mit Stoff bespannte Holzplatten gebunden. Der Buchrücken fehlt, die Heftung der Seiten ist nicht
mehr vollständig. Der Erhaltungszustand der Deckseiten ist schlecht. Dagegen ist das Papier sehr gut erhalten, nur stellenweise leicht vergilbt, die
Tinte ist meist klar und schwarz zu erkennen. Das Vorsatzpapier ist vorn und hinten beschrieben. Auf der hinteren Vorsatzseite befinden sich zwei
Siegelspuren. Mitten auf der Vorderseite trägt es einen Aufkleber mit der Inventar-Nummer G II 544. Im derzeitigen Inventar ist es unter II/1927/S
auf der hinteren Vorsatzseite erfasst. Die Herkunft dieser Handschrift ist nicht mehr zu ermitteln. In den alten Inventarlisten des Oschatzer Orts- und
Volkskundevereins von 1930 tritt sie nicht auf. Im "Heimatboten", der Beilage des "Oschatzer Gemeinnützigen" finden sich 1931 einige
Einträge aus dem Tagebuch zitiert. Ich habe den ersten Eintrag in der "Bestandsaufnahme des ehemaligen Oschatzer Heimatmuseum Sept. 1950 W.
Käseberg" gefunden. Dort steht auf Blatt 48
1 Rechenbuch und Berichterstattung von persönlichen und lokalen Ereignissen 1787
1 – 1843 von Gottlob
Uhlrich (G II 544) |
Wer dieses Buch aufgehoben hat, woher es stammt und wie es in den Besitz des Museums kam bleibt im Dunkeln.
Als Besitzer und Schreiber gibt sich Heinrich Gottlob Uhlrich auf der zweiten Vorsatzseite in großen und
verschnörkelten Lettern zu erkennen. Gleichzeitig wird es als Rechenbuch bezeichnet und mit der Jahreszahl 1. Januar 1782 versehen.
Es schließen sich nun tatsächlich 58 Blatt mit systematisch gegliederten Rechenübungen zu den vier Grundrechenarten und zur Bruchrechnung
an. Danachanachanach bricht der Text ab. Es folgen 8 leere Blätter um danach mit einer tagebuchartigen Eintragung aus dem Jahre 1781 zu beginnen. Diese
Eintragungen füllen dann den Rest der Handschrift.
Einige Überlegungen kosteten mich die griechischen Texteinschübe, die sich an mehreren Stellen der
Handschrift finden. Ich kann kein Griechisch und hatte mich schon professioneller Hilfe versichert. Andererseits erschien es mir doch schon unwahrscheinlich,
dass ein Tuchmachermeister mit Elementarschulbesuch griechisch konnte. Der Schlüssel zu diesem Problem fand sich auf der Seite 58. Dort steht
Gottlieb Zschunke ist gestorben 1804 68 Jahre alt Γοττφριεδ Στυρμ ist gestorben 1805 96 Jahre alt
Γοττφριεδ Σχηλτε ist gestorben 1800 72 Jahre alt Σαμυελ Καψσερ
|
Daraus ergibt sich, das nur mit griechischen Buchstaben deutsche Texte - hier Namen – geschrieben wurden:
Γοττφριεδ Στυρμ = Gottfried Sturm. Ein kleiner Angeber war er also doch. Dafür finden sich gleich drei Seiten weise lateinische Sprüche und ihre
Übersetzung auf den Seiten 89/90.
Alle diese Texte habe ich abgeschrieben und sie stehen in einer Worddatei zur Verfügung. Auf dieses
Manuskript und seine Seitenzahlen beziehe ich mich bei Zitaten. Eine eigene Nummerierung der Seiten liegt ja nicht vor, ich habe aber die Textseiten fortlaufend
gezählt. Der Teil der Handschrift, der sich mit den mathematischen Aufgaben befaßt ist in einem zweiten Manuskript beschrieben.
Zur Person des Schreibers
Aus den verteilten Aufzeichnungen lassen sich die Person des Schreibers und die Mitglieder seiner Familie
weitgehend rekonstruieren. Heinrich Gottlob Uhlrich wurde am 7. September 1768 in Oschatz geboren. Seine Eltern waren Christian Gottlob Uhlrich und Anna
Roßina Kretzschmar. Der Vater entstammte einer Tuchmacherfamilie aus Oschatz, die Mutter war die Tochter eines Häuslers aus dem nahen Lampersdorf. Die
Uhlrichs sind seit 1707 im Meister- und Innungsbuch des Oschatzer Tuchmacherhandwerks nachzuweisen. In diesem Jahr wird am 27.8. ein Johann Christian Uhlrich als
Meister eingetragen. Es war sicher der Großvater unseres Autors. In den Jahren 1733 bis 1744 werden vier Söhne, darunter auch der Vater Ch. G. Uhlrich
in die Innung als Tuchmachermeister eingetragen. Alle lebten und arbeiteten in Oschatz. Aus den vielen Eintragungen ergibt sich aber kein Hinweis auf den Wohnort
in Oschatz. Erst durch die Information eines Sohnes (S. 51) über den Oschatzer Stadtbrand 1842 ist es mir gelungen, das Haus der Uhlrichs zu identifizieren.
In der Chronik des Oschatzer Stadtbrandes von 18422
werden alle abgebrannten Familien exakt aufgelistet. Dort finden sich auf S. 65 sechs Eintragungen zur Familie Uhlrich, darunter
auch der Sohn Carl Gottlob Uhlrich mit Frau, Mutter, Bruder und Sohn im Haus Nr. 54.
Mit Hilfe einer im Stadt- und Heimatmuseum vorliegenden vergleichenden Liste der Brandkatasternummern ist diese
Nummer der Rosmarinstr. 10 zuzuweisen. Tatsächlich findet sich an diesem Haus ein sehr gut erhaltener und lesbarer Türsturz mit dem Eintrag
Das deckt sich mit dem Eintrag des Sohnes zum Wiederbezug seines aufgebauten Hauses:
1843 d. 10 July Haben wir wieder mit Gotteshilfe ein neu erbautes Haus bezogen
(S.53) |
Im Vorgänger dieses Hauses lebte und arbeitet unser Autor. Bald nach seiner Geburt wurde er aber zu
seinem Großvater mütterlicherseits, Daniel Kretzschmar, nach Doberschwitz bei Leisnig gebracht und dort auf einem Bauernhof aufgezogen. Die
Ursache ist unbekannt. Mutter und Vater waren in Oschatz. Hier besuchte er dann die Schule bis zum Jahr 1782. Aus den letzten Schuljahren stammen die ersten
Eintragungen in dieses Buch, sowohl die Seiten des Rechenbuches sind um 1780 entstanden, als auch die erste Eintragung in dem „Tagebuch“ stammt aus dem Jahr 1781.
