Im allgemeinen Teil sagte ich: „Die Initiativgruppen ,Gesundheits- und Sozialwesen‘ und die Gruppe ,Bildung und Schule‘ sind entstanden und arbeiten. Anfragen und Hinweise sind diesen Gruppen zu übergeben.
Anonyme Briefe werden nicht mehr beantwortet.
An der Litfaßsäule möchten bitte keine Beschuldigungen angebracht werden. Der Beschuldigte kann sich nicht wehren.
Eine Gruppe von Medizinern und Bauleuten sollte die zivile Verwendung des NVA-Objektes prüfen. Ist dies geschehen?“
Treffpunkt Litfaßsäule Ende Januar / Anfang Februar 1990
Es stellte sich heraus, dass diese Gruppe noch nicht entstanden war. Sie wurde aber noch am gleichen Abend gebildet. Für die medizinische Nutzung des NVA-Objektes waren viele Unterschriften zusammengekommen. Herr Köhncke: „Ich zweifle daran, dass die Deutsche Post das NVA-Objekt überhaupt bezahlt hat und rechtmäßiger Eigentümer ist. Ich fordere eine eidesstattliche Erklärung der Deutschen Post.“ Herr Döring: „Wenn das Gesundheitswesen das Objekt bekommt, melde ich einen Bedarf von 200 bis 300 Betten für die Psychiatrie der Kliniken Hubertusburg an. In einigen Flügeln der Klinik ist die Bausubstanz so schlecht, dass eine Betreuung der Patienten nicht mehr möglich ist. Ich bin bereit, bei der Entscheidungsfindung mitzuwirken.“ Herr Mehnert: „Ich möchte einen offenen Brief‘ an Ministerpräsident Modrow über die endgültige Auflösung der Stasi und über die Gewährleistung von Sicherheit und Demokratie vorlegen.“ Dr. Donaubauer: „Die Arbeitsweise der Stasi war verfassungsfeindlich und muss verfolgt werden.“ Es folgt eine Abstimmung über den Brief. Er wird einstimmig verabschiedet. Dann gibt Herr Freund als Vorsitzender des Bürgerkomitees dessen Zusammensetzung bekannt. Die einzelnen Mitglieder stellen sich persönlich vor, die Montagsrunde bestätigt sie. Pfarrer Zehme: „Ich möchte über eine Aktion des Bürgerkomitees in der vergangenen Woche berichten. Eine Sendeanlage der Stasi wurde auf dem Funkturm Collm in Anwesenheit der VP und des Staatsanwaltes versiegelt.“ Dr. Wunder: „Das Gesundheitswesen ist interessiert. Die Nutzung der Funkgeräte würde uns bei der medizinischen Betreuung sehr helfen.“ Als nächstes Thema wurde die Partnerschaft mit Blomberg angesprochen. Eine Oschatzer Delegation von zwei Gruppen war zu Besuch in Blomberg und die Blomberger waren bereits in Oschatz. Es wird die Gründung einer offiziellen Städtepartnerschaft angestrebt. Dafür ist ein vorbereitendes Komitee zu bilden. Herr Bönisch: „Da der Rat der Stadt diese Städtepartnerschaft jahrelang unterdrückt und verschleppt hat, sollten die Mitglieder dieses Komitees heute abend noch bestimmt werden.“ Herr Greim, LDPD: „Ich bin bereit, mich um die Bildung dieses Komitees zu kümmern.“ Es schlossen sich Herr Münkner (Neues Forum) und Herr Kunath (NDPD) an.