Das Rechenbuch kann nicht früher angelegt worden sein, denn Schrift, Gliederung und die gewählten Übungsaufgaben schließen einen
Rechenanfänger aus. Hier ist einer dabei, seine Kenntnisse zu ordnen und zu festigen, der Erstrechenunterricht liegt schon einige Zeit zurück.
Außerdem gibt es einige direkt auf 1780 datierte Eintragungen im Rechenteil (S.31 Rechenteil).
Nach Schulabschluß 1782 begann der Autor eine Lehre als Tuchmacher in der väterlichen Werkstatt.
Söhne von Innungsmeistern konnten bereits nach zwei Jahren zum Gesellen losgesprochen werden
3. (S.57) So trat er 1784 der Ehrbaren Brüderschaft der
Tuchknappen bei. Gearbeitet hat er in der Werkstatt seines Vaters. Eine Information über seine Wanderjahre findet sich nicht.
Bereits 1787 wurde er Ladenschreiber der Tuchknappen und hatte damit die Finanzen einzunehmen und zu verwalten.
Schnell wurde er Meister. Am 1.9.1789 erhielt er seine Meisterurkunde und gleichzeitig wurde er Bürger der Stadt Oschatz. Ob und wie er zu einer eigenen
Werkstatt kam, ist wieder nicht aus den Eintragungen zu rekonstruieren.
Aber er heiratete am 13. April 1796 Frau Christiana Sophia Uhlrich, eine aus dem Uhlrichclan in Oschatz. Damit
dürfte er ja wirtschaftlich auf eigenen Füßen gestanden haben und eine Familie ernähren können. Von 1799 bis 1815 bekamen die Eheleute
insgesamt 5 Kinder, 3 Töchter und 2 Söhne. Die erste Tochter starb mit knapp 2 Jahren, die zweite an den Pocken mit 18 Jahren. Mit 65 Jahren starb er
im Jahr 1834 an Altersschwäche (S.47). Weitere Eintragungen folgen von seinen Söhnen. So sind die Informationen über den Stadtbrand von
ältesten Sohn Carl Gottlob Uhlrich. Aber auch der jüngere Bruder Carl Heinrich schreibt im Tagebuch.
Eine ausführliche Zeittafel aller Familienereignisse liegt im Anhang vor.
Zum Inhalt der Eintragungen
Die Eintragungen erstrecken sich über einen Zeitraum von 67 Jahren und sind von sehr unterschiedlichem Umfang
und Informationsgehalt. Eine grobe Gliederung läßt folgende Themenbereiche abgrenzen:
- rein familiäre Berichteichte
- lokale Neuigkeiten und Statistiken
- Sensationen und spektakuläre Vorkommnisse
- Spiegelungen der Weltpolitik im Leben von Oschatz
- Informationen zur Innung der Tuchmacher und zur Meisterwerdung
Familiäre Berichte
Es werden Berichte über Geburten und Todesfälle in der Familie gegeben, die Wanderschaft seiner
Söhne und verwandschaftliche Beziehungen beschrieben. Auch den Beginn eines eigenen Lebenslauf findet man (S. 57). Mehrfach traf die Familie
schmerzliches Leid, so besonders bei dem Tod ihrer beiden Töchter. Die erst starb bereits mit 1 Jahr und 10 Monaten. Die zweite mit 18 Jahren an den Pocken.
Das solche Todesfälle nicht selten waren zeigen die ebenfalls über mehrere Jahre geführten Statistiken zu Geburt und Todesfällen der Stadt
Oschatz (s.h.), die eine immer noch hohe Kindersterblichkeit in der Stadt nachweisen. Auch aus seinen eigenen Berichten geht mehrfach hervor, das die Eltern
meisteinige ihrer Kinder überlebten (z.B.: S.78). Im Zusammenhang mit dem Pockentod der Tochter hat mich eine Eintragung auf Seite 77 sehr überrascht:
D.7. April (1809) habe ich diesen beyden Kindern die Pocken laßen ein impfen es war 8 Tage vor Ostern,
der Knabe war 3 Jahr und das Mädgen 5 Wochen, Johanna Friedericka Teresia hat die Pocken eingeimpft bekommen sie war ¾ Jahr alt
von Feldscher Knabe. |
Das bereits zu so einem frühen Zeitpunkt in Sachsen gegen Pocken geimpft wurde, war mir bisher unbekannt.
Erst im Jahr 1796 wurde die Impfung in England, wo sie auch entwickelt wurde, zugelassen. Bereits 12 Jahre später gehörte sie zu den hier angewandten
Heilmethoden. Leider war der Erfolg nicht sehr groß, wie ein später nachgetragener Text zeigt:
Carl hat die würklichen Pocken gehabt 1826 und 7 Wochen hat er zugebracht 11 Jahr war er
alt und Friedericke mußte sterben. |
Gehen wir davon aus, daß wenigstens beim Sohn das Impfen das Leben gerettet hat. Die Jahreszahlen sind
wohl verwechselt. Denn der Sohn Carl ist 1805 geboren und damit 1816 elf Jahre; 1826 war aber die Tochter Friedericke 18 (s.S. 55). Ihr Tod ist dem Vater sehr
nahe gegangen und er schreibt über 3 Seiten (S.55/56) vom Leben und Sterben. Bei all diesen schweren Nachrichten fällt die einfache, ja uns heute etwas
naiv erscheinende Gottesfrömmigkeit auf. Im Willen des Herrn ist das Schicksal bestimmt und es wird im allgemeinen ohne Klagen, nur mit Trauer, angenommen.
Trost und Hilfe ist der Glaube an das Paradies und ein Wiedersehen im Himmel. So schreibt er über den Tod seiner Tochter (S. 56):
Sie wollte gern sterben, und sie sagte noch zu mir, Vater ich gehe nun aus der
Welt von meinem Vater und von meiner Mutter und Geschwister und komme zu meinem Großvater und Großmutter und meine Schwester. Den die
Blume blühet auf am Abend fällt sie ab, so auch der Mensch er blüht und sinkt ins Grab. |
Eine weitere beachtenswerte Eintragung zu Familiengeschichte geschieht nach dem Tod des Autors 1840 durch
seinen Sohn Carl Gottlob Uhlrich (S. 47):
Ano 1840 Hat uns der Vetter Carl Kretzschmar aus Riga besucht… |
Eine weite Reise damals! Es ist die Verwandschaft der Ehefrau des Autors aus Lampersdorf, die es nach „schwedisch
Pommern“ und nach Rügen verschlagen hatte. Dieser Teil Vorpommerns um Stralsund gehörte damals immer noch zu Schweden - seit dem
Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden war das so. Es folgen mehrseitige Berichte des Sohnes und auch des Besuchers, der sich sehr
für die freundliche Aufnahme in Oschatz bedankt (S. 50). Die Vettern waren in Stralsund zu einem gewissen Wohlstand als Händler gekommen und hatten
eine Filiale in Riga eingerichtet. Nun wurde die alte Heimat besucht und die Freundschaft gepflegt.
Für die Verflechtung der Familien und die Hilfe und Unterstützung waren in jenen Zeiten die Taufpatenschaften von großer Bedeutung. Neben der
Erziehung im rechten Glauben, das war der ursprünliche Sinn der Patenschaften, wurden damit Freundschaften gefestigt und eine langdauernde Verbindung
zwischen Täufling und Paten hergestellt. Jedes Kind des Autors bekommt drei Paten, die immer mit vollem Namen und dem Verwandschaftsverhältnis
aufgezählt werden (S. 77; S.80). Ein kindlich-berührender Text über den Tod einer Mutter am Ende des Buches (S. 91/92) kann von mir leider nicht
zugeordnet werden. Er gehört zu keinem der aus dem übrigen Text hervorgehenden Todesfälle und zu keiner mir bekannten Person.
Lokale Neuigkeiten und Statistiken
In diesen Abschnitten werden Nachrichten aus den Stadt Oschatz, dem Umland und aus dem Bereich der Kirche berichtet.
So werden besondere Wettererscheinungen (S. 5 u.a.) beschrieben oder Folgen davon aufgezählt (S.6). Sehr oft werden Preise für die gängigsten
Getreidesorten genannt und über die Teuerung geklagt:
Die Preise habe ich in Groschen umgerechnet, damit sie das Diagramm darstellen kann.
Ein besonderes Kapitel bilden die Brände und deren Berichte. In den Jahren von 1799 (S.5) bis 1842 (S.54)
wird über 21 Brände in der Stadt berichtet, bei denen mindestens ein Haus abbrannte. Häufig fielen aber auch mehrere Häuser oder
Straßenteile dem Feuer zum Opfer. Auch das Hinterhaus und die Scheune des Autors brannten 1799 einmal ab, aber sie konnten das Wohn- und Arbeitshaus retten.
(S. 5) Erst beim Stadtbrand 1842 brannte nun das Haus des Sohns mit ab. Bei der Bauweise der Häuser und besonders der Schindeldächer war es ein Wunder,
daß der große Brand so lange auf sich warten ließ. Vorher am 10. August 1803 traf es schon die Stadt Leisnig, über deren Brand und die
Schädenhädenl;denhäden ausführlich berichtet wird. (S. 13). Zur Brandabwehr halfen alle Büauch die Soldaten der Garnison konnten sich
auszeichnen. Besondersschwere Brand in der Döllnitzgasse am 18. September 1811, als 23 Familien ihr23 Familien ihrn ihr23 Familien ihr Hab und Gut verloren,
denn
Sie haben den 22. September von der Obrigkeit eine Ergötzlichkeit davor
erhalten jede Comp. 3 Kannen Bier zusammen 6 Viertel und frey Toback des Sontags um 3 Uhr.(S.26)
|
Der Bericht des Sohnes über den Stadtbrand (S.51 - 53) enthält nichts prinzipiell Neues, erwähnt
aber die schnelle Hilfe mit Lebensmitteln noch am Unglückstag
von der ganzen Umgebung kamen Lebensmittel im Überfluß, gleich zum 7. Sept. des Abends
kamen von Leipzig 500 Stück Brode von Wurzen ebenfalz eine bedeitende Anzahl und so ging es die folgenden Tage so fort. Brod war in
großer Menge angekommen Rindfleisch, gereichertes Schweinefleisch, Erdbirnen
4, Erbsen, Reis , gebacken Obst und gegen
19000 Thaler an Gelde. Kleidungsstücke alles ward sorglich unter die Abgebrannden vertheilt worden.
(S. 53) |
Auf Seite 54 wird über das Richtfest am Rathaus (am 8. Nov.1843) und seine feierliche Einweihung am 24. Nov.
1845 berichtet. Neben den Bränden finden Selbstmorde in der Stadt das besondere Interesse des Autors. Sehr ausführlich und detailreich wird über
diese Ereignisse berichtet. Diese über viele Jahre gehende Aufmerksamkeit des Autors macht einen erstaunlichen Wandel in der Gesellschaft beim Umgang mit
diesem Personenkreis deutlich. Um 1800 werden die Selbstmörder noch meist an Ort und Stelle verscharrt. (S.3; S.14; S. 19) Der angesehene Meister Carl
Sigiesmund Sturm, der sich „wegen sein Bankrott“ umbrachte, wird 1820
erstlich des Sonabend früh durch 8 Meister (ist) auf den Kirchhof getraget
worden. |
Aber ganz ohne Erlaubnis ging das noch nicht, denn er fährt fort:
Der Berichte kam aus Dresden (S.37).
|
Noch einige Jahre später ist auch die Erlaubnis aus Dresden nicht mehr nötig. Am 23. April 1826 bringt
sich eine Frau Austern, eines Zinngießers Frau, um und
Sie ist früh begraben worden auch ausgesungen worden, so gut wie eine andere
Leiche. Es wird nichts mehr daraus gemacht. (S.44) |
Breiten Raum nehmen Ereignisse und Personalien ein, die mit der Kirche zu tun haben. Sei es die Einführung
eines neuen Gesangbuchs 1798 (das alte stammte aus dem Jahr 1533!) (S.5), der allgemeinen Beichte (S.20) oder des festlichen Begehens der 300jahr-Feier der
Reformation (S.34), immer findet es ausführliche Erwähnung im Tagebuch. Für die dreitägigen Feiertage zum Jahrestag der Reformation 1815
finden sich zu allen Gottesdiensten die Predigt-Texte und die Lieder mit Nr. im Gesangbuch. Vielfach werden Amtseinführungen und Beförderungen von
Diakonen, Archidiakonen und Superintendenten berichtet. (S.46) Besonders beliebt war der langjährige Superintendent Johann Gottlob Steinert von dem der Autor
nach dessen Tod am 24.12.1820 schreibt:
den G. Steinert predigte allhier in seiner letzten Zeit von dem himmlischen als
wenn er schon oben gewesen wäre. (S.40) |
Von allgemeinem Interesse dürften die entsprechenden Nachrichten zu Herrn Magister Samuel Hoffmann, dem
Verfasser der Oschatzer Stadtchronik sein. So wird auf Seite 24 die am 24. Febr. 1811 erfolgte Berufung zum Archidiakon genannt und auf S. 44 seines Todes am 5.