Damit wurde der erste Teil des Abends beendet und die Runde kam zum Thema „Gesundheits- und Sozialwesen“. Gesprächsleiter war Pfarrer Zehme. Er sagte: „Wir wollen hier nicht Tribunal sein, sondern lediglich auf die Schwächen und Fehler im Gesundheitswesen hinweisen, damit sie abgestellt werden. Ich beantrage, dass von der Initiativgruppe ,Gesundheits- und Sozialwesen‘ ein Vertreter am Tisch Platz nimmt.“ Dem wurde zugestimmt. Frau Gramsch nahm Platz und trug die ersten Arbeitsergebnisse der Gruppe vor. Frau Gramsch: „In den drei Alters- und Pflegeheimen besteht eine prekäre Situation. Die Verfahrensweise bei der Vergabe der Plätze ist zu überprüfen. Es liegen 67 Anträge für einen Platz im Feierabendheim vor und 200 Anträge für einen Platz im Pflegeheim. Es sind bereits viele Krankenhausbetten mit Pflegefällen belegt. Wir haben kein psychiatrisches Pflegeheim. Gesetzliche Grundlagen für die Möglichkeit der häuslichen Pflege von Familienangehörigen sind zu schaffen. Sozialarbeiter sind auszubilden, altersgerechter Wohnraum ist zu schaffen.“ Eine umfangreiche Diskussion schloss sich nun an: Dr. Heidemann: „Wir sollten uns über die Sozialstationen in der BRD informieren.“ Frau I. Schmidt, Diakonie: „Ich schlage Altenhilfekurse für Familienangehörige vor. Die Achtung vor dem Alter ist wichtig, in der Schule sollte damit angefangen werden.“ Dr. Wunder: „Altenhilfekurse könnten über das DRK organisiert werden.“ Herr Dinter: „Ich halte eine ähnliche Regelung, wie wir es beim Babyjahr haben, für möglich.“ Herr Döring: „Der alte Mensch hat nicht um Fürsorge zu bitten, sie steht ihm zu.“ Dr. Donaubauer: „Es sollte ein echtes Hausarztsystem für alte Menschen geben.“ Dr. Wunder erhielt von der Montagsrunde den Auftrag, eine schriftliche Eingabe an die Regierung der DDR zu erarbeiten. U.a. soll darin der Forderung nach einer gesetzlichen Absicherung bei der häuslichen Pflege von Familienangehörigen Nachdruck verliehen werden. Dr. Wunder: „Gemeinsam mit dem DRK und der Volkssolidarität werde ich Altenpflegekurse für Familienangehörige organisieren.“ Frau I. Schmidt: „Dabei sage ich meine Unterstützung zu.“ Frau B. Ludwig: „Ich schlage vor, dass Soldaten im Pflegeheim eingesetzt werden. Außerdem ist es unbedingt nötig, dass das Pflegeheim Börln ein Fahrzeug bekommt.“ Es folgt das Thema „Altersgerechtes Wohnen“. Dringender Bedarf liegt vor. Herr Eckert: „Für den Bau eines solchen Wohnheimes am Sperlingsberg sollte schnellstens eine Ausschreibung vorgenommen werden. Baubeginn könnte dann das Jahr 1991 sein.“ Zuruf: „Die Wünsche der alten Leute sollten bei der Projektierung aber berücksichtigt werden.“ Frau Schwarz, amtierende Leiterin des Pflegeheimes Börln: „Die Zustände in unserem Heim sind ganz schlimm. Das pflegerische Dreischichtsystem ist nicht mehr abzusichern. Die Arbeitsbedingungen für das Personal sind unzumutbar. In vielen Zimmern fehlen Waschbecken, die Schwestern müssen das Wasser in die Zimmer tragen. Die Heimbewohner haben in den Schränken nur zwei Fächer. 28 Frauen müssen eine Toilette benutzen. Fäkalienbecken sind nicht vorhanden. Die Zimmer sind teilweise mit 6-8 Betten belegt. Wir fordern: 1. Die Räume des Jugendclubs, die einst zum Heim gehörten, als Wäscherei zu nutzen. 2. Die Heimkapazität um 10 Pflegebetten zu reduzieren. 3. Der Heimleitung mehr Entscheidungsfreiheit einzuräumen. 4. Einen Wäschetrockner und einen Kleinbus anzuschaffen.“ Frau Wiedner,: „Den eben gehörten Bericht kann ich bestätigen. Ich bin die bisherige Heimleiterin, jetzt aber im Babyjahr. Wir haben tatsächlich kein Fahrzeug für das Heim, müssen aber alles in Oschatz einkaufen. Ich fahre mit meinem privaten PKW und bekomme 30 Liter Benzin im Monat. Das ist fast nichts. Der Kreisarzt hat uns in der Vergangenheit unterstützt, aber die Mitarbeiter des Sozialwesens haben die Arbeit des Heimes behindert.“ Dr. Wunder. „Wir brauchen dringend ein neues Pflegeheim für die Kreisstadt. Ich werde mich um die angeführten Mängel in Börln kümmern. Das Gesundheitswesen stellt ab sofort Hilfskräfte ein, die sich ab September an der medizinischen Fachschule qualifizieren können. Zur Belegung: Für jedes Heim wurde eine bestimmte Kapazität festgelegt. Eine Reduzierung der Betten muss durch den Rat des Bezirkes bestätigt werden.“ (große Aufregung im Saal) Zwischenruf: „Aber eine Erhöhung geht immer.“ (die Aufregung wächst) Zwischenruf: „Neun Mann im Zimmer ist unmenschlich!“ Ein anderer: „Jawohl! Sie müssen sofort etwas machen, nicht erst am Jahresende!“ Dr. Wunder: „Ich werde mich mit der Leitung des Hauses zusammensetzen.“ Frau Schwarz: „Es geht ja nicht nur um die 9 Mann im Zimmer, sondern um die Zusatzbetten, die noch reingestellt werden mussten, und dass die Leute wirklich nicht am Tisch essen können. Darum geht es.“ Herr Köhncke: „40 Jahre ist keine Politik für ältere Bürger gemacht worden. Die neue Regierung muss auch für ältere Bürger dasein. Ich schlage vor, dass die Initiativgruppe ,Gesundheits- und Sozialwesen‘ den echten Mitarbeiterbedarf in den Pflegeheimen ermittelt.“ Dem wurde zugestimmt. Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging es noch um die Entlastung des Kreiskrankenhauses, das viele Pflegefälle versorgen muss und es ging auch um den Einsatz von Bausoldaten im Pflegebereich.