Juni 1826 gedacht. Leider finden sich zu stadtgeschichtlichen Ereignisse wenige Notizen. Nur die Anpflanzung des Promenadenweges rund um die Stadt im Jahre
1797 „von einem ehrwürdigen Rath vor der Vorstadt“ (S.2) findet Erwähnung, ohne allerdings den Bruder von Samuel Hoffmann als Spender zu erwähnen,
wie es in der Stadtchronik mehrfach betont wird. In den Jahren 1800,1801,1807,1808,1809, 1810 1825 und 1828 berichtet der Autor sehr detailliert über
Geburts- und Todesfälle, zählt die Heiraten und die Konfirmierten auf. Daraus läßt sich ein stetiges Anwachsen der Stadtbevölkerung von
1800 an ablesen, denn in allen Jahren übersteigen die Geburten die Todesfälle zum Teil um 50 Personen.
Sensationen und spektakuläre Vorkommnisse
Natürlich waren solche Vorgänge schon immer von Interesse und die Neugierde mußte befriedigt
werden. Neben den schon oben abgehandelten Bränden und Selbstmorden sollen hier die Gewaltverbrechen in der Stadt und ihrer Umgebung betrachtet werden.
Insgesamt sieben Morde werden erwähnt, vier davon sehr ausführlich dargestellt. Es beginnt 1802 mit einem Mordversuch auf der Wanderschaft von
Burschen. (S.10ff) Zwei Franzosen und ein deutscher Tippelbruder schließen sich in Oschatz zum gemeinsamen Weg nach Wurzen zusammen. Bei einer Rast kurz
vor Calbitz versucht einer der beiden Franzosen den Deutschen zu erstechen. Der kann sich aber befreien und erhält auch Hilfe durch einen nach Dresden
ziehenden Schmiedeburschen. Die Franzosen fliehen und mit fremder Hilfe kann der Verletzte in den Gasthof Calbitz „bei dem Teiche“ gebracht werden. Dort erkennt
er seinen Mörder als einen Gast und dieser wird ergriffen. Der Verletzte und der Ergriffene werden nach Oschatz gebracht. Nach der Ergreifung des noch
flüchtigen zweiten Franzosen in Wurzen wird die Ermittlung mit einem Geständnis erfolgreich abgeschlossen. Beide wurden zu Gefängnisstrafen
verurteilt. Auch der Verletzte „ist in 1 ½ Jahr gestorben in Leipzig“. (S.11) Ein weiteres Gewaltverbrechen mit sozialem Hintergrund wird 1811
aus Liebschütz berichtet. Ein Bauerssohn – wohl eines Großbauern Sohn – hatte ein Mädchen aus dem Ort „beschwängert“ (S.25) und durfte
diese nicht heiraten „den sie ist den Eltern nicht Reich genug geweßen“ (S.25). Daraufhin versucht der Sohn das Mädchen mit Geld zu bestechen,
als dies nicht gelingt, bringt er sie um und begräbt sie im Garten seines Vaters. Trotz unauffälligen Verhaltens „er hat sich auch sehr lustig
gemacht und des Sontags geht er auch 2mahl in die Kirche und thut gar nicht dergleichen“ wird das Verbrechen und die Leiche entdeckt. Der Mörder kommt
nach Oschatz ins Gefängnis, ein Selbstmordversuch des Vaters kann verhindert werden.
5 Es gelingt dem Mörder mit einem Kumpanen aus dem
Gefängnis auszubrechen und nach Böhmen zu fliehen. Doch ein Brief an seine Eltern führt auf seine Spur und er wird ergriffen und für zwei Jahre
in Mügeln inhaftiert, verurteilt und „ist Ihm den 14 Appril 1814 der Kopf abgeschlagen worden.“ Offensichtlich hat ein Sexual- und Gewaltverbrechen
an einem 16-jährigen Mädchen in Schweta am 6. Juli 1792 die Gemüter sehr erregt. So wird von Aufläufen in den Dörfern und in der Stadt
berichtet. Der Mörder aus Hanau konnte nach 9 Tagen in Meißen gefaßt werden und wurde „also den 5. Sept 1794 hingerichtet und in die Erde
begraben“. Dieser Mord hat den Autor tief bewegt und ihn zu zwei Gedichten angeregt, eine „Mord Ode“ und ein „Am Sarge“. Beide Gedichte
werden, wie es dem klassischen Bildungsbürgertum entspricht, mit einem Gellert-Zitat eingeleitet:
Auf einmal wird man nie der größte Bösewicht, allein den Grund
dazu kann man aufeinmal legen. |
Weiter wird ein Mord in der Altoschatzer Vorstadt berichtet, die Hausleute haben eine Frau im Schlaf umgebracht.
Interessant ist ein Mord an der Gastwirtin in Schmorkau deshalb weil „es war Sontag unter der Kirche, wo niemand weis wer sie erschlagen hat“. Offenbar
war dies eine günstige Zeit, denn alle Leute waren in der Kirche, nur die Wirtin mußte das Mittagessen vorbereiten. Ein Mord in der Verwandtschaft hat
um Neujahr 1811 die Bewohner bewegt. Ein Bruder hat in Jahna seine Schwester umbringen lassen, auch noch durch den eigenen Sohn. Zum Schluß dieser
schaurigen Geschichten noch eine Aufzeichnung, die zeigt, das es selbst zum Tode Verurteilten nicht gut ging:
1808 Dem 21. Okt. ist zu Meißen eine Excution vorgefallen es sind 6 Personen
hingerichtet worden und auf das Rad gesetzet. Der erste ist 2 mahl gerichtet worden indem das erste mahl der Scharfrichter nicht durchgekommen
ist.“ |
Spiegelungen der Weltpolitik im Leben von Oschatz
In den Jahren des Tagebuchschreibens hat ja die große Weltpolitik um Oschatz keinen Bogen gemacht und
besonders die Ereignisse der Napoleonischen Feldzüge trafen auch unsere Heimatstadt. So ist es kein Wunder, das auch der Autor längere Passagen
seiner Aufzeichnungen diesen Vorkommnissen in Oschatz aber auch in der fernen Welt widmet. In einem längeren Text (S.30 -33) stellt er eine geschlossene
Darstellung der Ereignisse der Jahre 1813 bis 1815 vor. Sicher nicht, ohne eine Zeitung jener Tage benutzt zu haben. Konkrete Auswirkungen auf Oschatz
beginnen im Jahr 1806. Den 28. September marschierte die Oschatzer Garnison aus um da noch gegen Napoleon zu kämpfen. Bereits am 14. Oktober waren sie
in französischer Gefangenschaft und drei Wochen später wieder da, weil Sachsen inzwischen zu Napoleon übergelaufen war. Es handelt sich hier
um die bekannte Schlacht bei Jena/Auerstädt, die am 14.10.1806 stattfand – also auch mit Oschatzer Beteiligung. Kurz darauf kamen die ersten Franzosen
in die Stadt.
sind die Frantzoßen hier durch passiert nehmlich die Kranken
Militärstraßeging hier durch da haben wir viel Einquartiergehabt (S.15) |
Aber nicht umsonst, denn
vor den Mann 10 Gd gutgethan (ebenda) |
Auch der Handstreich zum Raub der Stadtkasse, den ein Husarentrupp 1809 aus dem Lager Meißen in Oschatz
machte, findet Erwähnung:
Den 16. Juny ist der Feind in unsere Stadt eingerückt und die Thore wurden
gleich gespert und nahmen alle Caßen in beschlag, und in 2 Stunden ritten sie wieder weiter, es waren 36 Mann Kayserliche Husaren.
|
Es wundert einen heute schon, wie 36 Mann eine ganze Stadt mit Garnison ausrauben konnten. Danach begannen die
schweren Prüfungen für Oschatz mit 9000 Mann Einquartierung am 20. Juli und wenige Tage darauf auf dem Rückmarsch aus Grimma nochmals. Der
Autor erwähnt weiter den Besuch des Königsdes Königs von Westfalen:
Den 1. Appril (1812) ist alhier der König v. Westpfahlen hier in dem goldenen
Löwen einlogiert um 8 Uhr und früh um 4 wieder fDen 12. ist den frantzschösen Kayser seine Bedienungyser seine Bedienung
hiergeblieben 100 Mann und 150 Pferde. (S.28) |
Bis dann auch endlich der Kaiser Napoleon durch Oschatz ritt:
Und auf einmal so kam der Francoesch.Kayserer Napoleon mit seiner
Armee hier durch die Hospitalgasse rauf und der König October (1813), da haben hier in Oschatz wieder 9000 Mann logiert und
und das Marschieren ging 3 Tage nach Leipzig alwo eine5täglich Schlacht geliefert wurde. (S.30) |
Diese Belastung der Stadt hat auch in der Familie des Autors ein Opfer gefordert:
Anno 1813 d.17.October ist meiner Frau ihre Stiefmutter gestorben… Sie war so erschrocken, wie
viele Frantzosen dawaren 9000 an der Zahl 50 Mann hatte mein Schwiegervater. (S.80) |
Eine erstaunliche Zahl für das Haus Rosmarinstraße 12, ausas Haus Rosmarinstraße 12, ausaße
12, aus dem die Frau des Autors stammte.> Neben diesen kriegerischen Ereignissen spielt nur noch der Tod des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm der
Zweite 1797 eine Rolle. Auf den Seiten 82/83 wird eine ausführliche Beschreibung der Trauerfeierlichkeiten in Potsdam und Berlin gegeben. Sicher auch eine
Zusammenstellung aus einer Zeitung. Zwei Einträge sind in diesem Zusammenhang noch erwähnenswert, spiegeln sie doch auch große Politik in der
Wahrnehmung der kleinen Leute wieder. Da ist zunächst eine als „Leidensgeschichte des hl. Römischen Reich“ bezeichnete Parodie mittels
volkstümlicher Sprüche (S.2/3) aus dem Jahre 1798. Wenig sp1801 ein umfangreiches Spottgedicht „ein Lied aus DrHolzeinschläge und Schiebereien in
den Wäldern Sachsens durch einen hohenin den Wäldern Sachsens durch einen hohenldern Sachsens durch einen hohen Beamten, Geheimrat Färber in
Dresden. Aber das Vertrauen auf den König war grenzenlos, wie die letzte Strophe zeigt:
König August voller Güthe nimmt es zu Gemüthe Dein Volk ist
braf und gut Durchlauch, höre ihr klagen und milder ihre Plagen Vernichte uns die Höllenbrut. |
Informationen zur Innung der Tuchmacher und zum Meister
Naturgemäß sind für den Tuchmacher Uhlrich die Ereignisse der Tuchmacherinnung oft einen Eintrag
wert. Es beginnt mit einer Information über seinen Vater, der sich sehr für die Erschließung neuer Absatzmärkte für die Oschatzer Tuche
einsetzte. Mit Erfolg, wie die Nachricht vom Frühjahr 1797 (S.71) zeigt:
Ist mein Vater Christian Gottlob Uhlrich auf die Braunschweiger Meße gegangen und
in 16 Tagen wieder gesund zu Hauße gekommen wo er zu ersten mahle als ein Oschatzer Tuchmacher den Versuch gemacht hat. |
Unterstützt wurde dieser Gang nach Braunschweig durch die Innung, denn er erhielt 5 Thaler Reisegeld.