Neues Thema: „Neubau des Kreiskrankenhauses oder Rekonstruktion?“ Dr. Schmidt: „Wir haben uns jahrelang erfolglos um einen Erweiterungsbau gemüht. Die Baracken sind unzumutbar, baulich nicht mehr zu halten. Die idealste Lösung wäre ein neues Kreiskrankenhaus, aber die Chancen sind gering; denn überall im Lande herrschen katastrophale Verhältnisse. Gegen eine zukünftige Nutzung des NVAObjektes durch das Krankenhaus habe ich Bedenken. Die Umgestaltung wäre äußerst kostenaufwendig.“ Herr Eckert: „Die Baracken stehen seit 1939. Die Röntgenanlage ist völlig überaltert, neue Geräte passen in diese Räume nicht rein. Die Physiotherapie kann nicht länger im Keller des Haupthauses bleiben. Die Küche ist im Dachgeschoss unter ungünstigen Bedingungen untergebracht. Dies alles zeigt, dass wir eine schnelle Lösung finden müssen. Ein Barackenersatzbau ist die schnelle Lösung. Für diesen Ersatzbau wurden uns vom Rat des Bezirkes 14 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Ein Krankenhausneubau würde achtmal soviel kosten. Eine Bedarfsstudie könnte aber schon immer erstellt werden. Doch für einen Neubau sind die Voraussetzungen im Augenblick nicht gegeben.“ Dr. Poletnia: „Auch im Hauptgebäude sind die Zustände unbefriedigend: Wir haben für 40 Betten zwei Toiletten. Die Zimmer sind z.T. mit sechs Betten belegt. Die Schwestern frühstücken im Dienstzimmer. Ein Verschlag wird als Umkleideraum benutzt. Die Arbeitsplätze der Ärzte bestehen aus zwei kleinen Tischen (60 x 80 cm). Es muss also auch da eine Lösung gefunden werden. Das ganze Krankenhaus müsste eigentlich umgebaut werden, aber das Ergebnis wäre nicht zufriedenstellend.“ Dr. Donaubauer: „Die Kliniken Hubertusburg haben die gleichen Probleme, wenn man die Bausubstanz betrachtet. Ich beantrage zu prüfen, ob es zwei Innere Abteilungen geben muss. Eine unglückliche Situation ist es auch, dass die Entbindungsstation in Oschatz ist, die Kinderstation aber in Wermsdorf. Das Schloss Wermsdorf ist für ein Krankenhaus auch zu schade, es wird dafür eigentlich missbraucht. Im übrigen beantrage ich, den Barackenersatzbau einzufrieren.“ Herr Böhnert: „Die Initiativgruppe ,Gesundheitswesen‘ fordert, dass keine Entscheidung mehr von oben gefällt wird. Es soll dagegen im Kreis Oschatz entschieden werden, was gebraucht wird. Wir sollten durchhalten, bis ein Krankenhausneubau möglich ist.“ Herr Dinter: „Baubeginn für den Ersatzbau eigentlich sollte heute sein. Wollen Sie diesen Bau wirklich stoppen?“ Dr. Schmidt: „Auch ich sehe in einem Neubau die idealste Lösung. Aber aushalten können wir nicht mehr. Die Substanz ist völlig verbraucht. In den Baracken fallen bereits die Wände zusammen und die Dielen brechen ein.“ Frau Sirrenberg: „Herr Dinter, Sie haben im vorigen Jahr auf unserer Station gelegen und das Bad beanstandet (Gelächter im Saal). Dieses Bad ist immer noch da und wird auch noch bleiben. Sie sollten sich für einen Neubau einsetzen. Vielleicht könnten Sie sich an Ihren Herrn Gysi wenden, damit Gelder aus dem Parteivermögen dafür eingesetzt werden (großes Gelächter, Beifall).“ Zum Abschluss der Diskussion kam die Montagsrunde zu dem Ergebnis: Die Gesamtkonzeption für das Gesundheitswesen im Kreis Oschatz muss neu überdacht werden. Es ist perspektivisch zu denken. Das NVA-Objekt wird umgehend von Medizinern und Bauleuten begutachtet.
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