Erfolgreich muß die Reise auch gewesen sein, denn bereits im Sommer des gleichen Jahres fuhr er nun mit 4 weiteren Meistern wiederum nach Braunschweig. Und
das nicht zum letzten Male:
Und also ist diese Meße immer noch fort geführt worden 1809 da waren 4
Meister auf die Meße 1810 - 5; 1811 - 7; 1812 – 6; 1813 – 8; 1814 – 8; 1815 – 7 und immer Geld geliefert. |
Allerdings zeigt sich in diesen Jahren auch, das die große Zeit des Oschatzer Tuchmacherhandwerks langsam zu
Ende geht. Immer wieder erfolgen Klagen über den schlechten Geschäftsgang (S. 33,34,87). Noch ist die Meisterinnung aber stark, so feiert sie am
10.4.1801 auf dem Rathaus ein Fest, weil die Innung aus 111 Meistern besteht (S.9). Ärger hatte die Innung mit ihrer eigenen Färberei, der
Schönfärbe und dem Grundstück, auf dem sie sich befand. Dazu gibt es im letzten Meisterbuch der Innung im Stadt- und Waagemuseum einen
umfangreichen Briefwechsel. Auch der Autor beschäftigt sich mit diesem Vorgang und kommentiert ihn (S.43). Seine Meisterwerdung beschreibt er sehr
ausführlich und mit vielen interessanten Details auf den Seiten 58 - 60. So beginnt am 20.7.1798 die Meisterprüfung mit dem Besehen der Wolle zum
Meisterstück – immer mit Unkosten verbunden:
Summa 9 Thl 6 gl ist mir das Wolle besehen gekommen
1 Thl 6 gl Wein 10 Thl 12 gl |
Die Meisterprüfung setzt sich über Rohschauen und zweimaligen Beschauen – immer mit Kuchen und Wein –
fort. Die Ernennung zum Meister und die Gewinnung des Oschatzer Bürgerrechts am 20.8.1798 kosten wieder Geld. Manche Feiern dehnten sich auch aus: aus:
Den 11. August habe ich das Tuch gewalcken und ist mir 1 Thl 16 gl gekommen. Wobei
viele Leute mit zu gegen waren und gingen nach Mannschatz zu Biere und haben gegeßen und getrunken und die Gäste 27 Mann und Weib bis
früh um 9 Uhr. |
Nach all diesen Anstrengungen schreibt er am 1. September 1798:
Und also ist mir mein Meister und Büger werden gekommen 27 Thl und 7 gl. |
Diesen Eintragungen zu seiner Meisterfeier folgt die umfangreichste zusammenhängende Darstellung im gesamten
Buch:
Eingangs Rede bey einer Ehrbaren Brüderschaft, wen sie zusammen kommen (S.60ff)
|
Es ist das ausführliche und sicher wörtliche Protokoll einer Zusammenkunft der Tuchknappen. In den
umfangreichen Unterlagen aus der Innungslade der Tuchmacher von Oschatz ist kein entsprechender Text zu finden. Damit habe wir hier erstmals die Gelegenheit, den
Inhalt und besonders den Stil einer solchen Versammlung kennen zu lernen. Aufgabe dieser monatlichen Zusammenkünfte in der Herberge, also dem Quartier
für Wanderburschen, war die Zahlung eines Beitrags zur Armen- und Altenunterstützung, die Anhörung aller Mitglieder über Probleme bei der
Arbeit oder der Unterkunft, die Wahl eines „Arbeitschauers“, die Aufnahme neuer Gesellen als Mitglieder und die Verabschiedung von Gesellen auf die Wanderschaft.
Alle diese Aufgaben werden vom Altgesellen, der die Knappschaft führt, gewissenhaft aufgerufen und abgehandelt. Der nach dem Altgesellen wichtigste
Mann war der Ladenschreiber, der die Lade mit der Kasse verwaltete. Diesen Posten hatte auch unser Autor mehrere Jahre inne. Der Ladenschreiber ruft alle Gesellen
mit vollem Namen auf, diese treten vor die Lade und geben „einen guten Groschen“ (S.61) . Im Protokoll dieser Sitzung sind es 37 Gesellen, die mit
Nennung ihrer Herkunft aufgerufen werden. (S.62/63). Danach klopft der Altgeselle und
thue dabey eine öffentliche Umfrage ()halten ob etwa einige sind, die was zu
klagen haben was anbelangt Handwerks Sachen oder Herbergs Sachen Schimpf und Schimpfworte oder was einem ehrliebenden Nahmen nicht länger
anständig ist zu leiden… |
und fordert sie zum Reden auf. Teilnehmer sind auch einige „tepentierte Meister“, was ich nirgends
erklärt fand, ich nehme an das sind „delegierte“ oder „deputierte“ Meister, die sicher auch hier Rede und Antwort stehen können und die Meisterinnung
gegenüber der Knappschaft vertraten. In dem Innungsbuch wird immer für ein Jahr eine Dreiergruppe Meister extra gewählt, ich denke das es genau
diese Meister waren. Nach dem keine Klagen vorgebracht wurden, wendet sich der „Arbeitschauer“ mit einem Monatsbericht an die Gesellen. Dieser jeweils
für einen Monat bestimmte Geselle kümmerte sich um die Wanderburschen, verschaffte ihnen Arbeit und Quartier. Er stellt sich der Kritik seiner
Mitgesellen und bittet um ihre Unterstützung. Nun folgt die Aufnahme neuer Gesellen mit einer umfangreichen Einführung in die Pflichten und Aufgaben.
Es beginnt mit der politisch-ideologischen Grundlage:
Dabey Gott und seyn Wort nicht verachten… das Hl. Abendmahl…..wenigstens des
Jahres 3mahl zu genießen…. |
Dann folgt die materielle Basis:
Werden Sie in Arbeit stehen…..werden Sie Ihnen seine Arbeit machen… |
und dann der( etwas eingeschränkte) Spaß:
werden sie nunmehr die vorige Gesellschaft meiden, die sie bisher geliebet haben sich
jeder Zeit zu praffen Buschen halten…. nicht etwa in Gasthöffen oder anderen Häußern alwo sich nicht geziemet… |
Alle Zitate stammen von den Seiten 60 – 69. Das Befremdliche an diesem Protokoll ist aber der Stil, in dem diese
Versammlung abläuft. Alle Redewendungen sind sehr formalisiert, ja zu Formeln erstarrt, so wendete sich jeder mit folgender Anrede an die Versammlung:
Wohl vorgesetzte Altgesellen wie auch deren Herrn zugethanen Tepentierten Meister
als Beysitzer die Gesellen bey Tische nebst einer gantz Ehrbahren Brüderschaft. |
Fast jeder Satz wird mit der Formel „mit Gunst“ eingeleitet und abgeschlossen. So antwortet der Altgeselle
auf die umständlich vorgetragene Bitte, sich an die Versammlung wenden zu können mit:
Mit Gunst Du kannst reden was du von Nöthen;then hast mir und der Laden ohne
Schaden mit Gunst. (S.64) |
Die Rolle des Altgesellen nimmt beinhoheitliche Maße an, so wendet sich der Arbeitschauer zunächst an
denauAltgesellen und trägt ihm wort- und formelreich sein Ansinnen vor, einige Wortenen vor, einige Worte an die Gesellen zu richten. Danach tritt der
Altgeselle vor und trägt nun seinerseits mit fast den gleichen Worten dieses Ansinnen nochmals an alle Gesellen vor, als ob diese vorher nicht
hinhören durftebisher nur aus dem Petitionszimmer des franz. Königs Ludwig des XIV. bekannt.s Ludwig des XIV. bekannt. Die erstarrte Tradition, die
hier noch praktiziert wird, überträgt sich auch auf die Wanderschaft der Burschen, so wird auf Seite 68 vorgeschrieben:
Sie wandern… so müßen Sie,Sie wandern… so müßen Sie, wen
Sie heraus wandern ihr Bündel auf der linkeThor so tragen Sie es wie Sie wollen, kommen Siegen Sie es wie Sie wollen, kommen Sie wieder zur
Stadt, so tragen Sie es auf der rechten |
SInnungen und ihre angschlossenen Organisationen sicher nicht mehr dem Zeitgeistionen sicher nicht mehr dem
Zeitgeist entsprachen. Ihr Widerstand gegen moderne Produktions- und Lebensformen in den Städten zu Beginn des 19 Jahrhunderts hat die Entwicklung der
Wirtschaft nicht mehr gefördert. Ihre große Zeit, in der sie ganz entscheidend die Rolle und Funktion der Städte im Mittelalter prägten ist
vorbei.
Zum Schluß möchte ich noch auf zwei Eintragungen verweisen, die mich deshalb verwundern, weil die Rolle
des Glaubens und der Religion sonst sehr ernst und gewichtig ist. Hier aber über religiöse Themen gespottet wird. So findet sich auf den Seiten 84 bis
87 eine leider nicht mehr vollständige religiöse Deutung von „des Teufels Gebetbuch“, also des Kartenspiels durch eine gewitzten Soldaten. Und - noch
überraschender - auf der Seite 88 eine Verknüpfung des heiligsten Gebets der Protestanten, des Vaterunser, mit der Abschaffung der Tabaksteuer und
anderer Auflagen durch den Preußenkönig.
Einblick in die Lebens-, Arbeits- und Denkweisen eines einfachen Oschatzer Denkweisen eines einfachen Oschatzer
Bürgers. Schon die Dauer der Eintragungen über 67 Jahre macht dieses Dokument recht selten und rechtfertigt die Mühe seiner Erschließung.
Oschatz, am 22. März
Fußnoten
1 |
Die Zahl ist wohl ein Lesefehler, es muß 1781 heißen. |
2 |
SIEGEL, Fr. Ludwig: Oschatz in den Tagen des 7.-28. September 1842; Ein Beitrag zur
Chronik der Stadter Verlag Fr. Oldecop Oschatz 1850 der Stadt Verlag Fr.Oldecop Oschatz 1850 |
3 |
s. Innungs- und Meisterbuch der Oschatzer Tuchmacher im Museum
|
4 |
Kartoffeln |
5 |
Quelle dieses Berichtes ist ein Artikel in den „Oschatzer gemeinnützigenzigen
Blättern“ 38. Stück vom 21.Sept.1811 siehe Anhang.1 siehe Anhang. |
Anhang
Aus: Oschatzer gemeinnützige Blätter; acht und dreyßigstes Stück ; Sonnabends, den
21.September 1811, S. 297 – 300 (Im Archiv der Stadt Oschatz)
Mordthat in Liebschütz
Der Mensch, wenn er nicht durch Vernunft Herr seiner Leidenschaften wird, dieselben zu regieren und zu
mäßigen weiß, wird nicht selten ein Spiel derselben, und sie sind es dann, die das Schicksal des Menschen bestimmen. Läßt der
Mensch denselben zu sehr den Zügel, befriedigte er mit zuvorkommender Willfährigkeit oder argloser Nachlässigkeit ihren ungestümen Drang,
so stürzt er sich in ein unbegränztes Meer von Unglück, er eilt von Laster zu Laster, von Verbrechen zu Verbrechen, von Elend zu Elend. Die
schreckenvolle Begebenheit, die sich in diesen Tagen in unserer Nachbarschaft ereignet hat, bestätigt diese Behauptungen leider nur mehr als zu sehr.
Das Herz jedes, auch sonst nicht gefühlvollen Menschen muß bey der Nachricht von dieser Begebenheit und ihren Umständen, oder bey den
Anblicke des ermordeten Körpers mit Schaudern und Entsetzen erfüllt worden seyn, und lange zweifelt man, ob die Menscheit so tief sinken
könnte. Noch ruht auf dieser Begebenheit ein undurchdringliches Dunkel, welches uns nur die Hauptsache in einiger Dämmerung erscheinen
läßt; die Nebenumstände, die wahrscheinlich das gräßliche dieser That noch mehr enthüllen, sind noch in Finsterniß
begraben. G o t t f r i e d V o r h o l z, der einzige Sohn eines sehr wohlhabenden Halbhüfners aus Liebschütz, eines unter die Adl. v.
Oppellischer Gerichte zu Wellerswalde gehörigen Dorfe, ein Jüngling von 18 Jahren, fühlte Neigung zu der einzigen Tochter eines dortigen
Begüteten, Nahmens Leuthold, einen sehr fleißigen, ordentlichen und von allen, die sie kannten, sehr geschätzten Mädchen. Ihr
öfterer Umgang machte sie immer vertrauter, und so vergaßen sie sich in einer Stunde der Schwachheit. Sie fühlte, daß sie Mutter
würde. Ihre Eltern wünschten sehr, daß die Schande ihrer Tochter durch eine eheliche Verbindung mit dem Verführer ihrere Tochter
vertilgt würde, und er selbst schien auch dazu nicht abgeneigt. Allein sey es nun, daß seine Eltern sich dieser Verbindung aus Habsucht
widersetzten, da die Tochter Leutholds nicht so wohlhabend war, wie ihr Sohn, oder war es eine anderweitige Neigung, die ihn fesselte, und zu welcher er
durch seine Begierden hingerissen wurde, oder war beydes verbunden; kurz die Sache verzog sich. Am vergangenen 6ten September bestellte er seine ehemalige
Geliebte, die er zur Mutter gemacht und seit einiger Zeit gleichsam geflohen hatte, des Abends vor das Thor, verbot ihr aber zugleich, ihren Aeltern etwas
zu sagen. Sie aber benachrichtigte sie davon, und sie erteilten ihr auch, nichts Arges ahnend, die Erlaubnis, indem sie glaubten, daß diese für
sie so unangenehme Sache durch diese Unterredung einen günstigen und erwünschten Ausgang nehmen würde. Allein sie hatten ihre Tochter zum
letztenmal lebend gesehen, zum letztenmal mir ihr gesprochen. Der tagende Morgen fand sie nicht mehr unter den Lebendigen. Der, der sie verführte, der
ihre Unschuld raubte, ward ihr und seines Kindes Mörder. Mit einiger Besorgniß forschten die Eltern nach ihrem Kinde, man suchte sie überall,
fand aber nichts; man sprengte fälschlich aus, sie sey vielleicht gar fortgegangen. Endlich gelang es den angestrengten Untersuchungen der Obrigkeit am
10ten September ihren todten Körper unter einer Zeile Erdbirnen in Vorholzens Garten vergraben, zu finden. Ihr Kopf war so verstümmelt,
wahrscheinlich durch ein Beil oder Tängelhammer, daß das Gehirn herausgeflossen war. Man hatte sich sogleich des jungen Vorholzens und auch seines
Vaters versichert, und jener, noch nicht genug in Handlungen der Bosheit geübt, gestand auch bald, daß er der Mörder dieses Mädchens und
ihrer unter den Herzen tragenden Frucht gewesen sey. Am 12ten September wurde der Leichnam dieser unglücklichen Person zur Erde bestattet. Eine sehr
große Menge Menschen hatte sich theils aus Neugier, theils aus Theilnahme dabey versammelt. Eine vortreffliche und ganz der Wichtigkeit des
Gegenstandes angemessene Leichenrede von dem dortigen Pastor Hütter mit inniger Theilnahme gesprochen, die ganz dem Geist des ächten Christenthums
athmete, rührte die Herzen aller Anwesenden bis zu Thränen; ein lautes Schluchzen und die häufig vergossenen Thränen bezeugten die
innige Theilnahme aller. Aber eben da er die Familie der Ermordeten zur Versöhnlichkeit gegen die Familie des Mörders und den Mörder selbst
ermahnte, versuchte Vorholz, der Vater, seinen Leben durch einen Schnitt in die Kehle ein Ende zu machen. Zum Glück wurden es die Wächter noch
zeitig genug gewahr, so daß er wahrscheilich gerettet wird, um, wenn er der Theilnahme an dieser schändlichen That schuldig befunden wird, durch
die Gerechtigkeit den Lohn seiner Thaten zu empfangen. Mit ihm wurde auch seine Frau und Tochter in Verhaft genommen. Ein schrecklicher Leichtsinn, ich will
nicht sagen Verstockung, leuchtet aus dem Betragen dieser Menschen hervor. Vorholz, der Sohn, hatte den Tag nach der Ermordung einen Gevatterbrief wo er die
ganze Nacht, so wie auch seine Eltern, tanzte und den Sonntag drauf hatte er die Frechheit zweymal in die Kirche zu gehen, da man ihn doch schon allgemein
als Mörder in Verdacht hatte. Wie glücklich hätten diese Menschen leben können, da sie mit irdischen Gütern gesegnet waren, wenn
sie sich nicht von thörichten Leidenschaften hätten hinreißen lassen!
Zeittafel der Familie Uhlrich Heinrich Gottlob Uhlrich
1707 |
27.08. |
ein Johann Christian Uhlrich wird Tuchmachermeister; erste Erwähnung der Familie
Uhlrich im Innungsbuch der Tuchmacher |
1742 |
|
* Mutter Anna Roßina Kretzschmar |
1763 |
19.03. |
Vater Christian Gottlob Uhlrich wird Tuchmachermeister |
1764 |
|
Heirat der Eltern A.R.Kretzschmar und Christian Gottlob Uhlrich |
1768 |
07.09. |
* Heinrich Gottlob Uhlrich |
1772 |
|
Erziehung bei Großvater Daniel Kretzschmar in Doberschütz |
1782 |
|
Schulentlassung in Oschatz; Beginn der Lehre beim Vater als Tuchmacher |
1784 |
|
Geselle Tuchmacher |
1787 |
|
Schreiber der Tuchknappen |
1789 |
01.09. |
Meister und Bürger von Oschatz † Großvater Daniel Kretzschmar |
1796 |
13.04. |
Heirat mit Christiana Sophia Uhlrichin |
1799 |
07.04. |
* Johanna Christiana Uhlrich 1. Tochter |
1801 |
27.02. |
† Johanna Christiana Uhlrich |
1802 |
29.11. |
† Carl Leberecht Bergmann Schwager † der Mutter Anna Roßina Uhlrich geb.
Kretzschmar |
1804 |
10.04. 01.10. |
Friedrich Gotthelf Uhlrich, sein 5. Bruder geht auf Wanderschaft † der Cousine
Johanna Christiana Gasch in Doberschwitz † der Tante Frau Streicher |
1805 |
10.02. |
* Carl Gottlob Uhlrich 1. Sohn |
1806 |
|
Bruder Friedrich Gotthelf kehrt zurück |
1807 |
24.12. |
er wird Gegenschreiber der Tuchmacherinnung |
1808 |
29.02. 09.05. |
* Johanna Friedericke Uhlrich 2.Tochter † des Cousin Pastor Johann Christian
Kretzschmar in Zschoppach |
1809 |
22.02. |
† des Vaters Christian Gottlob Uhlrich |
1810 |
08.06. |
* Johanna Teresia Uhlrich 3. Tochter |
1811 |
30.10. |
† des Onkels Johann Georg Gasch in Doberschwitz |
1813 |
17.10. |
† Stiefmutter von der Ehefrau Christiana Sophia Uhlrich |
1815 |
25.01. |
† der Schwägerin * Carl Heinrich Uhlrich 2. Sohn |
1819 |
|
der älteste Sohn Carl Gottlob kommt aus der Schule und beginnt am 29.5. die Lehre
als Tuchmacher beim Vater |
1820 |
29.05. 12.12.
| † des Schwagers Gottlieb Sigismund Uhlrich Tochter Johanna geht nach Grimma in
Stellung † der Tante Anna Regina Gasch in Doberschwitz |
1822 |
|
Carl Gottlob wird als Geselle losgesprochen |
1823 |
|
der Sohn Carl Gottlob geht auf Wanderschaft |
1824 |
|
Tochter Johanna kehrt zurück Weihnacht geht sie nach Liebschütz zur Familie
Zerge |
1826 |
18.03. 04.07. 26.12. |
† Tochter Johanna 18jährig an den Pocken † der Stiefmutter er wird für
ein Jahr Bau-Meister der Innung |
1829 |
18.04. |
Carl Heinrich beginnt die Lehre beim Vater † der Stiefmutter der Ehefrau Christiana
Sophia |
1832 |
21.04. |
Carl Heinrich wird losgesprochen |
1834 |
11.05. |
† Heinrich Gottlob Uhlrich |
1840 |
14.05. |
* Geburt der Zwillinge Amalia Wilhelmina und Maria Theresa Uhlrich Töchter von
Carl Gottlob Uhlrich des Autors erste Enkel Besuch aus Riga bei den Söhnen |
1842 |
|
Haus der Uhlrichs brennt beim großen Stadtbrand mit ab |
1843 |
10.07. 30.07. |
neues Haus bezogen Rosmariengasse 10 der Sohn Carl Heinrich Uhlrich heiratet
|
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